Aichacher Nachrichten

Drei Selbststän­dige erzählen, wie hart die Krise sie trifft

Der Ausnahmezu­stand ist gerade für Kleinunter­nehmer ein großes Problem. Ein Cafébetrei­ber ist froh, dass ihm der Vermieter die Pacht erlässt. Eine Kosmetiker­in hat nicht nur ihren Salon geschlosse­n, sie muss auch bei einem privaten Ereignis umplanen

- VON ANDREA BAUMANN

Vieles, was noch Anfang März selbstvers­tändlich war, ist jetzt komplett gestrichen. Der Termin bei der Kosmetiker­in ist ebenso aus dem Kalender verschwund­en wie die Behandlung beim Physiother­apeuten. Die Nägel wachsen, die Hornhaut wird dicker und auch der Rücken zwickt im Homeoffice. Wie gut täten jetzt ein Cappuccino im Lieblingsc­afé und ein Plausch mit dem Mann hinter der Espressoma­schine – Fehlanzeig­e. Doch während uns der leere Terminkale­nder ungeplante, ja ungewollte Freizeit beschert, plagen Existenzso­rgen die andere Seite.

Heinz Gießer etwa. Seit 22 Jahren betreibt der Konditorme­ister das Café bei Bücher Pustet. Dass die Buchhandlu­ng demnächst wieder öffnen darf, hilft ihm nichts. Denn der 50-Jährige muss seine Gastronomi­e weiter geschlosse­n halten. Aus diesem Grund ist er froh, dass ihm

Vermieter die Pacht in dieser Zwangspaus­e erlässt. Er sagt: „Ich muss nur die Betriebsko­sten zahlen.“Die Kulanz von Pustet ermöglicht es ihm momentan noch, seine studentisc­hen Aushilfskr­äfte weiter zu bezahlen – zur Zeit bauen sie ihren Urlaub ab. Die bräuchten ja auch ihr Geld, sagt Gießer. Wie er selbst Geld in die Kasse bekommt, weiß er nicht. Aktuell bestreitet seine Frau, die beim Staat arbeitet, das Familienei­nkommen. Der zweifache Vater hat beim Bund und beim Freistaat Soforthilf­e beantragt – insgesamt wären das 14.000 Euro. „Eine Rückmeldun­g habe ich noch nicht bekommen“, sagt er.

Heinz Gießer hat viel Zeit, über die nächsten Monate nachzudenk­en. „Es wird sehr lange dauern, bis wir uns wieder normal bewegen“, sagt er. Selbst wenn er irgendwann sein Café wieder öffnen dürfe, rechne er mit weniger Zulauf, weil die Menschen verunsiche­rt seien und es im Sommer ohnehin ruhiger sei. Plätze könne er ja noch reduzieren, überlegt er. „Aber mit Mundschutz essen und trinken geht nicht.“Weil die Hoffnung aber bekanntlic­h zuletzt stirbt, tüftelt Heinz Gießer gerade an seiner Sommerkart­e. Abgesehen von den für ihn nicht absehbaren wirtschaft­lichen Folgen der Corona-Pandemie vermisst er auch die sozialen Kontakte. „Mir fehlen die Gespräche mit meinen Gästen.“In den 22 Jahren, in denen er schon hinterm Tresen seinen Cafés steht, seien auch viele Freundscha­ften entstanden.

Auch Annette Jahns Arbeit ist von persönlich­en Kontakten geprägt. Als Kosmetiker­in ist sie ganz nah dran an ihren Kundinnen – und vereinzelt auch Kunden. Schon zu Beginn der ersten Corona-Infektione­n, als es noch Behandlung­en gab, hatte die 33-Jährige Hygienemaß­nahmen verschärft und ihre Kundschaft gebeten, bei Erkältungs­symptomen fernzublei­ben. Seit einem Monat hängt vor ihrer Ladensein tür im Textilvier­tel das Schild „closed“– geschlosse­n. Wie Cafébetrei­ber Gießer hat Jahn Soforthilf­e beantragt und will auch ihre beiden Minijobber­innen weiterbeza­hlen – wenn es irgendwie geht. Momentan kommt nur noch ein geringer Prozentsat­z der üblichen Einnahmen rein. Der Online-Verkauf von Gutscheine­n und Kosmetika sei nur ein Tropfen auf dem heißen Stein, sagt sie. Allein die Fixkosten reißen ein tiefes Loch in ihre Kasse.

Annette Jahn weiß, dass sich die ausgefalle­nen Termine nicht kompensier­en lassen, sollte sie irgendwann ihren Salon wieder öffnen dürfen. „Die Kunden kommen dann ja nicht zweimal.“Eines kommt für die Augsburger­in nicht in Frage: Angebote, ob sie in der Krisenzeit nicht heimlich weitermach­en wolle, lehnt sie strikt ab. Freilich hofft sie, dass nach den Friseuren in den nächsten Wochen auch die Kosmetikst­udios von Lockerungs­maßnahmen profitiere­n. Die 33-Jährige trifft die Corona-Krise nicht nur beruflich, sondern auch privat. Ihre Hochzeit Ende April wollten sie und ihr Partner mit Familie und Freunden erst in einem Restaurant und danach in einem Klub gebührend feiern. Daraus wird erst mal nichts. „Wir hoffen, das Fest irgendwann nachholen zu können.“Am Termin nur zu zweit im Standesamt hält das Paar fest – schon wegen der Eheringe mit dem eingravier­ten Datum.

Seit Mitte März spielt sich auch Georg Massings Leben in trauter Zweisamkei­t ab. Statt in seiner Praxis verbringt der Physiother­apeut den Tag zu Hause mit seiner Partnerin – oder gönnt sich eine Runde mit dem Fahrrad. Schon ein paar Tage, bevor sich die Krise zuspitzte, sagte er alle Termine ab – wenn ihm die Patienten nicht schon zuvorgekom­men waren. „Ich wollte einfach Vorsicht walten lassen“, sagt er. Anders als Kosmetiker­innen bewegt sich Georg Massing in einer Grauzone. Er könnte Notfall-Behandlung­en

durchführe­n. Der Therapeut hat sich jedoch zu seinem eigenen Schutz und aus Fürsorge gegenüber seinen Patienten für eine komplette Schließung seiner Praxis entschiede­n. Denn Behandlung­en auf Abstand seien schlichtwe­g unmöglich.

Freilich schmerzt ihn angesichts der Fixkosten wie Miete das leere Terminbuch. „Mir fehlen, wenn ich noch den Mai dazurechne, drei Monate Einnahmen.“Es werde knapp, auch wenn er keine Angestellt­en habe. Erleichter­t ist er, dass er die Soforthilf­e schon bekommen hat – 5000 Euro. Hoffnungen setzt Massing nun auf einen weiteren Rettungssc­hirm. Unter anderem für Heilmittel­praxen sind pauschale Ausgleichs­zahlungen von 40 Prozent der abgerechne­ten Umsätze für die Behandlung gesetzlich Krankenver­sicherter im Gespräch. Nicht nur wegen der Finanzen sehnt er ein Ende des Ausnahmezu­stands herbei.„Früher war ich entspannt. Jetzt bin ich nervös und schlafe schlecht.“

 ?? Foto: Michael Naumann ?? Georg Massing kann derzeit nicht in seiner Physiother­apie-Praxis arbeiten. Er könnte Notfall-Behandlung­en anbieten. Der Therapeut hat sich jedoch für eine Schließung entschiede­n, um seine Patienten und sich zu schützen.
Foto: Michael Naumann Georg Massing kann derzeit nicht in seiner Physiother­apie-Praxis arbeiten. Er könnte Notfall-Behandlung­en anbieten. Der Therapeut hat sich jedoch für eine Schließung entschiede­n, um seine Patienten und sich zu schützen.
 ?? Foto: Heinz Gießer ?? Bücher Pustet darf zwar bald wieder öffnen – das Café, das Heinz Gießer dort betreibt, noch nichtr.
Foto: Heinz Gießer Bücher Pustet darf zwar bald wieder öffnen – das Café, das Heinz Gießer dort betreibt, noch nichtr.
 ?? Foto: Annette Jahn ?? Kosmetiker­in Annette Jahn hat ihr Geschäft geschlosse­n.
Foto: Annette Jahn Kosmetiker­in Annette Jahn hat ihr Geschäft geschlosse­n.

Newspapers in German

Newspapers from Germany