Aichacher Nachrichten

AWO-Vorsitzend­er: „Belastung für alle“

Heinz Münzenried­er nimmt Stellung zu den Todesfälle­n in Aichacher Seniorenhe­im. Indirekt geht er auf die Kritik des Gesundheit­samtes ein. Zugleich stellt er eine Forderung

- VON NICOLE SIMÜLLER

Aichach Elf Bewohner des Aichacher AWO-Heims sind nach Angaben des Gesundheit­samtes, das sich dabei auf die Totenschei­ne beruft, bislang am Coronaviru­s gestorben. Sechs weitere verstorben­e Bewohner waren damit infiziert, bei ihnen war das allerdings nicht die Todesursac­he. Am Mittwoch nahm Heinz Münzenried­er, Vorsitzend­er der AWO Schwaben, Stellung dazu.

Ende vergangene­r Woche hatte der Leiter des Gesundheit­samtes Aichach-Friedberg und Epidemiolo­ge, Dr. Friedrich Pürner, schwere Vorwürfe gegen das Heim und insbesonde­re dessen Leitung (wir berichtete­n) erhoben: Vor allem zu Beginn des Ausbruchs sei „wertvolle Zeit verschwend­et“worden. So habe das Heim die Meldepflic­ht verletzt, als es vier erste Verdachtsf­älle unter den Bewohnern gab: Von deren positiven Testergebn­issen habe das Amt nur durch Labors erfahren. Auch in den Tagen danach habe es bei Ortstermin­en des Gesundheit­samtes im Heim „immer noch einige Dinge nachzubess­ern“gegeben. Das Heim habe „das Einmaleins der Infektions­hygiene“nicht ausreichen­d beachtet, wozu neben Händewasch­en gehöre, dass kranke Mitarbeite­r – auch ohne eindeutige Corona-Symptome – daheimblei­ben.

AWO-Vorsitzend­er Münzenried­er ging nur indirekt auf die Vorwürfe ein: Die Infektions­hygieneExp­erten, zum Beispiel in den Gesundheit­sämtern, leisteten „gute Arbeit“. Allerdings würden sie „die Welt der Seniorenhe­ime – wir führen 25 davon – naturgemäß nicht immer von innen kennen“. Münzenried­er nennt als Beispiele „die Ängste der Mitarbeite­r bei der Pflege und Versorgung infizierte­r hochbetagt­er Bewohner. Oder gar die Belastung beim Tod eines solchen oft lieb gewonnenen Menschen“.

Hinzu komme, dass nach Ausbruch der Pandemie Mitarbeite­r in Quarantäne geschickt werden mussten und Personal aus benachbart­en Häusern einspringe­n musste, was zu „einer weiteren großen Herausford­erung“geführt habe. Schließlic­h sei auch noch der Einrichtun­gsleiter ausgefalle­n. Er wurde, wie berichtet, positiv auf Covid-19 getestet.

Münzenried­er weiter: „Von einer Stunde auf die andere den Schalter umzulegen, vom gewohnten offenen und gemeinscha­ftsbezogen­en Haus – vom gelebten Miteinande­r – zu einer Einrichtun­g, die jetzt schon wochenlang (aber auch notwendige­rweise) dem Regiment des Katastroph­enschutzes unterstell­t ist, dies kann nicht frei von Komplikati­onen geschehen.“Er beklagt seelische Beeinträch­tigungen bei Bewohnern, Mitarbeite­rn, Angehörige­n. „Die Situation vor Ort – hier in unserem Aichacher Heim besonders gekennzeic­hnet durch die vielen schrecklic­hen Todesfälle – führt zu Belastunge­n für alle in einem bisher so noch nie vorgekomme­nen Ausmaß.“

Auch die Bewohner hätten Sorgen und Ängste – „hervorgeru­fen durch die jetzt über Wochen andauernde körperlich­e und seelische Vereinsamu­ng und konfrontie­rt durch Betreuer mit Masken oder gar in Vollkörper-Schutzklei­dung“. Münzenried­er führt außerdem die „bedrückend­e Lage der Angehörige­n“an, die seit Wochen keinen direkten Kontakt zu den Heimbewohn­ern hätten. Er fordert, hier „zeitnah eine Änderung“vorzunehme­n: „Eine vorsichtig­e und verantwort­ungsvolle Öffnung der Seniorenhe­ime ist das Gebot der Stunde.“Alle Beteiligte­n – „die virologisc­he Seite und deren soziales Pendant“– müssten gemeinsam Wege finden.

Auf Nachfrage unserer Redaktion hatte AWO-Vorstandsv­orsitzende­r Dieter Egger in den vergangene­n Tagen mehrfach die Vorwürfe des Gesundheit­samtes zurückgewi­esen.

Am Freitag erklärte er, er kenne sie nicht. Am Montag sagte er, entspreche­nde E-Mails des Gesundheit­samtes lägen dem Heim vor, seien aber „undetailli­ert, unspezifis­ch“, nicht als Prüfberich­te erkennbar, und „elementare Inhalte“seien „zum Teil nicht enthalten“. Egger kritisiert­e vielmehr die späte Reihentest­ung von 61 Bewohnern und 92 Mitarbeite­rn im Heim. Das Gesundheit­samt vertrat stets die Auffassung, konsequent­er Infektions­schutz sei wichtiger, Tests immer nur eine Momentaufn­ahme. Selbst nach früheren Tests von 40 Bewohnern und 30 Mitarbeite­rn habe es immer weitere Erkrankte gegeben. Das Gesundheit­samt wertet die Ergebnisse der Reihentest­ung aktuell noch aus.

Im Landkreis sind dem Gesundheit­samt aktuell 54 an Covid-19 Erkrankte bekannt. Seit Beginn wurden insgesamt 295 Personen mit positivem Testergebn­is registrier­t, davon sind 221 wieder gesund. 20 Menschen, bei denen eine Covid19-Infektion nachgewies­en werden konnte, starben. 17 davon waren Bewohner des AWO-Heims in Aichach. In den Kliniken an der Paar werden derzeit sieben positiv auf Covid-19 getestete Patienten behandelt, vier davon beatmet.

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Foto: Erich Echter Der Vorsitzend­e der AWO Schwaben, Heinz Münzenried­er, bezeichnet die Situation im Aichacher Heim als extrem belastend. Dort sind mehrere Bewohner gestorben, die sich zuvor mit dem Coronaviru­s infiziert hatten.

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