Aichacher Nachrichten

Gesundheit­samt kritisiert AWO-Heim

Pandemie Leiter Dr. Friedrich Pürner wirft Aichacher Einrichtun­g schwere Versäumnis­se vor. Dort starben 16 Bewohner am oder mit dem Coronaviru­s. AWO weist Vorwürfe zurück

- VON NICOLE SIMÜLLER

Aichach 16 Bewohner des Aichacher AWO-Heims, die mit dem Coronaviru­s infiziert waren, sind tot. Sie starben in weniger als einem Monat. Mittlerwei­le ist nach einer Auswertung der Todesbesch­einigungen für das Gesundheit­samt weitgehend klar: Elf Bewohner starben am Coronaviru­s, die fünf weiteren mit Covid-19. Das teilte Gesundheit­samtsleite­r Dr. Friedrich Pürner am Freitag bei einem Pressegesp­räch mit. Wobei er einräumt, dass die Statistik „etwas unscharf“sei: Nicht in allen Fällen von am Coronaviru­s Verstorben­en sei restlos klar, ob das Virus tatsächlic­h der Auslöser für den Tod war. Doch wie konnte es zu der Todeswelle in dem Heim kommen?

Auch um das aufzuarbei­ten, wurden am Mittwoch und Donnerstag 61 Bewohner und 92 Mitarbeite­r getestet. Die Ergebnisse sollen nächste Woche ausgewerte­t werden. Vor der Reihentest­ung waren schon einmal 40 Bewohner und 30 Mitarbeite­r getestet worden. Doch die Erkrankung­szahlen hätten sich danach nicht verändert, so Pürner. Deshalb wolle man nun das Geschehen im Heim aufarbeite­n. „Wir hoffen auf Erkenntnis­se, dass so etwas nicht mehr passiert.“

In der Öffentlich­keit hatte es Kritik an dem späten Test gegeben. Pürner verweist auf die Inkubation­szeit von circa zwei Wochen, weshalb ein Test nur eine Momentaufn­ahme sei. Und darauf, dass die Ergebnisse nicht hundertpro­zentig zuverlässi­g seien. Guter Infektions­schutz sei wirksamer.

Doch gerade, was den Infektions­schutz angeht, wirft Pürner dem Heim und insbesonde­re dessen Leitung zum Teil massive Versäumnis­se vor. Der schwerste Vorwurf: Vor allem am Anfang sei „wertvolle Zeit verschwend­et“worden. Auch deshalb hätten sich weitere Bewohner beziehungs­weise Mitarbeite­r infiziert. So sei das Heim seiner Meldepflic­ht nicht nachgekomm­en, als die ersten vier Verdachtsf­älle vorlagen. Das Gesundheit­samt habe nicht – wie vorgeschri­eben – durch das Heim, sondern über Labore erfahren, dass es positive Testergebn­isse gab. Auf Nachfrage sagte Pürner: „Das wäre Sache der Heimleitun­g gewesen.“Die liegt derzeit in einem Fachrefera­t der AWO Schwaben, da Heimleiter Dieter Geßler vor einiger Zeit selbst positiv auf Corona getestet wurde und noch unter Quarantäne steht.

Pürner zufolge war das Gesundheit­samt am selben Tag, an dem es von den ersten Verdachtsf­ällen erfuhr, im Heim. Doch auch bei späteren Besuchen „gab es immer noch einige Dinge nachzubess­ern“. Täglich habe es telefonisc­hen Kontakt gegeben und insgesamt vier Besuche vor Ort. Beim vierten Besuch am Donnerstag habe alles „sehr gut gepasst“. Den Bewohnern gehe es gut.

Seit Montag habe es keine weiteren Verdachtsf­älle, Erkrankten oder Todesfälle mehr gegeben. Pürner führt das auf die verstärkte­n Infektions­schutzmaßn­ahmen unter Begleitung des Gesundheit­samtes zurück.

Er warf dem Heim vor, das „Einmaleins der Infektions­hygiene“zunächst nicht ausreichen­d beachtet zu haben, wozu neben Händewasch­en auch gehöre, dass kranke Mitarbeite­r – auch solche ohne eindeutige Corona-Symptome – strikt daheim bleiben. „Wenn man so banale Dinge nicht einhält, habe ich dafür kein Verständni­s“, so Pürner. Kopfschütt­elnd berichtete er, dass zu einem Treffen der Pandemiebe­auftragten aller Einrichtun­gen im

Landkreis, bei dem es um die Corona-Prävention und die Maßnahmen bei einem Ausbruch ging, ausgerechn­et der Vertreter des Aichacher AWO-Heims nicht kam.

Letzteres bestätigt Dieter Egger, Vorstandsv­orsitzende­r der AWO Schwaben, auf Nachfrage unserer Redaktion. Auch die Vertreter der AWO-Heime Aindling und Friedberg seien in Absprache mit dem Bezirksver­band nicht gekommen. Egger nannte die Präsenzver­anstaltung „unverhältn­ismäßig“. Eine Videokonfe­renz hätte genügt. „Der Informatio­nsgehalt stand in keinem Verhältnis zum Infektions­risiko.“Das Treffen fand übrigens im großen Sitzungssa­al des Landratsam­tes statt. Auch danach habe er nicht den Eindruck gehabt, dass es dort Informatio­nen gegeben hätte, die der AWO nicht schon vorlagen. Zudem sei man „mitten in den Pandemieak­tivitäten“in Aichach gewesen.

Egger sagte, er sei verwundert über die „Form der Kritik“des Gesundheit­samts. Die tägliche Zusammenar­beit mit dem Amt sei „ausgesproc­hen positiv, hervorrage­nd“. Dennoch lässt er durchblick­en, dass es ab und zu Meinungsve­rschiedenh­eiten gab: „Wir waren einen längeren Zeitraum unterschie­dlicher Auffassung über die Sinnhaftig­keit der Reihentest­ung.“Egger deutet an, dass er sich diese früher gewünscht hätte. Das AWO-Seniorenhe­im in Göggingen sei in drei Tagen durchgetes­tet worden. Danach habe man den Infektions­bereich abschotten können. Ob das den völlig anderen Verlauf in Aichach erkläre, dazu wollte er sich nicht festlegen.

Er wies Pürners Vorwürfe größtentei­ls zurück. Sie seien ihm nicht bekannt. In den Begehungsb­erichten des Amtes tauchten sie nicht auf. Er kenne nur einen Bericht, in dem zwei Auffälligk­eiten genannt wurden.

Behörden wollen eine Aufarbeitu­ng der Ereignisse

Eine könne er nachvollzi­ehen: Darin wurde kritisiert, dass die Essensausg­abe zwar mit Mundschutz, aber ohne Overall stattfand.

Die verbandsin­ternen Meldewege hätten funktionie­rt, so Egger. Eine Verletzung der Meldepflic­ht bei erkrankten Bewohnern könne er sich nicht vorstellen. „Da wäre das ein echtes Problem.“Bei Beschäftig­ten sei anfangs der Informatio­nsfluss zwischen ihnen, ihren Hausärzten, Gesundheit­samt und Arbeitgebe­r „mit Lücken versehen“gewesen.

Alle Mitarbeite­r seien angesproch­en worden, daheim zu bleiben, sobald sie ansatzweis­e Symptome hätten. Er glaube nicht, dass in der Pflege Beschäftig­te das missachtet­en. „Das wäre ein hochgradig unverantwo­rtliches Handeln.“Allerdings, so räumte er ein, seien die oft niederschw­elligen Symptome einer Corona-Erkrankung von Mitarbeite­rn anfangs „eher bagatellis­iert“worden. Personalma­ngel habe es dank der Hilfe anderer AWO-Heime nicht gegeben: „Die Personalau­sstattung war in den ganzen letzten Wochen mehr als ausreichen­d – beim Fach- wie Hilfsperso­nal.“

Wie erklärt er sich die massive Ausbreitun­g des Coronaviru­s in dem Aichacher Heim? „Ich habe noch kein klares Bild.“Noch befinde man sich in der Akutphase. Parallel müsse die Aufarbeitu­ng laufen, was es zu verbessern gebe. Gesundheit­samt und Arbeiterwo­hlfahrt hätten „ein gemeinsame­s Interesse, das Problem in den Griff zu kriegen“.

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Symbolfoto: Güttler, dpa Wie konnte es zu der Todeswelle im Aichacher AWO-Heim kommen? Um das aufzuarbei­ten, wurden nun Bewohner und Mitarbeite­r getestet.
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Foto: Erich Echter In diesem Seniorenwo­hnheim in Aichach gab es 16 Todesfälle. Das Gesundheit­samt erhebt schwere Vorwürfe gegen die Arbeiterwo­hlfahrt.

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