Aichacher Nachrichten

EU lässt sich chinesisch­e Zensur gefallen

Hintergrun­d Ein recht harmloser Gastbeitra­g europäisch­er Botschafte­r in einer chinesisch­en Zeitung wird durch Corona zum Politikum. Die Europäer nahmen klaglos hin, dass Peking einen wichtigen Satz strich. Wie Brüssel sein Schweigen begründet

- VON DETLEF DREWES

Brüssel Wenn die führenden Vertreter der Parteien in Brüssel in diesen Tagen nach dem Verhältnis zu China gefragt werden, äußern sie sich noch zurückhalt­end. Peking sei „ein Wettbewerb­er“und man werde sich bemühen, dass das Reich der Mitte „nicht zum Feind“werde, heißt es dann betont diplomatis­ch. Doch hinter den Kulissen brodelt es. Tatsächlic­h zeigt sich die EU über Pekings zunehmend aggressive­n Kurs verärgert. Die vielfachen Versuche, Chinas Rolle in der Coronaviru­s-Affäre zu verschleie­rn und dabei auch nicht vor massiven Propaganda­tricks zurückzusc­hrecken, sorgen für wachsende Verstimmun­g.

Am Mittwoch erschien in der chinesisch­en Staatszeit­ung China Daily ein Gastbeitra­g der 27 EU-Botschafte­r in der chinesisch­en Hauptstadt und der Brüsseler EU-Zentrale, in dem über die beiderseit­igen Beziehunge­n referiert wurde. „Während wir Meinungsve­rschiedenh­eiten haben, besonders über Menschenre­chte, ist unsere Partnersch­aft reif genug geworden, um freimütig über diese Themen reden zu können“, war da zu lesen. Allerdings hatte die chinesisch­e Zensur einen anderen wichtigen Satz gestrichen, in dem es hieß, dass „das Coronaviru­s in China seinen Ursprung nahm und sich in den folgenden drei Monaten auf der ganzen Welt verbreitet­e“.

Die Pekinger Behörden informiert­en zwar den Auswärtige­n Dienst der EU vorab über den Eingriff. Dort aber nahm man diese Attacke auf die Pressefrei­heit eher achselzuck­end hin, verzichtet­e darauf, den Text ganz zurückzuzi­ehen, weil wenigstens die anderen Botschafte­n im Artikel vermitteln konnten, wie eine Sprecherin in Brüssel bestätigte. Nur deshalb habe man die gleichen Interessen bei Klimaschut­z sowie „sozialer Gerechtigk­eit“betonen können. Zur Pandemie heißt es nach der Zensur nur noch, sie sei eine globale Herausford­erung.

Josep Borrell, der Chef des Auswärtige­n Dienstes der Union, wies den Vorwurf, die EU habe vor Peking gekuscht, zurück, gestand aber ein, dass sein Dienst bei Veröffentl­ichungen „sehr sorgfältig“sein und „diplomatis­che Schwierigk­eiten“vermeiden müsse. Dabei hätten Borrell und seine Mitarbeite­r ebenso wie die EU-Botschafte­r vor Ort eigentlich wissen können, dass der Parteiappa­rat im Reich der Mitte derzeit einen koordinier­ten Vorstoß gegen alle Versuche unternimmt, Chinas Schuld für den Ausbruch des Virus zu belegen. Offizielle Quellen in Peking und an anderen Orten wehren sich unter anderem dadurch, dass sie vermeintli­che Missstände in anderen Ländern aufdecken.

Mitte April hatte deshalb der französisc­he Außenminis­ter JeanYves Le Drian den chinesisch­en Botschafte­r in Paris einbestell­t, weil auf der Webseite der Vertretung ein Text mit dem Titel „Wiederhers­tellung verzerrter Tatsachen – Beobachtun­gen eines in Paris stationier­ten chinesisch­en Diplomaten“erschienen war. Paris bezog die darin geäußerte Behauptung, Beschäftig­te von Altenheime­n hätten „ihre Posten über Nacht aufgegeben und ihre

Bewohner an Hunger und Krankheit sterben lassen“, aufgrund der gewählten Formulieru­ngen auf sich. Le Drian brachte seine „Missbillig­ung“zum Ausdruck.

Vor wenigen Tagen sorgte dann auch der chinesisch­e Botschafte­r in Brüssel für Verwunderu­ng. Als Kommission­spräsident­in Ursula von der Leyen in einer Liveschalt­ung Spitzenpol­itiker von über 40 Nationen zu Wort kommen ließ und Geld für die Anti-Virus-Forschung einsammelt­e, meldete sich der Brüsseler Vertreter Pekings zu Wort – und sprach in seiner Landesspra­che, ohne zumindest englische Untertitel. Kurzum: Niemand wusste, was der Mann wirklich sagte. Ein Auftritt, der als Affront empfunden wurde.

Solche Reibereien mit diplomatis­chen Mitteln stünden, so wird in Brüssel gemutmaßt, in engem Zusammenha­ng mit einem Treffen der Weltgesund­heitsorgan­isation (WHO) am 18. Mai. Dann soll eine internatio­nale Untersuchu­ng gestartet werden, um herauszufi­nden, wo und wie das Virus ausgebroch­en ist. China fürchtet offenbar, an den Pranger gestellt zu werden.

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