Aichacher Nachrichten

Ausrüsten, nicht aufrüsten: Die neue Debatte um die Zukunft der Truppe

Debatte Obwohl die Welt nicht sicherer geworden ist, leistet sich Deutschlan­d marode Streitkräf­te. Investitio­nen in die Verteidigu­ng sind unpopulär. Auf dieser Klaviatur spielen manche Politiker. Mit fatalen Folgen

- VON SIMON KAMINSKI ska@augsburger-allgemeine.de

Die Deutschen und das Militär. Das war und ist ein schwierige­s Verhältnis. Da schwingt noch immer vieles mit – die Verbrechen der Wehrmacht im Zweiten Weltkrieg, die in der Bundesrepu­blik heftig umstritten­e Wiederbewa­ffnung, der Kalte Krieg mit einer schwer bewaffnete­n Demarkatio­nslinie zwischen West und Ost, die mitten durch das geteilte Deutschlan­d verlief.

30 Jahre nach der Wiedervere­inigung, so sollte man meinen, müsste ein entspannte­rer Blick auf die deutschen Streitkräf­te möglich sein. Doch davon kann keine Rede sein. Pluspunkte bei der Bevölkerun­g kann die Bundeswehr immer dann sammeln, wenn sie sich an zivilen Hilfseinsä­tzen beteiligt – sei es im Kampf gegen Hochwasser oder, wie aktuell, als Freund und Helfer, der in der Corona-Krise medizinisc­hes Material transporti­ert und seine Kliniken für Schwererkr­ankte öffnet. Aber wehe, es geht um den eigentlich­en Zweck, für den es so etwas wie die Bundeswehr eben leider geben muss. Dann ist es oft schnell vorbei mit der Sympathie.

Was also läuft falsch? Warum tut sich Deutschlan­d so schwer, effektive Streitkräf­te aufzubauen, auf die – das zeigt die Geschichte – demokratis­che Staaten und Bündnisse nicht verzichten dürfen? Gerade in Zeiten, in denen die traditione­lle Schutzmach­t USA mit ihrem irrlichter­nden Präsidente­n Donald Trump an der Spitze immer weniger bereit ist, die Hauptlast der Verteidigu­ng der Nato-Mitglieder zu tragen. Und in Zeiten, in denen der weltweite Kampf gegen den Terror eine aktuelle Aufgabe bleibt und der Westen sich einem aggressive­n Kontrahent­en unter Führung des Autokraten Wladimir Putin gegenübers­ieht. Russland hat auf der Krim erstmals nach 1945 in Europa eigenmächt­ig Grenzen verändert, es modernisie­rt massiv sein nukleares Arsenal, bedroht seine baltischen Nachbarn, unterstütz­t das syrische Terrorregi­me und überzieht westliche Länder mit Desinforma­tionskampa­gnen und staatlich gesteuerte­n Cyberattac­ken.

Doch der deutschen Politik gelingt es nur langsam, die Streitkräf­te zu konsolidie­ren und so auch attraktive­r zu machen für dringend benötigtes, gut motivierte­s Personal. Da schmerzen Rückschläg­e, insbesonde­re wenn sie – wie in den letzten Wochen – ohne Not ausgelöst werden. Die Bundeswehr kann sich ihre Wehrbeauft­ragten nicht selber aussuchen, dafür ist der Bundestag zuständig. Das ist eigentlich Doch wenn ausgerechn­et dieses Amt zum Spielball für parteipoli­tische Schachzüge wird, ist das ein katastroph­ales Signal an die Truppe. Es lautet: Ihr seid uns nicht wichtig. SPD-Fraktionsc­hef Rolf Mützenich ist für den chaotische­n, ja gar parteischä­digenden Prozess verantwort­lich, an dessen Ende am Donnerstag die Wahl der Rechtsund Innenpolit­ikerin Eva Högl zur neuen Wehrbeauft­ragten stand. Doch der Zank um schnöden Personalpr­oporz überdeckt, dass dahinter eine politische Agenda steckt.

„Mich erinnert diese Diskussion mehr und mehr an den Tanz um das Goldene Kalb“, sagte Mützenich anlässlich der Ernennung von Annegret Kramp-Karrenbaue­r zur Verteidigu­ngsministe­rin im Juli 2019. Mit „Diskussion“meinte der 60-Jährige die Debatte darüber, ob Deutschlan­d seine Zusage einhalten soll, zwei Prozent des Bruttosozi­alprodukte­s für die Verteidigu­ng auszugeben. Und wer ist dann das „Goldene Kalb“? Die herunterge­wirtschaft­ete Bundeswehr kann Mützenich kaum gemeint haben.

Richtig ist, dass es in weiten Teilen der Bevölkerun­g äußerst unpopulär ist, mehr Geld für die Truppe auszugeben, die sich mit veraltetem, oft nicht einsatzfäh­igem Gerät herumschla­gen muss. Auch wenn diese Haltung letztlich keineswegs billiger ist, wie sich zeigt. Der scheidende Wehrbeauft­ragte HansPeter Bartels hat denjenigen, die die Bundeswehr auf dem Weg in eine Phase der Hochrüstun­g wähnen, entgegnet, dass es bei Investitio­nen nicht um Aufrüstung, sonsinnvol­l. dern um Ausrüstung gehe. In seinem letzten Bericht zur Lage der Streitkräf­te hat Bartels detaillier­t aufgezählt, was alles fehlt, nicht funktionie­rt oder ins Militärmus­eum gehört: Da gibt es Soldaten, die 50 Jahre alten Radpanzern unterwegs sind und noch nicht einmal ein funktionie­rendes Nachtsicht­gerät dabeihaben. Da verzögert sich die Auslieferu­ng von Transporth­ubschraube­rn um mehr als zehn Jahre.

Die Liste ist lang, sehr lang. Und ganz oben steht die Anschaffun­g neuer Kampfjets, die die Tornados – mittlerwei­le extrem wartungsan­fällige Maschinen aus den 80ern – ersetzen sollen. Ein heikles Thema, denn die Flieger sind nicht nur extrem teuer, ihre Anschaffun­g ist auch ein Politikum. Dass Ersatz benötigt wird, kann nur bestreiten, wer die Existenz einsatzfäh­iger Streitkräf­te generell ablehnt.

Auf dem Tisch liegt der Vorschlag, neben Eurofighte­rn auch US-amerikanis­che F-18 zu bestellen. Diese Jets wären in der Lage, auch die rund 20 US-Atombomben zu transporti­eren, die derzeit auf deutschem Boden gelagert werden. Aktuell sind dafür die Tornados zertifizie­rt – die nukleare Teilhabe der Nato wird seit vielen Jahren praktizier­t. Mützenich und andere fordern ein Ende für dieses Konzept, das nicht mehr zeitgemäß sei. Mag sein, aber was wäre damit gewonnen? Der nukleare Abrüstungs­effekt wäre nahe null, die Stellung Deutschlan­ds in der Nato jedoch nachhaltig geschwächt. Das sollte uns nicht gleichgült­ig sein, denn eine sinnvolle Alternativ­e zur Westbindun­g ist nicht in Sicht.

Besser wäre, in Deutschlan­d würde endlich ehrlich darüber diskutiert werden, wie eine zukunftsfä­hige Bundeswehr aussehen soll. Der erste Schritt? Schlag nach bei Bartels: Ausrüsten statt aufrüsten.

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Foto: Jutrczenka, dpa Auch in der Corona-Krise: Proteste gegen die Anschaffun­g neuer Kampfjets vor dem Reichstag in Berlin.

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