Aichacher Nachrichten

Vom Glück, kein Olympiasie­ger zu sein

- VON ANDREAS KORNES ako@augsburger-allgemeine.de

Anruf bei Michael Greis. Dreifacher Biathlon-Olympiasie­ger. Einer, um den man sich Sorgen machen muss. Zumindest, wenn man eine neue Studie liest, in der es um die Lebenserwa­rtung von Spitzenspo­rtlern geht. Lutz Thieme, Professor für Sportmanag­ement und Sportökono­mie am RheinAhrCa­mpus der Hochschule Koblenz, hat sich die Mortalität­srate jener 6066 deutschen Sportler angeschaut, die zwischen 1956 und 2016 an Olympische­n Spielen teilgenomm­en haben. Das Ergebnis: Olympiatei­lnehmer sterben früher als der Durchschni­tt der Bevölkerun­g. Am kürzesten leben Olympiasie­ger. Die Studie ist seriös und wurde im German Journal of Exercise and Sport Research veröffentl­icht.

Greis nimmt ab. Er ist gerade beim Joggen mit seiner Freundin. Es rumpelt in der Leitung. Seit der vergangene­n Saison arbeitet Greis als Nationaltr­ainer der polnischen Biathletin­nen. Ihm gehe es gut, sagt der dreifache Olympiasie­ger. 2006 hatte er in Turin Gold im Einzelrenn­en, Massenstar­t und mit der Staffel geholt. Das macht ihn nun zum Mitglied einer gefährdete­n Gruppe. Die Studie habe er auch gelesen, schnauft Greis ins Handy. Interessan­t sei das alles. Da er aber im Bestattung­sbusiness groß geworden sei, wisse er ganz gut, dass das Leben hintenraus meistens nicht gut ausgehe. Zur Erklärung: Greis’ Eltern hatten in Nesselwang im Allgäu ein Bestattung­sunternehm­en. Deshalb sei er ganz entspannt, wenn es um den Tod gehe.

Aber was nun anfangen mit dieser Studie, die dem Sport attestiert, in seiner Spitze dem Fortleben nicht besonders zuträglich zu sein? Vor allem hilft sie all jenen, die sich nicht von ihr angesproch­en fühlen müssen. Die wenigsten von uns sind Olympiasie­ger. Bestenfall­s Vereinsmei­ster. Ein Glück, dass wir uns gegen eine Karriere als Weltklasse-Athlet entschiede­n haben. Das Talent wäre zweifelsoh­ne da gewesen. Sport ist gesund, haben sie gesagt. Aber im Nachhinein war es richtig, auf dieses ganze Training verzichtet zu haben. All der Schweiß, der nicht geflossen ist. All die Triumphe, die nicht gefeiert wurden. Was nützt denn auch so ein lumpiger Olympiasie­g, wenn einem dafür die Zielgerade gekürzt wird? Dann doch lieber auf dem Sofa sitzen und den Olympiasie­gern bei der Arbeit zuschauen. Ist auch nicht ganz so anstrengen­d.

Michael Greis joggt weiter. Vorher sagt er noch, dass er sich die Studie vielleicht doch noch genauer anschauen werde. Es stellten sich Fragen. Was passiert zum Beispiel, wenn einer gleich dreimal Olympiasie­ger war? Gibt das Mengenraba­tt? So geht Galgenhumo­r. Noch nie war es schöner, kein Olympiasie­ger zu sein.

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Foto: Imago Lebensfroh trotz Olympiasie­g: Ex-Biathlet Michael Greis.
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