Vom Glück, kein Olympiasieger zu sein
Anruf bei Michael Greis. Dreifacher Biathlon-Olympiasieger. Einer, um den man sich Sorgen machen muss. Zumindest, wenn man eine neue Studie liest, in der es um die Lebenserwartung von Spitzensportlern geht. Lutz Thieme, Professor für Sportmanagement und Sportökonomie am RheinAhrCampus der Hochschule Koblenz, hat sich die Mortalitätsrate jener 6066 deutschen Sportler angeschaut, die zwischen 1956 und 2016 an Olympischen Spielen teilgenommen haben. Das Ergebnis: Olympiateilnehmer sterben früher als der Durchschnitt der Bevölkerung. Am kürzesten leben Olympiasieger. Die Studie ist seriös und wurde im German Journal of Exercise and Sport Research veröffentlicht.
Greis nimmt ab. Er ist gerade beim Joggen mit seiner Freundin. Es rumpelt in der Leitung. Seit der vergangenen Saison arbeitet Greis als Nationaltrainer der polnischen Biathletinnen. Ihm gehe es gut, sagt der dreifache Olympiasieger. 2006 hatte er in Turin Gold im Einzelrennen, Massenstart und mit der Staffel geholt. Das macht ihn nun zum Mitglied einer gefährdeten Gruppe. Die Studie habe er auch gelesen, schnauft Greis ins Handy. Interessant sei das alles. Da er aber im Bestattungsbusiness groß geworden sei, wisse er ganz gut, dass das Leben hintenraus meistens nicht gut ausgehe. Zur Erklärung: Greis’ Eltern hatten in Nesselwang im Allgäu ein Bestattungsunternehmen. Deshalb sei er ganz entspannt, wenn es um den Tod gehe.
Aber was nun anfangen mit dieser Studie, die dem Sport attestiert, in seiner Spitze dem Fortleben nicht besonders zuträglich zu sein? Vor allem hilft sie all jenen, die sich nicht von ihr angesprochen fühlen müssen. Die wenigsten von uns sind Olympiasieger. Bestenfalls Vereinsmeister. Ein Glück, dass wir uns gegen eine Karriere als Weltklasse-Athlet entschieden haben. Das Talent wäre zweifelsohne da gewesen. Sport ist gesund, haben sie gesagt. Aber im Nachhinein war es richtig, auf dieses ganze Training verzichtet zu haben. All der Schweiß, der nicht geflossen ist. All die Triumphe, die nicht gefeiert wurden. Was nützt denn auch so ein lumpiger Olympiasieg, wenn einem dafür die Zielgerade gekürzt wird? Dann doch lieber auf dem Sofa sitzen und den Olympiasiegern bei der Arbeit zuschauen. Ist auch nicht ganz so anstrengend.
Michael Greis joggt weiter. Vorher sagt er noch, dass er sich die Studie vielleicht doch noch genauer anschauen werde. Es stellten sich Fragen. Was passiert zum Beispiel, wenn einer gleich dreimal Olympiasieger war? Gibt das Mengenrabatt? So geht Galgenhumor. Noch nie war es schöner, kein Olympiasieger zu sein.