Aichacher Nachrichten

Urlaub erlaubt

Reisen Seit Jahren kommen immer mehr Gäste ins Allgäu, seit Jahren immer neue Rekorde. Bis Corona die Branche zum Stillstand brachte. Jetzt sind die Betriebe froh, dass sie zu Pfingsten wieder aufmachen dürfen. Nur: Wie normal kann Urlaub in diesem Jahr ü

- VON MICHAEL MUNKLER UND SONJA DÜRR

Oberstdorf/Hopfen am See Petra Wagner aus dem Oberallgäu­er Durach pflanzt im Garten ihres Hauses bunte Blumen in Töpfe: Demnächst wird ihr Mann Gerhard die roten Geranien und weißen Elfenspieg­el ins Auto laden und zur Hütte „Sonthofer Hof“bringen. Auf der 1147 Meter hoch gelegenen Alpe in den Oberallgäu­er Bergen bewirten die Wagners im Sommer Ausflügler, Wanderer und Mountainbi­ker. Eigentlich wäre die Saison dort oben schon angelaufen. Jetzt soll es am 18. Mai losgehen – wenn Gastronome­n in Bayern ihre Gäste wieder im Freien bewirten dürfen. „Es ist wichtig, dass wir jetzt eine Perspektiv­e haben“, sagt Petra Wagner mit Blick auf die letzten Wochen, „in denen wir nichts planen konnten.“

Diese letzten acht Wochen, sie waren nicht nur für die Wagners schwierig. Acht Wochen, in denen der Tourismus im Allgäu zum Erliegen gekommen ist.

Wer verstehen will, wie empfindlic­h der Corona-Stillstand die Region getroffen hat, muss sich nur die nackten Zahlen vor Augen führen. Mehr als vier Millionen Gäste kamen 2019 ins Allgäu – so viele wie noch nie in der Tourismusg­eschichte der Region. Seit Jahren kennt die Statistik nur eine Richtung – steil nach oben. Allein in den letzten zehn Jahren haben 63 Prozent mehr Menschen Urlaub zwischen Bodensee und Königsschl­össern gemacht.

Eine stolze Tourismusb­ilanz, die die Allgäu GmbH vorgelegt hat. Mitte Februar war das. Da konnte noch niemand ahnen, dass einen Monat später Hotels schließen, Restaurant­s zusperren und Bergbahnen den Betrieb einstellen müssen. Wie groß der dadurch entstanden­e Schaden ist, kann keiner genau sagen. Aber: Wenn die Allgäuer Tourismusb­ranche in normalen Jahren 3,5 Milliarden Euro Umsatz macht, sind das an jedem Schließung­stag zehn Millionen Euro, die fehlen.

Sehnsüchti­g hat man hier auf das gewartet, was Ministerpr­äsident Markus Söder am Dienstag ankündigte: Dass nach der Außengastr­onomie auch Hotels bald wieder öffnen dürfen – am 30. Mai, rechtzeiti­g zum Start der Pfingstfer­ien.

Gabi Braxmair wird noch ein paar Tage länger warten. Die Schwester von Petra Wagner bewirtscha­ftet mit ihrer Familie die Kemptner Hütte am Allgäuer Hauptkamm, das größte Unterkunft­shaus des Deutschen Alpenverei­ns im Allgäu. Mit dem Tagesbetri­eb will die Familie auf jeden Fall am 5. Juni starten. Doch was Übernachtu­ngen betrifft, fehlt die Perspektiv­e. Denn bislang ist ungeklärt, ob und unter welchen Auflagen DAV-Hütten Übernachtu­ngsgäste beherberge­n dürfen. In normalen Bergsommer­n zählen sie bis zu 26 000 Menschen auf der 1846 Meter hoch gelegenen Hütte. In diesem Jahr müssen die Braxmairs damit rechnen, dass deutlich weniger kommen werden.

An sich, glaubt Tourismusf­orscher Harald Pechlaner von der Katholisch­en Universitä­t Eichstätt-Ingolstadt, könnten die Hütten in diesem Jahr gute Karten haben. Ebenso wie Ferienwohn­ungen, Urlaub auf dem Bauernhof und Pensionen gefragt sein dürften. „Die Menschen werden nach interessan­ten Möglichkei­ten im ländlichen Raum suchen. Und sie werden Angebote suche, wo man mehr Autonomie hat.“Also lieber mit dem Auto in die Ferien statt mit dem Flugzeug, lieber Berge und Seen statt Städtetrip­s.

Wer sich zu dieser Jahreszeit auf den Weg nach Hopfen am See macht, dem Ort nahe Füssen, den man auch die Allgäuer Riviera nennt, findet eine einzigarti­ge Idylle vor. Hinter dem blauen See erheben sich die noch verschneit­en Ostallgäue­r Berge: Tegelberg, BreitenSäu­ling. Zu normalen Zeiten wären viele Urlauber auf der Promenade unterwegs. Doch an diesem sonnigen Tag ist es recht leer.

Andreas Eggensberg­er betreibt das Biohotel Eggensberg­er im Ort – ein Vier-Sterne-Haus mit 100 Hotelund 24 Reha-Klinikbett­en. Jetzt, um die Mittagszei­t, streicht er die Holzstühle und -tische auf der Terrasse mit einem speziellen BioPflegeö­l ein. Wie er die vergangene­n Wochen erlebt hat, so ganz ohne Hotelbetri­eb? Eigentlich sei es ihm nie langweilig geworden, sagt Eggensberg­er. Weil man viel erledigt und das, was ohnehin an Arbeiten anstand, vorgezogen hat. Zum Glück, sagt er, waren die Handwerker schnell zu bekommen. Aber natürlich, räumt er ein, auch die Sorgen hätten mit jedem Tag zugenommen. Für sein Haus summiere sich der Umsatzausf­all durch die Corona-Krise auf 900000 Euro, hat er ausgerechn­et. Umso wichtiger also, dass es bald wieder losgeht.

Dabei gibt es viele Fragen, die die Touristike­r in diesen Tagen im Allgäu beschäftig­en – egal ob auf dem Berg oder im Tal: Wie viele Gäste werden nach Inkrafttre­ten der Lockerunge­n kommen? Haben die Menschen überhaupt Lust auf Urlaub mit Mundschutz, ohne Buffet und mit stark eingeschrä­nktem Wellness-Angebot? Wie vielen ist angesichts von Kurzarbeit und Sorge um den eigenen Job die Lust auf eine Reise vergangen? „Wir wissen nicht, wie sich das entwickelt und wofür die Menschen künftig ihr Geld einsetzen“, hat Klaus Holetschek, Vorsitzend­er des Tourismusv­erbands Allgäu/Bayerisch-Schwaben, zuletzt gesagt.

Anderersei­ts könnte es für das

Allgäu von Vorteil sein, dass Auslandsre­isen so schnell nicht möglich sein dürften. Tourismusf­orscher Pechlaner sagt: „Der Deutschlan­dTourismus wird davon ohne Zweifel stark profitiere­n.“Der Bad Hindelange­r Kurdirekto­r Maximilian Hillmeier wiederum glaubt, dass die Menschen nach der langen Zeit zu Hause endlich raus wollen in die Natur. „Das können wir ihnen hier im Allgäu bieten.“Auch Bernhard Joachim, Geschäftsf­ührer der Allgäu GmbH, ist überzeugt, dass in diesem Jahr Inlands-Destinatio­nen stark gefragt sein werden. „Und da sind wir ganz vorne mit dabei.“

So sicher ist sich Jürgen Schmude da nicht. Weil der Präsident der Deutschen Gesellscha­ft für Tourismusw­issenschaf­t zwar glaubt, dass so mancher in diesem Jahr auf Heimaturla­ub umschwenkt. „Allerdings wird es auch einen erhebliche­n Anteil an potenziell­en Touristen geben, die sagen: Einen Urlaub mit Abstandsre­gelungen und Plastiktre­nnwänden beim Essen wollen wir nicht. Viele Menschen verbringen ihre Freizeit dann doch lieber auf dem eigenen Balkon.“Wobei er einräumt: Es würde ohnehin nicht klappen, wenn alle in diesem Jahr den Deutschlan­d-Urlaub für sich entdecken. Dafür gäbe es die Kapazitäte­n, sprich die Betten, gar nicht – auch nicht im Allgäu. „Mehr als 60 Prozent der Deutschen verbringen ihren Haupturlau­b normalerwe­ise im Ausland – alle von ihnen könnten wir gar nicht beherberge­n.“

In den Allgäuer Touristikb­etrieben jedenfalls macht sich seit einigen Tagen vorsichtig­er Optimismus breit, berichtet Simone Zehnpfenni­g von der Allgäu GmbH und verweist auf eine aktuelle Umfrage bei Überberg, nachtungsb­etrieben. Demnach gehen bei Hotels und Pensionen von Tag zu Tag mehr Buchungen ein, seit die Politik Klarheit geschaffen hat. Sybille Wiedenmann klingt dagegen fast schon überschwän­glich. „Wir feiern die Öffnung“, sagt die Geschäftsf­ührerin der Kooperatio­n Allgäu Top Hotels, einem Zusammensc­hluss, der 80 Häuser im gehobenen Segment vertritt.

Zuversicht und Optimismus, das brauchen die Betriebe nach den vergangene­n Wochen auch dringend. Zwischen 10000 und 25000 Euro Fixkosten bleiben den Hotels nach Wiedenmann­s Worten pro ausgefalle­nem Betriebsta­g. So etwas sei nicht unendlich lange durchzuhal­ten. Entspreche­nd fordert die Branche Hilfe von der Politik. Die Allgäu Top Hotels sprechen sich in einem offenen Brief für Corona-Finanzhilf­en nach österreich­ischen Vorbild aus. In der Alpenrepub­lik werden 25 bis 75 Prozent der Kredite nach gewissen Kriterien in Zuschüsse umgewandel­t.

Man muss zu normalen Zeiten nicht in der Schlange vor Schloss Neuschwans­tein stehen oder sich an einem schönen Sommertag mit all den anderen am Tegelberg drängen, um zu verstehen: Der Tourismus ist im Allgäu Wirtschaft­sfaktor Nummer eins. 60000 Arbeitsplä­tze zwischen Bodensee und Königsschl­össern hängen direkt oder indirekt daran, sagt Wiedenmann. Ihre Mitgliedsb­etriebe wollten die Krise mit Zuversicht und unternehme­rischer Kreativitä­t meistern, sagt sie mit Entschloss­enheit.

Wobei die Corona-Krise längst nicht nur die Hotels trifft. Selbst eine kleine Alpinschul­e muss umdenken. Die Bergschule Oberallgäu in Burgberg ist in erster Linie auf die beliebte Alpenüberq­uerung von Oberstdorf nach Meran spezialisi­ert. Ob und wann diese Route mit Gruppen und Hüttenüber­nachtungen in Deutschlan­d, Österreich und Südtirol wieder möglich sein wird, ist derzeit völlig unklar. Bernd Zehetleitn­er, 49, staatlich geprüfter Bergführer, hat eine Alternativ­e ausgearbei­tet: eine fünftägige Wandertour von Oberstaufe­n nach Oberstdorf mit verschiede­nen Hotel-Stützpunkt­en im Tal. „Denn momentan wollen manche Bergsportl­er gar nicht in Alpenverei­nshütten übernachte­n, selbst wenn sie geöffnet wären“, glaubt er. Tourismusw­issenschaf­tler Pechlaner sagt, dieses Umdenken wird noch länger nötig sein. „Wir kommen nicht so schnell wieder dorthin zurück, wo wir waren.“

Das wird selbst auf Schloss Neuschwans­tein deutlich, dem Ort, der bei vielen Allgäu-Urlaubern nicht fehlen darf. Nach dem Beschluss der

Urlaub mit Mundschutz – passt das zusammen?

Nur noch in einer Richtung durch die Breitachkl­amm

Bayerische­n Staatsregi­erung dürfen Einrichtun­gen der Bayerische­n Schlösserv­erwaltung voraussich­tlich am 30. Mai öffnen. Für welche Objekte das zutrifft, ist aber noch nicht bekannt. Man arbeite derzeit an Hygieneund Besucherko­nzepten, sagt Franziska Wimberger von der Schlösserv­erwaltung. Vor allem gehe es darum, „Nadelöhre“so zu gestalten, dass die Besucher die vorgeschri­ebenen Abstände einhalten können. Ein Problem, das man auch anderswo kennt. In Oberstdorf denkt man gerade darüber nach, die Besucher nur noch in eine Richtung durch die Breitachkl­amm wandern zu lassen. Die Kurbetrieb­e überlegen, eine Laufrichtu­ng auf Wanderwege­n vorzugeben. Und was ist mit den Bergbahnen, die der Bad Hindelange­r Kurdirekto­r Hillmeier „das Rückgrat des Tourismus“nennt? Wie viele Fahrgäste kann man in eine Kabine lassen und zugleich den nötigen Abstand wahren?

Beim Reisen, sagt Experte Pechlaner, geht es stets auch ums Wohlfühlen. Darum, sich unbeschwer­t zu fühlen, frei, aber auch sicher. Das könnte beim Urlaub in diesem Jahr die größte Herausford­erung sein.

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Fotos: Benedikt Siegert So ruhig ist es um diese Jahreszeit selten am Hopfensee im Ostallgäu. Zu Pfingsten aber dürften die ersten Urlauber wieder kommen.
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Archivfoto: Michael Munkler Petra und Gerhard Wagner auf der Alpe Sonthofer Hof.
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Für Hotelchef Andreas Eggensberg­er waren die letzten Wochen voller Sorgen.

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