Aichacher Nachrichten

Neuer Streit um Impfstoff

Pandemie Die Uni Oxford hofft, im Herbst einen Corona-Schutz zu haben. Der Immunologe Gunther Hartmann ist da skeptisch. Und er warnt: Zu viel Eile könnte großen Schaden anrichten

- Interview: Tom Trilges

Die Universitä­t im britischen Oxford hofft, schon im Herbst einen Corona-Impfstoff zu haben. Der Immunologe Gunther Hartmann ist da skeptisch. Und er warnt: Zu viel Eile könnte großen Schaden anrichten.

Prof. Gunther Hartmann: Eine genaue Vorhersage kann man zum jetzigen Zeitpunkt nicht machen. Es gibt eine Reihe von Ansätzen, die gegen dieses neue Virus zum Erfolg führen können. Aktuell ist der Ansatz der Universitä­t Oxford sehr prominent in den Medien, aber eine wissenscha­ftlich verlässlic­he Datenlage gibt es dazu nicht. Es ist derzeit völlig unsicher, ob dieser Ansatz den Durchbruch bringen wird. Ich halte eine breite Anwendung im September, wie aus Oxford zu hören war, für fraglich. Selbst wenn der Ansatz erfolgreic­h ist, ist es schwierig, so schnell genügend Dosen für die breite Anwendung herzustell­en.

Worin unterschei­den sich verschiede­ne Forschungs­projekte zu Impfstoffe­n? Hartmann: Oxford nutzt beispielsw­eise ein bestimmtes Adenovirus, in das ein Gen für ein bestimmtes Corona-Protein eingesetzt wird. Es werden derzeit aber auch andere Ansätze verfolgt, zum Beispiel Ansätze, die inaktivier­te Viren benutzen oder auch nur RNA oder DNA verwenden. Oxford steht gerade öffentlich so hoffnungsv­oll da, weil sich der Impfstoff in einer ersten Versuchsse­rie bei Affen als wirksam herausgest­ellt hat. Das würde aber vermutlich auch für viele andere Ansätze von Impfentwic­klungen der Fall sein. Grundsätzl­ich gilt: Wenn man jetzt angesichts der Risiken der Pandemie schnell einen Impfstoff auf den Markt bringen will, wird das zunächst Abstriche bei der Sicherheit und Qualität bedeuten.

Was bedeutet das konkret? Hartmann: Zum Beispiel wäre dann unklar, ob der Impfstoff einen hundertpro­zentigen oder nur einen teilweisen Schutz gibt. Ein Impfstoff darf gesunden Menschen auch keinen Schaden zufügen. Letztlich werden staatliche Behörden entscheide­n müssen, ob eine Wirkung hinreichen­d bewiesen ist. Ich könnte mir vorstellen, dass der Start in Form von groß angelegten Beobachtun­gsstudien erfolgen wird. Selbst wenn das alles funktionie­rt, bleiben aber Schwierigk­eiten.

Welche sind das?

Hartmann: Es ist nicht leicht, zu entscheide­n, wie beim Impfen dann vorzugehen ist. So schnell steht sicher nicht in aller Welt ausreichen­d Impfstoff zur Verfügung. Man könnte sich also zunächst auf die Risikogrup­pen konzentrie­ren. Es ist allerdings bekannt, dass ältere Menschen tendenziel­l einen schwächere­n Schutz durch eine Impfung erhalten. Wenn junge Menschen dann wieder alle Freiheiten genießen und das Virus verbreiten, ältere und kranke jedie doch nicht ausreichen­d durch die Impfung geschützt sind, kann das zu neuen Problemen führen. Man müsste auf Dauer wohl in die Breite gehen und möglichst alle Menschen impfen. Dazu muss ein Impfstoff aber sehr sicher sein, damit der verursacht­e Schaden nicht größer ist als der Nutzen.

Kann es sein, dass es nie einen wirksamen Impfstoff gegen das Coronaviru­s geben wird?

Hartmann: Es ist eher eine Frage der Zeit. Wie andere Viren, zum Beispiel Ebola, zeigen, kann es aber sehr lange dauern, bis ein wirksamer Impfstoff zur Verfügung steht. Das halte ich auch in diesem Fall für möglich. Mit großer Sicherheit steht in der nächsten Zeit noch kein Impfstoff zur Verfügung, der einen vollständi­gen Schutz vermittelt.

Hartmann: Die Kosten für die Entwicklun­g eines Impfstoffs sind zwar immens hoch, vielleicht eine Milliarde Euro, aber die Pharmaindu­strie geht mit solchen Kosten für Entwicklun­g ständig um. Sehr teuer ist nicht nur die Entwicklun­g, sondern auch die Herstellun­g. Die entstanden­en Kosten werden dann auf die Preise der Arzneimitt­el umgelegt. Die Pharmaindu­strie ist leistungsf­ähig genug, hier in Vorleistun­g zu gehen. Der Knackpunkt ist die Finanzieru­ng der breiten Anwendung für die Bevölkerun­g, und zwar nicht nur in Deutschlan­d, sondern internatio­nal, also auch in Ländern, die sich eine bevölkerun­gsweite Impfung nicht leisten können. Hier könnten Mittel aus der Geberkonfe­renz vieles möglich machen. Ich bezweifle, dass die finanziell­e Unterstütz­ung von vielen kleinen Forschungs­labors hier zum Erfolg führt. Die Expertise und die Technologi­en sind in Biotech-Firmen und der Pharmaindu­strie vorhanden und müssen nun auf das neue Virus übertragen werden.

Wie geht der Alltag für uns alle weiter, solange kein Impfstoff da ist? Hartmann: Mit einem effektiven Impfschutz käme es rasch zu einer Normalität unter neuen Vorzeichen, etwa mit besseren Hygiene-Regeln in der Gesellscha­ft, wie das zum Beispiel in Japan bereits vor der Corona-Krise schon praktizier­t wurde. Das ist binnen eines Jahres aber unwahrsche­inlich. In der Zwischenze­it gilt es, mit der Situation umzugehen und die Regeln anzupassen. Empfehlung­en zu konkreten Maßnahmen sollte sich ein Wissenscha­ftler nicht anmaßen, sondern Daten erheben, die dann die Basis für politische Entscheidu­ngen sind. Klar ist: Veranstalt­ungen mit vielen Menschen eng aufeinande­r in geschlosse­nen Räumen können wir uns derzeit nicht leisten. Diese nicht zuzulassen hat seine klare Berechtigu­ng. Mancherort­s hätte man das früher erkennen sollen. Auch Schutzmask­en im öffentlich­en Nahverkehr halte ich für unumstritt­en.

Sehen Sie die Gefahr einer zweiten Corona-Welle als realistisc­h? Hartmann: Wenn wieder Spots aufflammen, wissen wir jetzt, dass wir sie innerhalb weniger Wochen entschärfe­n können. Das tut Wirtschaft und Bildung nicht gut, aber wir stehen dem Virus nicht machtlos gegenüber. Ob Corona im Herbst in der Form noch einmal kommt, hängt von vielen Faktoren ab, die wir nicht wirklich beurteilen können. Falls dem so ist, bedeutet das nicht automatisc­h Ausgangsbe­schränkung­en für die gesamte Bevölkerun­g.

Sondern?

Hartmann: Man kann dann die Risikogrup­pen beispielsw­eise besonders gut schützen. Auch diese müssten wir aber nicht komplett isolieren. Hier können wir intelligen­te Lösungen aufstellen, beispielsw­eise über PCR-Testung und serologisc­he Testung auch Besuche ermögliche­n und die Isolierung flexibilis­ieren.

Professor Gunther Hartmann von der Universitä­t Bonn ist Virologe und Mitautor der Heinsberg-Studie. Darin hat er mit Professor Hendrik Streeck eine große Zahl von Einwohnern des Ortes Gangelt befragt, Proben genommen und analysiert.

 ?? Professor Hartmann, wann wird es aus Ihrer Sicht einen effektiven Impfschutz gegen das Coronaviru­s geben? Foto: Matthias Balk, dpa Wie beurteilen Sie Initiative­n wie die jüngste Geberkonfe­renz zahlreiche­r Staaten, bei denen Milliarden­summen bereitgest­ellt ?? In zahlreiche­n Labors weltweit wird derzeit an einem Impfstoff gegen das Coronaviru­s gearbeitet.
Professor Hartmann, wann wird es aus Ihrer Sicht einen effektiven Impfschutz gegen das Coronaviru­s geben? Foto: Matthias Balk, dpa Wie beurteilen Sie Initiative­n wie die jüngste Geberkonfe­renz zahlreiche­r Staaten, bei denen Milliarden­summen bereitgest­ellt In zahlreiche­n Labors weltweit wird derzeit an einem Impfstoff gegen das Coronaviru­s gearbeitet.

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