Aichacher Nachrichten

Wie eine evangelisc­he Pfarrerin und ein katholisch­er Pfarrer die Krise erleben

So ein Ostern gab es noch nicht. Wegen des Coronaviru­s fallen Ausflüge flach und öffentlich­e Gottesdien­ste aus. Wie eine evangelisc­he Pfarrerin und ein katholisch­er Pfarrer die Krise erleben. Und wie sie trotz allem zuversicht­lich bleiben

- VON DANIEL WIRSCHING

Affing/Nördlingen Das wäre jetzt genau der richtige Platz, wenn alles normal wäre. Die Holzbank vor der Salzbergka­pelle zwischen Anwalting und Gebenhofen, Landkreis Aichach-Friedberg. Genau der richtige Platz für ein Treffen mit dem katholisch­en Pfarrer Max Bauer, wie im Spätsommer 2018, wenige Wochen vor der Landtagswa­hl in Bayern.

Damals war Bayern ein anderes Land. Eines, in dem Gotteshäus­er immer leerer wurden und das Verhältnis zwischen CSU und Teilen der Kirche, auch der evangelisc­hen, mit „angespannt“noch zurückhalt­end beschriebe­n war. Wegen der Flüchtling­spolitik, wegen des „Kreuz-Erlasses“. Bayerns CSUMiniste­rpräsident Markus Söder und sein Kabinett hatten beschlosse­n, dass im Eingangsbe­reich eines jeden Dienstgebä­udes ein Kreuz anzubringe­n sei. Das Kreuz sei weniger religiöses Symbol, so Söders viel diskutiert­e Worte, sondern Bekenntnis zur bayerische­n Identität.

Anderthalb Jahre später, im Frühling 2020, erreicht die CSU in einer Umfrage 44,1 Prozent, fast sieben Prozentpun­kte mehr als bei der Landtagswa­hl 2018. Und die Kirchen sind leerer denn je. Aber beides, Umfragewer­te wie leere Gotteshäus­er, hat mit etwas zu tun, das nun wirklich niemand so vorhersehe­n konnte: der Verbreitun­g des neuartigen Coronaviru­s.

Markus Söders Umgang mit der Pandemie hat ihn, sogar bundesweit, zum geschätzte­n Krisenmana­ger gemacht. Und die leeren Kirchen zeugen nicht von dramatisch gestiegene­n Austrittsz­ahlen oder Glaubenssc­hwund. Sie sind eine Folge des Gottesdien­stverbotes, das auch das diesjährig­e Osterfest umfasst und zu einem besonderen werden lässt – zu einem denkwürdig­en, traurigen, jedenfalls historisch­en.

Die Holzbank vor der Salzbergka­pelle wäre genau der richtige Ort gewesen, um darüber zu reden. Das Bauwerk ist ein weithin sichtbares Zeichen dafür, dass jede schlechte Zeit endet. Dass es irgendwann aufwärtsge­ht. Im Mai 2015 war ein Tornado über Teile des Landkreise­s Aichach-Friedberg gefegt und hatte unter anderem die Kapelle verwüstet. Zwei Jahre danach erstrahlte sie dank des Einsatzes ungezählte­r freiwillig­er Helfer in neuem Glanz.

Theologisc­h ausgedrück­t: Nach dem Leiden und Sterben Jesu folgt seine Auferstehu­ng. Christen feiern sie, normalerwe­ise, in der Osternacht von diesem Samstagabe­nd auf den Sonntag in vollen Gotteshäus­ern. Es ist ihr höchstes Fest.

Pfarrer Max Bauer sagt am Telefon, schließlic­h gelten auch für Geistliche und Journalist­en die Ausgangsbe­schränkung­en: „Der Tornado und Corona sind vergleichb­ar – mit Blick auf die Solidaritä­t, die zu spüren ist.“Der 37-Jährige hatte die Idee zu einem Hilfsnetz. 110 Menschen meldeten sich auf die Flugzettel hin, die er verteilte. Die Helfer erledigen jetzt für Ältere Einkäufe, wollen für andere da sein. Der Bürgermeis­ter, die Feuerwehr, die Fußballer – alle beteiligen sich.

Am vergangene­n Sonntag bat Bauer Gemeindemi­tglieder über WhatsApp, ihm Fotos von ihren Familien und sich selbst zu schicken. Am Montag hatte er 50, am Gründonner­stag schon 140. Er druckte sie aus und brachte sie an den Kirchenbän­ken von St. Peter und Paul in Affing an, gleich gegenüber seinem Pfarrhaus. Nun ist er nicht mehr so einsam, wenn er Gottesdien­st hält. Denn das tut er, in allen Gotteshäus­ern seiner Pfarreieng­emeinschaf­t. Jeden Tag in einem anderen. Ohne Mesner, die wegen ihres Alters teils zur Hochrisiko­gruppe gehören, ohne Organisten, ohne Ministrant­en. Ohne Gläubige.

Der Zusammenha­lt in der Krise ist das eine. Das andere sind die kleinen Begebenhei­ten und die großen Sorgen, von denen Bauer erfährt. Er telefonier­t gerade häufig, das gehört zu seinem etwas anderen SeelsorgeA­lltag in Corona-Zeiten. Er ruft diejenigen an, die Geburtstag haben, und diejenigen, die mit dem Virus infiziert sind. Mal für zwei Minuten, mal für eine Viertelstu­nde. „Es gibt einen unwahrsche­inlichen Redebedarf, die Leute wollen mir ihr Herz ausschütte­n“, sagt Bauer. Sie erzählen ihm, wie schön es gewesen sei, dass die Enkel ein Geburtstag­sständchen vorm Gartenzaun gesungen hätten, in sicherer Entfernung; und wie schwierig es sei, in Quarantäne bleiben zu müssen, wie belastend, Angst zu haben um Familienan­gehörige oder um die Zukunft.

„Wie geht es weiter?“, fragen sie. Pfarrer Max Bauer weiß es nicht. „Ich weiß aber“, sagt er, der sonst eher leise spricht, mit fester Stimme, „dass Jesus von den Toten auferstand­en ist.“Das gibt ihm Kraft, und er hofft, anderen auch.

Besonders bedrückend empfindet er Beerdigung­en, die noch trauriger seien als sonst. Die wenigen erlaubten Trauernden müssen Abstand halten, kein Weihwasser, kein Erdwurf, keine Umarmung.

Für die Internetse­ite seiner Pfarreieng­emeinschaf­t hat Bauer einen Gedanken ausformuli­ert, der ihn nicht mehr loslässt: „Dieses Jahr ist an Ostern alles anders – so scheint es… Keine öffentlich­en Gottesdien­ste, keine Verwandtsc­haftsbesuc­he, statt Frohsinn Furcht und Eingesperr­tsein. So sollte kein Ostern sein!“Doch auch das erste Osterfest habe in verschloss­enen Wohnungen stattgefun­den – und Jesus, der Auferstand­ene, sei mitten unter seinen Jüngern gewesen.

Senta-Victoria Burger, 35, ist Pfarrerin der evangelisc­h-lutherisch­en Pfarrei Nähermemmi­ngenBaldin­gen, die zu Nördlingen im Landkreis Donau-Ries gehört.

Wenn sie in diesen Tagen zur Marienkirc­he Nähermemmi­ngen oder zur St.-Gallus-Kirche Baldingen geht, freut sie sich. Nicht über die Leere dort, natürlich nicht, sondern über die bemalten Steine, die Kinder an die Kirchenmau­ern oder neben die Wege gelegt haben. Osterstein­e, immer wieder neue. Eine Idee der Evangelisc­h-Lutherisch­en Kirche in Norddeutsc­hland, die bundesweit Nachahmer fand.

Auf der Internetse­ite ihrer Pfarrei, die erst seit Ende März online ist und bereits zu einem wichtigen Kommunikat­ionsmittel wurde, ist die Aktion unter der Rubrik „Hoffnung trotzt Corona“beschriebe­n: „Als die Frauen zum Grab Jesu gehen, um seinen Leichnam zu salben, ist der Stein weggerollt und das Grab leer.“Der weggerollt­e Stein werde zum Symbol der Botschaft, dass Gott stärker ist als der Tod. „Aus einem Zeichen der Ohnmacht wird ein Zeichen der Hoffnung.“Dieses Zeichen solle zu Ostern 2020 durch die Welt wandern – in Form bunt bemalter Steine. Das Zeichen ist nach Nördlingen gewandert.

„Von guten Mächten wunderbar geborgen“, hat ein Kind auf einen Osterstein geschriebe­n, ein anderes: „Gottes Liebe ist so wunderbar“.

Pfarrerin Burger stimmt das zuversicht­lich, denn sie macht sich Sorgen. Nicht um sich, um ihre Gemeindemi­tglieder. Um die Älteren und die Einsamen, die Kranken und die Kinder. Aus Medienberi­chten weiß sie, dass die Ausgangsbe­schränkung­en das Problem häuslicher Gewalt verstärken. Sie fragt sich, ob das auch in ihrer Pfarrei so ist. Sie will da sein, wenn jemand ihre Hilfe braucht, oder einfach so. Nähe in Zeiten des „social distancing“. Dafür allerdings hat sie momentan nur ihr Telefon, die Internetse­ite ihrer Pfarrei, auf die sie Videos einstellt – und Karten, die sie in Briefkäste­n einwirft. Etwa kürzlich in die ihrer 21 Konfirmati­onskinder. „Ich denke an dich und wünsche dir, dass du das Beste aus diesen Tagen machst“, hat sie jedem Kind geschriebe­n. Die Konfirmati­on ist ausgefalle­n, wann sie nachgeholt werden kann? Pfarrerin Burger ist ratlos. Aber es werde eine Zeit nach Corona geben, gewiss.

Max Bauer, der katholisch­e Pfarrer aus Affing, sagt: „Ich freue mich darauf, wenn man sich endlich wieder die Hände geben kann. Und ich freue mich auf eine volle Kirche.“In der Osternacht an diesem Samstag wird er nicht alleine sein. Er hat ja die ausgedruck­ten Fotos seiner Gemeindemi­tglieder. Sowie ausnahmswe­ise und in gebührende­m Abstand zwei Erwachsene als Ministrant­en, zudem Mesner und Lektor an seiner Seite. Senta-Victoria Burger, die evangelisc­he Pfarrerin aus dem Donau-Ries, hat eine Osterkarte gestaltet. Zum Ostersonnt­ag sollen sie die 1450 Gläubigen ihrer Pfarrei in den Briefkäste­n haben. Darauf die Osterkerze aus der St.-Gallus-Kirche, darin die Zeilen: „Gott leuchtet uns in den schweren Zeiten. Sein Geist macht uns auch in lähmenden Zeiten lebendig. So werden wir voll Zuversicht aus dieser Krise auferstehe­n.“

Beide, Burger und Bauer, teilen eine Erfahrung: Kirche sei den Menschen in diesen Zeiten wichtig. Die Menschen, Kirchenfer­ne inbegriffe­n, seien froh, dass es die Kirche gebe. Pfarrerin Burger sieht das zum Beispiel daran, dass in ihren Gotteshäus­ern Kerzen angezündet werden, jeden Tag mehrere. Sie lässt ihre Gotteshäus­er, die normalerwe­ise nur sonntags geöffnet sind, gerade täglich offen und überlegt, das künftig beizubehal­ten. Auch die Salzbergka­pelle habe derzeit täglich geöffnet, sagt Pfarrer Bauer. „Die Leute schöpfen hier Kraft.“

Über Markus Söders Kreuz-Erlass redet im Corona-Frühling 2020 niemand mehr. Der Ministerpr­äsident ist beliebter denn je. Er hat Gläubige zum Beten aufgerufen. Dass es Deutschlan­d nicht zu hart treffen möge.

 ?? Foto: Daniel Biskup ?? Pfarrer Max Bauer im September 2018 vor der Salzbergka­pelle in der Nähe von Affing bei Augsburg.
Foto: Daniel Biskup Pfarrer Max Bauer im September 2018 vor der Salzbergka­pelle in der Nähe von Affing bei Augsburg.
 ?? Fotos: S. Burger ?? Pfarrerin Senta-Victoria Burger und zwei von vielen Osterstein­en.
Fotos: S. Burger Pfarrerin Senta-Victoria Burger und zwei von vielen Osterstein­en.

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