So werden Infektionszahlen berechnet
Gesundheit Bis ein Corona-Fall in die Statistik eingeht, dauert es ein paar Tage. Diese Zeit soll mit der Nowcast-Methode überbrückt werden. Allerdings hilft dieses Vorgehen nicht immer
Augsburg Die Realität ist uns immer ein paar Schritte voraus. Zumindest was die Corona-Fälle angeht. Bis ein Erkrankter bei den Behörden gemeldet ist, vergehen einige Tage, manchmal Wochen. Die jeden Tag veröffentlichten Infektionszahlen sind also nie ganz aktuell. Um ein besseres Bild der Lage zu bekommen, haben Statistiker ein Rechenmodell entwickelt, das die Zeit zwischen Erkrankung und Meldung überbrücken soll. Nowcast heißt die Methode. Damit kann die Wissenschaft die Infektions-Realität zwar nicht einholen, ihr aber zumindest ein paar Schritte näherkommen.
Grundsätzlich gibt es zwei Arten, die Neuinfizierten statistisch zu beschreiben. Man kann zeigen, wie viele Erkrankte an einem Tag gemeldet wurden. Oder, die zweite Methode, man geht nicht vom Meldungstag aus, sondern vom Erkrankungstag. Wenn ein Patient positiv auf Covid-19 getestet ist, gibt er an, wann die Symptome das erste Mal aufgetreten sind. Dieser Tag wird dann in der Statistik erfasst.
Helmut Küchenhoff vom Statistischen Beratungslabor der LudwigMaximilians-Universität in München rät zur zweiten Methode. „Die Kurve der Meldungen geht wild hin und her, weil zum Beispiel am Wochenende nicht getestet wird. Bei den Erkrankungsbeginnen sieht man eine stetige Kurve.“Meldeverzug gibt es bei beiden Modellen.
In Bayern werden die Infektionszahlen vom Landesamt für Gesundheit (LGL) gesammelt. Von der Erkrankung bis zur fertigen Statistik vergehen ein paar Tage: Ein Erkrankter spürt erste Symptome, geht zum Arzt, lässt sich auf Corona testen und wartet auf die Auswertung. Ist der Test positiv, kontaktiert der Arzt das zuständige Gesundheitsamt. Erst das leitet den Fall dann an das LGL.
Deshalb erweitern LMU-Forscher Küchenhoff und seine Kollegen die Erkrankungsstatistik mit der Nowcast-Methode. Aus vorhandenen Daten lässt sich ablesen, wie lange es etwa von ersten Symptomen bis zur Meldung dauert. Diese Informationen nutzen die Statistiker, um die tatsächlichen Erkrankungen aus den vorliegenden Meldedaten zu schätzen.
Das statistische Beratungslabor veröffentlicht die Kurve seit Mitte April. Das Modell gibt es aber schon länger. Ein Wissenschaftler der Universität Stockholm hatte es vor dem Hintergrund des EHEC-Ausbruchs entwickelt. Um für CoronaErkrankungen valide Daten zu liefern, musste das Rechenmodell erst auf die Epidemie angepasst werden.
Entscheidende Faktoren waren zum Beispiel die Unsicherheiten beim tatsächlichen Krankheitsbeginn.
Schaut man auf die NowcastKurve für Bayern, reicht sie nicht ganz an die Gegenwart heran. Sie endet immer etwa vier Tage vor dem aktuellen Datum. „Wir schätzen ja aus den vorhandenen Meldungen. Wenn heute ein Fall gemeldet wird, liegt die Erkrankung ein paar Tage vorher“, sagt Küchenhoff. Für die zurückliegende Woche liegen die geschätzten Daten immer über den ausgewiesenen Erkrankungen. Je aktueller das Datum, desto deutlicher der Unterschied.
Für den 2. Mai ist das Nowcasting mehr als viermal so hoch angesetzt. Am 24. April liegt es nur knapp darüber. Der Grund ist, dass Fälle nachgemeldet werden. Für einen weiter zurückliegenden Tag sind entsprechend mehr Erkrankungsbeginne nachgemeldet worden als für ein aktuelleres Datum. So nähern sich die gemeldeten Erkrankungstage mit der Zeit an die Nowcast-Kurve an.
Die bleibt seit dem 25. April etwa auf dem gleichen Niveau, mit Tendenz nach unten. Die Neuerkrankungen gehen also leicht zurück. Würde man nur auf die gemeldeten Erkrankungstage schauen, könnte man den Eindruck gewinnen, der Rückgang sei deutlich stärker. In dieser Kurve fehlen jedoch die nachgemeldeten Fälle, die erst in den nächsten Tagen dazukommen.
Ein Problem wird aber auch Nowcast nicht lösen können: die Dunkelziffer. Fälle also, die überhaupt nicht gemeldet wurden, weil keine Symptome aufgetreten sind. Wenn nicht mal die Infizierten wissen, dass sie das Virus haben, dann kann auch die Statistik nicht weiterhelfen.
Die Neuerkrankungen gehen leicht zurück