Sohn sticht achtmal auf Vater ein
Justiz Ein Streit um eine verpasste Hilfe bei einer Autoreparatur eskaliert. Der Angeklagte ist psychisch belastet und glaubt, sein Gesicht sei entstellt
Die Beziehung zwischen Väter und Söhnen gilt in der Soziologie als konfliktbelastet. Dass es bei Streitereien in einer emotionsgeladenen Atmosphäre zum Äußersten kommt, ist freilich eher selten. Warum ein 22-Jähriger im August 2019 in Lechhausen zu einem Messer griff und achtmal auf seinen Vater, 56, einstach und ihn dabei schwer verletzte, soll jetzt in einem mehrtägigen Prozess vor der 1. Strafkammer beim Landgericht unter Vorsitz von Christian Grimmeisen geklärt werden, der am Mittwoch begann.
Das Verhältnis zwischen dem jungen Mann und seinem Vater stand offenbar von Anfang an unter keinem guten Stern. Der Sohn fühlte sich nicht angenommen, warf dem Vater vor, nie für ihn dagewesen zu sein. Schon länger vor der Bluttat befand sich der 22-Jährige in psychiatrischer Behandlung, hielt sich mehrmals stationär in einem Bezirkskrankenhaus auf. Er war durch aggressive Handlungen aufgefallen, war sogar auf eine Therapeutin losgegangen, weil sie „mich schief angeschaut hat“, wie der Angeklagte (Verteidiger: Florian Engert) nun im Prozess sagt. Und der junge Mann bildet sich offenbar wahnhaft ein, sein Gesicht sei entstellt. Zudem, sagen zwei ehemalige Mitgefangene in der JVA Gablingen im Zeugenstand, leide der Angeklagte unter einem Waschzwang. 40- bis 50 Mal habe er sich am Tag die Hände gewaschen. Nach diesen Auffälligkeiten war der 22-Jährige mit einem sogenannten Unterbringungsbefehl in das Bezirkskrankenhaus Kaufbeuren verlegt worden. Ihm wird eine „wahnhafte Störung“ attestiert, die seine Steuerungsfähigkeit einschränkt. Staatsanwalt Konstantin Huber hat ihn der gefährlichen Körperverletzung angeklagt.
Auslöser der Bluttat am Abend des 17. August 2019 war offenbar ein gebrochenes Versprechen. Der arbeitslose junge Mann hatte zugesichert, dem Vater bei der Reparatur des Autos zu helfen. Was er aber dann nicht tat. „Ich hatte keine Lust“, begründet der Angeklagte. Als der Vater am Abend nach Hause kam und ihn zur Rede stellte, entspann sich ein Wortwechsel, der schließlich in einem handfesten
Streit eskalierte. Der Sohn, der sich beschimpft fühlte, ging in die Küche, griff zu einem Messer mit einer Klingenlänge von elf Zentimetern und stach dann auf seinen Vater ein. Drei Stiche trafen den 56-Jährigen im Oberarm, fünf in den Rücken. Das Opfer hatte sich noch wegdrehen können. Die Wucht war so groß, dass sich die Klinge des Messers um fast 90 Grad bog.
Der Vater konnte sich schließlich blutüberströmt aus der Wohnung in einem Mehrfamilienhaus ins Freie retten und um Hilfe schreien. Ein Nachbar legte dem Opfer einen
Notverband an und alarmierte Rettungsdienst und Polizei. Der Sohn ließ sich wenig später widerstandslos von der Polizei festnehmen, nachdem die Beamten die Türe eingetreten hatten. Das blutige Messer lag auf der Anrichte in der Küche. Den Polizisten gegenüber räumte der 22-Jährige unaufgefordert die Tat sofort ein. „Ich hätte weiter auf ihn eingestochen, wenn er nicht weggerannt wäre“, hatte er damals geäußert – ruhig und mit einem leichten Lächeln um die Lippen, wie sich ein Beamter jetzt im Zeugenstand erinnert. „Das empfand ich als
Symbolfoto: Alexander Kaya
seltsam“. Auch auf der Anklagebank beteuert der 22-Jährige, er habe seinen Vater niemals umbringen wollen. „Ich wollte, dass er ruhig ist“, nennt er sein Motiv. Er habe sich durch Schimpfworte erniedrigt gefühlt.
Der Vater, dem als Nebenklageanwalt Udo Reissner zur Seite steht, macht im Prozess von seinem Aussageverweigerungsrecht Gebrauch. Er will seinen Sohn nicht belasten und hat auch gegenüber dessen Anwalt Florian Engert erklärt, er habe seinem Sohn inzwischen verziehen. Der Prozess wird fortgesetzt.