Geht nach Hause
Ranne Köhl, Augsburg
Den 8. Mai 1945 erlebte ich als 19-jährige Soldatin der Luftwaffe in einem Dorf bei Schweinfurt. Ich war nach dem Luftangriff auf Augsburg 1944 zum Arbeitsdienst und von dort, Anfang 1945, zwangsweise zur Luftwaffe in eine Kaserne bei München eingezogen worden. Nach ein paar Wochen unvorstellbar lächerlichen und sinnlosen Drills wurde ich mit fünf weiteren Soldatinnen zum Einsatz am Scheinwerfer gegen feindliche Luftangriffe nach Schweinfurt geschickt.
Am 8. Mai wurden alle Soldatinnen, die im Umkreis eingesetzt waren, zu einer Versammlung zusammengerufen. Dort wurde ihnen in einer kurzen, emotionslosen Ansprache erklärt, der Krieg sei zu Ende, sie könnten nach Hause gehen. Verunsichert und ratlos machte ich mich mit einer Kameradin, die noch weniger „zu Hause“hatte als ich, weil sie aus dem Saarland stammte, auf den Weg nach Augsburg. Personenzüge gab es keine, wenn wir Glück hatten, konnten wir irgendwo auf offene Güterzüge klettern oder uns auf Lastwägen, die Richtung Süden fuhren, zwischen Soldaten quetschen, die auch „Heimkehrer“waren. Immer wieder legten wir große Strecken zu Fuß zurück, um einen weiteren Anschluss Richtung Augsburg zu finden. Nachdem wir keinerlei persönlichen Besitz hatten, waren wir ohne jegliches Gepäck, außer unserem Stahlhelm, den ich unterwegs mit Waschpulver, das am Straßenrand verloren lag, gefüllt hatte (leider habe ich dann auch den Stahlhelm samt Inhalt schon vor Augsburg verloren).
Nach fast zwei Tagen stand ich vor der verschlossenen Tür der Verwandten, bei denen meine Eltern untergebracht waren, nachdem unser Haus in der Annastraße nur noch ein Trümmerhaufen war. Nachdem es in den letzten Kriegswochen weder Post noch Telefon gab, hatte ich keine Ahnung, dass sie inzwischen nach Nonnenhorn am Bodensee evakuiert worden waren. Endlich hatte ich das ermittelt und schlug mich erneut bis zum Bodensee durch. Die emotionalen Szenen, als ich erschöpft, ausgehungert und bis zur Unkenntlichkeit verdreckt meinen Eltern in die Arme fiel, sind unbeschreibbar.