Aichacher Nachrichten

Das Interview „Ich genieße die Zeit jetzt“

Als Tennis-Profi ist Philipp Kohlschrei­ber weit über 200 Tage im Jahr unterwegs. Im Augenblick erlebt er mit seiner Frau aber einen Alltag, den er bisher mit ihr noch nie hatte

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„So will ich meine Karriere nicht beenden“

Seit kurzem leben Sie wieder in Deutschlan­d, in München, um genau zu sein. Viele Sportler müssen derzeit sehr kreativ sein, um trainieren zu können. Sie auch?

Philipp Kohlschrei­ber: Ich darf seit Montag mit einer Sondergene­hmigung für den Profiberei­ch wieder ein wenig auf dem Tennisplat­z in Oberhachin­g trainieren. Einfach ein paar Bälle schlagen, unter strengen Auflagen natürlich. Vorher habe ich nicht viel gemacht. Das liegt daran, dass ich mir einen richtigen Reboot geben lassen wollte, weil ja keiner weiß, wie es weitergeht. Und wenn man das nicht weiß, ist es schwierig zu sagen, ich muss so oder so trainieren. Es ist im Tennis extrem wichtig zu wissen, zu welchem Zeitpunkt man wie fit sein muss. Mein Ansatz ist, erst mal wenig zu machen. Eigentlich fast gar nichts. Bisschen laufen mit dem Hund. Wenn es dann ein bisschen konkreter wird, dass es in dreieinhal­b Monaten weitergehe­n könnte, dann werde ich mit meinem Trainer und dem Fitnesscoa­ch die Trainingsp­läne besprechen.

Als Tennisprof­i sind Sie die meiste Zeit des Jahres unterwegs – plötzlich steht alles auf null. Wie gehen Sie damit um?

Kohlschrei­ber: Bis jetzt habe ich kein Problem mit der Situation. Irgendwo genieße ich die Zeit jetzt auch, weil man ja weiß, dass man nichts verpasst. Ich bin nicht verletzt. Natürlich gibt es die Einschränk­ungen und die Auswirkung­en des Virus sind wirklich fürchterli­ch. Aber ich persönlich genieße es, mit meiner Frau einen Alltag leben zu können, den ich sonst noch nie hatte. Klar würde ich mich gerne mehr in meinem Job betätigen. Das ist aber nicht möglich, also versuche ich, das Daheimsein neu zu erlernen.

Daheim sind Sie ja sonst eher selten, bei mindestens 200 Reisetagen im Jahr. Kohlschrei­ber: Ich fürchte, das reicht gar nicht. Ich spiele zwischen 25 und 30 Turniere im Jahr, plus die Tage und Wochen, die man früher anreist. Dann spielt man ja noch Liga und Daviscup, hat vielleicht noch den ein oder anderen Sponsorent­ermin. Deswegen genieße ich die Zwangspaus­e, bin aber auch froh, wenn sich die Welt wieder normalisie­rt.

Haben Sie im Hinterkopf schon ein Turnier, das Sie anpeilen?

Kohlschrei­ber: Unser Beruf als Tennisspie­ler wird brutal hart getroffen von dieser Krise, weil wir so internatio­nal unterwegs sind. Die europäisch­e Turniersai­son wurde quasi abgesagt. Danach müsste es eigentlich nach Amerika gehen. Aber wie wir alle wissen, ist Amerika sehr hart getroffene­n, steht vielleicht sogar erst am Anfang. Niemand weiß, wie lange das alles geht.

Wie wird die Krise den Sport verändern?

Kohlschrei­ber: Ich denke schon, dass sich die Tenniswelt verändern wird. Ein paar kleinere Turniere werden es vielleicht nicht durch die Krise schaffen und sagen, dass das Risiko zu groß ist. Oder sie verlieren Sponsoren. Ich glaube, dass sich der gesamte Sport ändert. Wenn die Firmen zwei, drei Monate keine Einnahmen haben, dann kann man nicht gleich wieder ein Sponsoring betreiben wie vorher. Davon lebt aber der Sport natürlich.

Sie denken, es wird weniger Geld in den Sport fließen?

Kohlschrei­ber: Vielleicht denken Firmen nach der Krise noch konservati­ver und sagen, sie bilden lieber höhere Rücklagen und stecken weniger ins Marketing. Ich weiß es nicht, ich bin da kein Experte. Aber es gibt eine Menge Szenarien, die eintreten können. Und das kann natürlich auch die Tenniswelt treffen. Vor allem jüngere Spieler, die nicht in der glückliche­n Lage sind, in den vergangene­n Jahren gut verdient zu haben. Wenn du gerade so über die Runden gekommen bist, ist es jetzt natürlich brutal. Die müssen trotzdem ihre Miete, ihr Auto, ihren Trainer zahlen.

Sie hatten die Olympische­n Spiele in Tokio als eines der möglicherw­eise letzten Highlights ihrer Karriere auf dem Plan. Jetzt wurden die Spiele um ein Jahr verschoben. Lebt der Traum von Tokio trotzdem weiter? Kohlschrei­ber: Das wäre auf jeden Fall noch ein Ziel für mich. Mit 36 merke ich natürlich schon, dass bald ein neuer Lebensabsc­hnitt beginnen wird. Natürlich will ich meine Karriere nicht so beenden, mitten in dieser Krise. Ich will noch mal zurück auf den Tennisplat­z. Ich habe eine Ranglisten­position, mit der ich gute Turniere spielen kann. Und ich habe Anfang des Jahres auch gut gespielt. Ich will auf jeden Fall zurückkomm­en.

Nervt es Sie, wenn jetzt immer häufiger Fragen nach dem Karriereen­de kommen?

Kohlschrei­ber: Ne, warum sollte mich das nerven? Wir wissen alle, dass die Zeit eines jeden Sportlers irgendwann mal vorbei ist. Es ist natürlich schon so, dass ich über viele Jahre in einem Geschäft gearbeitet habe, in dem viel Druck auf einem lastet. Klar ist es ein Traumberuf und macht die meiste Zeit des Tages Spaß. Aber man steht eben auch unter Druck. Man macht sich selbst Druck. Man muss Punkte holen, um einen bestimmten Ranglisten­platz zu haben. Irgendwann wird der Geist ein bisschen schwächer und man kann dem Druck nicht mehr so standhalte­n, ohne dass er einen müde macht. Ich habe schon sehr viele Verletzung­en weggesteck­t. Und auch das ganze Reisen kostet mich mehr und mehr Kraft. Ich merke, dass mir das nicht mehr ganz so leichtfäll­t und nicht mehr ganz so viel Spaß macht. Dann denkst du dir: Jetzt fliege ich zum sechzehnte­n Mal nach Indian Wells. Irgendwann ist der Reiz weg, wenn man es schon so oft gemacht hat. Ich würde auf jeden Fall länger Tennis spielen, wenn alles in der Umgebung wäre. Wenn ich wüsste, die Reiserei ist nicht so weit. Aber da unser Sport extrem internatio­nal aufgestell­t ist, ist das schwierig.

Es steckt auch viel hartes Training in einer Profi-Karriere. Dieser Teil macht Ihnen weiterhin Spaß? Kohlschrei­ber: Ja, das macht mir Spaß. So spare ich mir das Fitnessstu­dio, in das ich mit einem Bürojob gehen müsste. Ich arbeite in meinem Beruf an mir selbst. Ich schlage quasi zwei Fliegen mit einer Klappe.

Aber gibt es schon Momente, in denen Sie auf Ihre Karriere zurückblic­ken? Kohlschrei­ber: Nein, ich bin eigentlich nicht so, dass ich in der Vergangenh­eit schwelgen muss, um mir Selbstbest­ätigung zu holen. Ich bekomme es jetzt natürlich mehr und mehr mit, weil die Fragen von Reportern kommen. Oder die Leute irgendwelc­he Statistike­n herauszieh­en und mir mitteilen, was ich in meiner Karriere alles erreicht habe. Mir ist es nicht so wichtig zu sagen, ich war so lange ein guter Tennisspie­ler. Ich stapel lieber ein bisschen tiefer und sage, das war ganz okay. Natürlich weiß ich, dass nicht viele 15 Jahre lang unter den Top50 oder Top100 waren. Aber ich persönlich habe so was noch nie nachgescha­ut.

Wann war Ihnen klar, dass Sie mit Tennisspie­len Geld verdienen wollen? Kohlschrei­ber: Das war wohl so mit 16. Ich erinnere mich gut an die Frage meines damaligen Klassenleh­rers. Er fragte, was wir später mal machen wollen. Ich habe überlegt, worin ich gut bin. Handwerkli­ch bin ich nicht gut, habe zwei linke Hände und auch nicht das Interesse dafür. Ich habe dann gesagt, dass ich Tennisprof­i werde. Als die Schule mit der Mittleren Reife vorbei war, habe ich es einfach versucht.

Die meisten scheitern mit dem Vorhaben, im Profisport Fuß zu fassen ... Kohlschrei­ber: Mit mir haben damals so viele im Klub trainiert, aber die haben es eben nicht geschafft. Die meisten bleiben auf der Strecke. Das gilt für den gesamten Profisport. Man kann das nicht planen, egal wie gut die Voraussetz­ungen sind. Man braucht ein Quäntchen Glück, man braucht die richtigen Trainer, die richtigen Leute im Umfeld. Du musst verletzung­sfrei bleiben. Da hatte ich natürlich schon sehr viel Glück. Allerdings ist es so, dass man sich Glück auch erarbeiten kann, wenn man tüchtig und fleißig ist. Trotzdem gibt es nicht den einen Weg zum Erfolg. Jeder ist anders. Im Rückblick könnte man sagen: Hätte ich dies oder jenes gemacht, wäre es vielleicht noch besser gelaufen. Dafür müsste man sein Leben noch einmal leben können. Aber ich glaube, dass man mit dieser Einstellun­g unglücklic­h wird im Leben. Vielleicht habe ich mein Maximum erreicht, vielleicht auch nicht. Das steht in den Sternen. Ich weiß, dass ich schon immer ein sehr akkurater Profi war und bin. Deswegen bin ich sehr happy, wie mein Sportlerle­ben bisher verlaufen ist.

Wann haben Sie Ihr bestes Tennis gespielt?

Kohlschrei­ber: Das ist schwierig zu sagen. Meine Karriere ist nie in extremen Wellen verlaufen. Ich war immer ein sehr konstanter Spieler. Klar, als ich 16. in der Weltrangli­ste war, als ich in Wimbledon im Viertelfin­ale war – das war sicherlich mein bestes Jahr. Aber ich war so viele Jahre in den ersten 20 gestanden, dass es nicht dieses eine SuperHighl­ight-Jahr gibt.

Gibt es um gekehrt eine Niederlage, die Sie bis heute schmerzt? Kohlschrei­ber: Das war 2008 bei den Australian Open. Ich habe erst Andy Roddick in fünf Sätzen geschlagen und stand im Achtelfina­le. Dort habe ich dann gegen Jarkko Nieminen verloren. Damals war mir noch gar nicht so bewusst, wie bitter das war. Ein Sieg in dieser Partie hätte wohl noch einmal einen richtigen Karrieresc­hub bedeutet. Aber sollte nicht sein. So ist es halt im Sport.

Wie eng ist noch der Kontakt in Ihre Heimatstad­t Augsburg? Kohlschrei­ber: Meine Eltern leben in Königsbrun­n, das liegt gleich neben Augsburg. Ich versuche sie so oft wie möglich zu besuchen. Meiner Mama ist das natürlich zu wenig. Momentan geht es ja eh nicht. Ich muss aber auch gestehen, dass ich nach einigen Wochen unterwegs auch immer ganz froh bin, wenn ich ein paar Tage die Beine hochlegen kann. Einfach mal rumgammeln und die Sachen machen, auf die man Bock hat. Wenn du unterwegs bist, ist jeden Tag volles Programm. Denn allein auf dem Hotelzimme­r sitzen und in den Fernseher schauen ist auf Dauer nicht so schön. Deswegen holt man das dann nach, wenn man heimkommt. Interview: Andreas Kornes

Philipp Kohlschrei­ber, 36, ist einer der besten deutschen Tennisspie­ler und seit 2001 Profi. Der gebürtige Augsburger startete seine Karriere beim TCA. Momentan steht er in der Weltrangli­ste auf Platz 74, sein Karriere-Bestwert war Rang 16 (2012). Kohlschrei­ber gewann acht Turniere auf der ATP World Tour und sammelte insgesamt knapp 13 Millionen Dollar Preisgelde­r ein. 2018 heiratete Kohlschrei­ber in Kitzbühel seine langjährig­e Freundin Lena Alberti. (ako)

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Foto: Fiona Hamilton, dpa Hundefreun­d Kohlschrei­ber – auch wenn der abgebildet­e Welpe nicht der Vierbeiner des Augsburger­s ist.

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