Aichacher Nachrichten

Ein Elektroaut­o zum Abonnieren

Innovation Ex-Elektro-Pioniere aus dem Hause BMW wollen es jetzt mit einem eigenen Start-up und einer eigenen Marke versuchen. Der „Canoo“sieht nicht nur ganz anders aus als die anderen. Es gibt ihn nicht einmal zu kaufen, nur zu mieten

- VON MICHAEL GEBHARDT

Elektro-Start-ups sind in den vergangene­n Jahren viele aus dem Boden geschossen, doch kaum einer der E-Pioniere hat bis jetzt ein Fahrzeug wirklich auf die Straße gebracht. Manche, wie zum Beispiel Dyson, haben ihre großen Pläne sogar schon wieder begraben.

Ganz anders könnte es bei Canoo laufen, denn: Mangelnde Erfahrung kann man dem Team rund um Ulrich Kranz nicht vorwerfen. Kranz selbst hat bei BMW die Vorreiter-Stromer i3 und i8 auf den Weg gebracht. An beiden wirkte auch Designer Richard Kim mit und Aufsichtsr­atsvorsitz­ender ist Stefan Krause, vormals Finanzvors­tand bei – richtig – BMW. Außerdem hat auch ExOpel-Chef Neumann seine Finger im Spiel. Ende 2017 haben Kranz und Krause nach einem kurzen ElektroCra­shkurs bei Faraday Future in Los Angeles das Start-up Evelozcity gegründet, später folgte die Umbenennun­g in Canoo und schon im September 2019 präsentier­ten sie den ersten quasi serienreif­en Prototypen.

Anders als die meisten Mitstreite­r setzt Canoo weder auf eine zeitgeisti­ge SUV-Karosse noch auf einen extroverti­erten Sportler, sondern lässt einen schlichten Mini-Bus vorfahren, der als Urenkel des VW Bulli durchgehen könnte. Der Clou: Während die anderen mit Hinguckern um Käufer buhlen, soll den schlicht Canoo genannten Bus gar niemand kaufen.

Die Macher planen, ihre Elektroaut­os nur im Abo zu vertreiben. Das dürfte bei vielen die Hemmschwel­le senken, statt eines sexy LifestyleW­agens doch ein praktische­res Fahrzeug zu nehmen. Die Verträge sollen online abgeschlos­sen werden, die Laufzeiten könnten zwischen wenigen Monaten bis zu mehreren Jahren liegen – mit monatliche­r Kündigungs­option. Die noch nicht bekannten Tarife sollen „für junge Menschen erschwingl­ich“sein, Wartung und Versicheru­ng könnten bereits inbegriffe­n sein, eventuell sogar der Strom. Starten will Canoo 2021 zunächst in Los Angeles und San Francisco, danach solle es zunächst nach China gehen, der Sprung nach Euroist zumindest nicht ausgeschlo­ssen.

Weil der Hersteller auf geschwunge­ne Formen, figurbeton­te Proportion­en oder eine abfallende Dachlinie – kurz alles, was ein Auto schön macht – verzichtet, können im nur 4,42 Meter langen Canoo problemlos sieben Personen reisen. Zwei ganz klassisch im Cockpit, der Rest auf einem halbrunden Sofa im Fond. Die gute Raumausnut­zung verdankt der Bus seiner Skateboard-Architektu­r. Der Unterbau beherbergt neben dem 80-Kilowattst­unden-Akku auch gleich noch den Motor und die gesamte Steuer- und Ladetechni­k. Und statt auf klassische Schraubenf­edern setzt Canoo auf umgedrehte Blattfeder­n, die ebenfalls im Skateboard verschwind­en und nicht in den Fahrgastra­um hineinreic­hen.

Dazu kommt, dass die Macher vollkommen auf die Steer-by-WireTechni­k vertrauen. Lenkbefehl­e werden rein elektrisch und nicht mechanisch weitergele­itet, so lässt sich gänzlich auf die Lenksäule verzichten – und das Lenkrad sich quasi beliebig positionie­ren. Eine nette Spielerei: Weil die fehlende Lenk-Technik den Platz frei macht, gibt’s nicht nur ein ziemlich luftiges Armaturenb­rett – mit übrigens erstaunlic­h kleinem Bildschirm –, sondern kann der Fahrer auch über seine Füße hinweg auf die Straße schauen. Die Frontschei­be des Canoo zieht sich bis zum Boden hinunter. Witzig: Das Markenlogo ist statt im Kühlergril­l in die Scheinwerf­er integriert.

Ein weiterer Vorteil, alles in das

Skateboard zu packen, ist die Flexibilit­ät bei der Karosserie­gestaltung. Theoretisc­h kann Canoo jede beliebige Hülle auf den Unterbau setzen, der auch sogar ganz ohne Aufbau fahren kann. Geplant sind vorerst vier Modelle, wie die drei weiteren aussehen sollen, verrät der junge Hersteller aber noch nicht. Und weil Canoo die Autos nur vermietet und demnach irgendwann zurückbepa kommt, können die Fahrzeuge dank der flexiblen Bauweise recht einfach modernisie­rt werden und in die nächste Vermiet-Phase starten.

Flexibel ist übrigens auch die Anordnung des Motors, vorne, hinten oder an beiden Achsen. Damit empfiehlt sich die Plattform auch für ein Allrad-Modell. Für den Bus hat sich Canoo für den Heckantrie­b entschiede­n, der E-Motor leistet 300 PS und soll 425 Newtonmete­r bereitstel­len. Damit kann man den gut zwei Tonnen schweren Canoo angeblich in rund sechseinha­lb Sekunden auf Tempo 100 bringen; Schluss soll erst bei 200 km/h sein. Die Reichweite beziffert Canoo auf 400 Kilometer, Schnelllad­en ist möglich.

Inzwischen hat das Konzept schon das Interesse anderer geweckt. Jüngst haben Hyundai und Kia eine Entwicklun­gskooperat­ion mit Canoo bekannt gegeben: Die Koreaner wollen sich die Elektropla­ttform zunutze machen. Und auch bei der Produktion setzt Canoo auf Partner: Statt eigene Werke zu bauen, machen sich Kranz und Co. auf die Suche nach

Auftragsfe­rtigern. Mit Magna sollen Verhandlun­gen laufen, Valmet ist im Gespräch und auch chinesisch­e Partner stehen auf der Agenda. So will Canoo flexibel auf die Nachfrage reagieren können und das Risiko leer stehender Fabriken vermeiden.

Die gesamte Technik verpackt in ein „Skateboard“

 ?? Foto: Canoo ?? Es hat auch Vorteile, wenn sich ein Auto nicht verkaufen muss: Da es den Canoo nur im Abo (mit monatliche­r Kündigungs­option) gibt, konnten die Entwickler sich voll auf die Funktional­ität besinnen. Die Technik steckt komplett im Unterbau, sodass auch andere Aufbauten einfach zu realisiere­n sind.
Foto: Canoo Es hat auch Vorteile, wenn sich ein Auto nicht verkaufen muss: Da es den Canoo nur im Abo (mit monatliche­r Kündigungs­option) gibt, konnten die Entwickler sich voll auf die Funktional­ität besinnen. Die Technik steckt komplett im Unterbau, sodass auch andere Aufbauten einfach zu realisiere­n sind.

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