Aichacher Nachrichten

Geboren am 9. Mai 1945

75. Geburtstag Wer nur einen Tag nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs ins Leben gestartet ist, hat zu kämpfen. So wie Jupp Heynckes. Keiner hat als Spieler und Trainer in der Bundesliga mehr Siege gefeiert als er

- VON ANTON SCHWANKHAR­T

Augsburg Wer am 9. Mai 1945, einen Tag nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs, das Licht der Welt erblickte, sah in keine schöne Zukunft. Deutschlan­d lag in Trümmern, von den Alliierten zerbombt, beladen mit der Kriegsschu­ld. „Es war eine sehr karge Zeit, die Bevölkerun­g hungerte“, erinnert sich Jupp Heynckes für den Kicker an seine Kindheit. Heynckes ist als neuntes von zehn Kindern an jenem 9. Mai 1945 in Mönchengla­dbach geboren. Am heutigen Samstag wird er 75.

„Für unsere zwölfköpfi­ge, sozial schwache Familie ging es ums Überleben“, erzählt er. Der Vater war Schmied, arbeitete täglich, außer sonntags, zehn, zwölf Stunden, die Mutter betrieb einen Tante-EmmaLaden und der Junge, der auf den Namen Josef getauft war, schoß stundenlan­g im Hinterhof einen Ball gegen die Hauswand. Jupp hatte einen Traum. Als er 1954 das WMFinale gesehen hatte, wollte er Fußballer werden. Nicht irgendeine­r, nicht Fritz Walter oder Helmut Rahn, der Siegtorsch­ütze zum 3:2 für Deutschlan­d, sondern einer wie Ungarns Ferenc Puskas. „Weil er ein Torjäger war“, sagt Heynckes.

Die Weichen waren also gestellt. Mit 17 holte ihn die Gladbacher Borussia. Den Vertrag unterschri­eb sein Vater. 160 Mark im Monat plus Prämie, dazu einen Opel Rekord. Nicht schlecht für einen, der am 9. Mai 1945 geboren war. In der Regionalli­ga gab’s dann schon 1000 Mark netto monatlich, dank der vielen Prämien. „Wie stolz war ich, als ich Mutter die Lohntüte übergab“, erinnert sich Heynckes im Kicker. Dann der Bundesliga-Aufstieg 1964/65 und die Geburt der Fohlenmann­schaft.

Heynckes auf den Torjäger-Spuren von Puskas mittendrin. Keiner, dem der Erfolg in den Schoß gefallen ist, sondern der hart für ihn gearbeitet hat. Der Stürmer Heynckes war nicht filigran unterwegs, sondern mit schweren Schritten, aber mit gutem Gefühl für Raum und Zeit und Ball. 369 Bundesliga-Spiele hat er für Gladbach und Hannover 96 absolviert, respektabl­e 220 Tore erzielt. Er war viermal Meister, Nationalsp­ieler, Europa- und Weltmeiste­r.

Trotzdem ist es weniger der Spieler Heynckes, der den Menschen in Erinnerung geblieben ist, als vielmehr der Trainer. Seine ersten Titel als Trainer gewann Heynckes 1989 und 1990 mit dem FC Bayern. Das Ende seiner ersten Episode in München war der Anfang einer neuen Begeisteru­ng, die sein Leben geprägt hat. Heynckes, seinem Wesen nach das Gegenteil des Eroberers, ging nach Spanien. Als „Don Jupp“gewann er später mit Real Madrid die Champions League. Acht Tage danach gaben ihm die Madrilenen den Laufpass. Das Trainerleb­en ist eine Achterbahn­fahrt. Heynckes, gelernter Stukkateur, hat das akzeptiert. Ein Dulder, kein Kläger. Keiner, der offensiv verteidigt, nicht einmal sich selbst. Als ihn der Kölner Trainer Christoph Daum im „Aktuellen Sportstudi­o“vorführte, stieg seine Freund Uli Hoeneß für Heynckes in den Ring.

Der Mönchengla­dbacher war nie ein Mann für die Kameras. Den geselligen Rheinlände­r lässt der Gentleman nur im kleinen Kreis heraus. Persönlich­es hält er bis heute zurück. Auf Fragen, die über den Fußball hinausging­en, reagierte er misstrauis­ch oder mit hochrotem Kopf. Als seine Frau Iris, mit er eine Tochter hat, 2004 an Krebs erkrankte, verabschie­dete er sich für eineinhalb Jahre vom Fußball, um sich um sie zu kümmern. Als sie sich erholte, nahm er wieder seine alten Wege auf. Geld war für Heynckes kein Antrieb. Als er in Mönchengla­dbach gehen musste, stellte er den Dienstwage­n gewaschen und vollgetank­t vor die Geschäftss­telle: „Die Abfindung können Sie auch behalten.“

Uli Hoeneß holte ihn zum FC Bayern zurück. Es war der Anfang des vorläufige­n glorreiche­n Schlusskap­itels seiner Karriere mit Meistersch­aft, Pokalsieg und Champions-League-Titel, dem historisch­en Triple. Nach der Entlassung von Carlo Ancelotti wurde Heynckes sogar noch ein viertes Mal BayernTrai­ner und gewann, 29 Jahre nach seinem ersten Titel, seine vierte deutsche Meistersch­aft mit den Münchnern. Seither ist Heynckes Rentner, lebt mit Frau und sechs Laufenten auf einem Bauernhof in der Nähe von Mönchengla­dbach. Seinen Geburtstag feiert er nicht nur wegen Corona in kleinem Rahmen. Große Partys passen nicht zu Jupp Heynckes.

Auf seine alten Tage ist er zum Umweltbeob­achter und Mahner geworden. „Bei meinen Spaziergän­gen sehe ich unmittelba­r, was Trockenhei­t und Erderwärmu­ng anrichten“, sagt Heynckes und fordert: „Wir müssen unsere Lebensweis­e ändern. Für die nächste Generation zeichnet sich eine fatale Klimasitua­tion ab.“

Er selbst ist mit sich im Reinen. Bei allen Härten, die ihm der Start ins Leben beschert hat, als einem, der am 9. Mai 1945 geboren ist.

 ?? Foto: dpa ?? Sein letzter großer Abschied: 2018, am Ende seines vierten Engagement­s beim FC Bayern, stand noch einmal eine deutsche Meistersch­aft. In der Champions League war Jupp Heynckes im Halbfinale an Real Madrid gescheiter­t, im DFB-Pokal unterlagen die Münchner Eintracht Frankfurt.
Foto: dpa Sein letzter großer Abschied: 2018, am Ende seines vierten Engagement­s beim FC Bayern, stand noch einmal eine deutsche Meistersch­aft. In der Champions League war Jupp Heynckes im Halbfinale an Real Madrid gescheiter­t, im DFB-Pokal unterlagen die Münchner Eintracht Frankfurt.
 ?? Foto: dpa ?? Meister 1975, Borussia Mönchengla­dbach: (Stehend v.l.) Heynckes, Trainerass­istent Drygalski, Bonhof, Wimmer, Jensen, Wittkamp, Schäffer, Danner, Trainer Weisweiler. (Vorn v.l.) Masseur Stock, Klinkhamme­r, Vogts, Kleff, Simonsen.
Foto: dpa Meister 1975, Borussia Mönchengla­dbach: (Stehend v.l.) Heynckes, Trainerass­istent Drygalski, Bonhof, Wimmer, Jensen, Wittkamp, Schäffer, Danner, Trainer Weisweiler. (Vorn v.l.) Masseur Stock, Klinkhamme­r, Vogts, Kleff, Simonsen.
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Foto: Witters Der junge Jupp trug drei Jahre lang das Trikot von Hannover 96.
 ?? Foto: dpa ?? Freunde fürs Leben: Uli Hoeneß und Jupp Heynckes.
Foto: dpa Freunde fürs Leben: Uli Hoeneß und Jupp Heynckes.

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