Plötzlich standen zwei Landser mit Gewehr im Keller
Hans Högg, Zaisertshofen
Wie ich als zehnjähriger Bub das Kriegsende erlebte: Drei Tage vor Kriegsende war in Zaisertshofen Einquartierung der deutschen Wehrmacht. Der Quartiermeister war ein rücksichtsvoller Mann, er hat meine Mutter, die mit zwei kleinen Kindern eine Landwirtschaft betrieb, verschont, indem er nicht die Scheune beschlagnahmte und nur die Feldküche in unserem Garten stationierte.
Die deutschen Soldaten mussten zu der Hausenerstraße und an der Waldenerstaße Panzersperren errichten, die die anrückenden Amerikaner am Weiterfahren hindern sollten. Es wurden Bäume gefällt und über die Straße geworfen. Des Weiteren haben die deutschen Soldaten an der Hausenerstraße Geschütze aufgebaut, um die Amerikaner, die von Pfaffenhausen herkamen, aufzuhalten.
Am Nachmittag, als die Geschütze aufgebaut wurden, ist ein Bürger aus Zaisertshofen zu den Soldaten gegangen und hat sie gebeten, die Geschütze abzubauen, da die Amerikaner bereits in Pfaffenhausen seien und bei einer Verteidigung der ganze Ort zusammengeschossen wird. Eine Verteidigung habe doch keinen Sinn mehr.
Der Verantwortliche machte ihm aber klar, dass er ihn vor ein
Kriegsgericht stellen werde, wenn er nicht sofort verschwinde. Nur seine vom Ersten Weltkrieg herrührende Verletzung – er hat ein Bein verloren – hat ihn damals vor einem Kriegsgericht gerettet. Mittlerweile war uns auch bekannt geworden, dass in Hausen der Polizeimeister hingerichtet wurde.
Am Abend sind dann auf einmal die deutschen Soldaten abgezogen aus unserem Ort, darüber waren wir heilfroh. Wenig später konnten wir dann bereits die mit großem Getöse anrückenden Panzer der Amerikaner hören. Sie sind ganz langsam in unseren Ort eingefahren, haben alles kontrolliert, dann haben sich drei oder vier Panzer in einem Hof stationiert und gefechtsbereit aufgestellt. Wir mussten aus den Häusern ausziehen und uns in einem anderen Keller einquartieren. Es war sehr eng und wir konnten nachts kaum schlafen. Unsere Mutter war sehr aufgeregt, denn sie wusste nicht, was noch alles passiert. Gegen zwei Uhr begann plötzlich eine wilde Schießerei vor dem Haus und es brannte fürchterlich. Wir hatten alle Todesangst und unsere Mütter haben mit uns gebetet und geweint. Auf einmal sind zwei deutsche Landser zu uns in den Keller gesprungen und wir wussten nicht, was uns jetzt passiert. Einer hatte ein Gewehr im
Anschlag. Wir flehten ihn an, nicht zu schießen. Erst als sein Kamerad ihm ins Gewissen geredet hatte, er soll doch aufhören, da im Keller nur kleine Kinder und Frauen sind, stellte er das Gewehr beiseite. In diesem Moment hat ein Amerikaner die Kellertüre aufgerissen, in der Hand eine Handgranate, und geschrien, alle herauskommen. Wenn der Soldat noch mit dem Gewehr an der Treppe gewesen wäre, hätte der Ami bestimmt die Handgranate in unseren Keller geworfen und wir wären alle tot gewesen.
Die beiden Soldaten wurden von den Amerikanern gefangen genommen und wir mussten in den Keller.
Am nächsten Morgen durften wir dann aus unserem Keller heraus und sahen, was vor dem Haus passiert war. Vier deutsche Soldaten sollten mit einem mit Lebensmitteln und Fahrrädern beladenen Lkw von Mörgen aus herfahren und haben auf die Panzer in Filsers Hof geschossen, daraufhin haben dann die Panzer das Feuer eröffnet und den Lkw in Brand geschossen. Zwei der vier Soldaten konnten sich zu uns in den Keller retten und zwei wurden erschossen. Einer lag im Straßengraben nebenan und war tot, er hat fürchterlich ausgesehen. Und einer lag hinter dem Zaun, ebenfalls erschossen. Ein Soldat hatte die linke Hand voller Uhren bis zum Ellenbogen. Am nächsten Tag mussten die Männer den Lkw von der Straße räumen, er lag lange Zeit nebenan im Garten.
Für uns Kinder gab’s am nächsten Tag eine Sensation, denn wir hatten noch nie einen Amerikaner oder gar einen Schwarzen gesehen. Wir haben von den Amerikanern auch Schokolade und den ersten Kaugummi bekommen. Der damalige Bürgermeister musste dann die insgesamt elf toten Soldaten wegfahren, die dann hinter unserem Haus in einem Heldengraben ohne Feier und ohne Sarg begraben wurden. Unsere Mütter haben jahrelang das Heldengrab gepflegt. Viele Jahre später wurden die Soldaten auf einen Heldenfriedhof nach Sonthofen gebracht, wo sie ihre letzte Ruhe fanden.
Im Wald lag noch sehr viel Material von der deutschen Armee, das sie auf der Flucht zurückgelassen haben. Wir Kinder haben Schreibpapier und Bücher gefunden und mit nach Hause genommen. Für uns war es richtig, dass wir bis zum Herbst keine Schule mehr hatten.
Ich habe auch zwei Pferde eingefangen und mit nach Hause genommen. Nach rund zehn Tagen sind aber schon Männer gekommen und haben uns die Pferde wieder abgenommen.