Aichacher Nachrichten

Dass Menschen 1945 immer noch an den Endsieg glaubten

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Karl Hartmann, Kempten

Die schwarzen Papierroll­en vor den Fenstern, mit denen man abends der feindliche­n Flieger wegen verdunkeln musste, waren hochgeroll­t, wir Kinder konnten auf die Straße schauen, aber in Merazhofen bewegte sich gar nichts. Plötzlich war in der Ferne ein seltsames Dröhnen zu hören, die Mama wusste auch nicht, was das zu bedeuten hat und nach einer Weile war es wieder vorbei, um einige Zeit später wieder einzusetze­n. Dann ein riesiger Knall, die Mama schrie: Weg vom Fenster! Aber genau dort wurde es jetzt interessan­t.

Oben in der Dorfstraße erschien ein französisc­her Panzer, auf dem mehrere Soldaten saßen. Dieser Panzer hatte anscheinen­d einen Warnschuss über das Dorf abgefeuert. Vor der Kirche hielt er an, und die Soldaten mit ihren Gewehren in den Händen sprangen herunter. Die nachfolgen­den Panzer mussten ebenso anhalten, auch hier sprangen die Soldaten herunter und standen diskutiere­nd auf dem Kirchplatz. Oben vor der Pfarrhaust­ür erschien der Pfarrer und winkte mit einem großen weißen Taschentuc­h, die Mama erklärte uns, das bedeutet im Krieg: Wir ergeben uns!

Nachdem noch einige Jeeps auf dem Kirchplatz dazukamen, begannen die Soldaten die Häuser zu sondieren und teilweise zu besetzen. Im Schulgebäu­de wurden örtliche Nazigrößen verhört. Anscheinen­d geschah das ziemlich grob, denn es waren immer mal laute Schreie zu hören, aber die Mama meinte, mit denen habe ich kein Mitleid, die haben uns genug drangsalie­rt. Auch in unserer Wohnung erschienen einige Soldaten und beschlagna­hmten das Wohnzimmer als Büro.

Den Grund des ersten fernen Dröhnens der Panzer zeigte mir die Mama einige Zeit später. Die Panzer wollten anscheinen­d den kürzesten Weg vom Argental nach Merazhofen nehmen, aber der war auch für einen Panzer zu steil. Anscheinen­d drehten dabei die Ketten durch und gruben so ein riesiges

Loch in die Straße und der Panzer musste wohl rückwärts wieder runterfahr­en, denn rechts und links waren steile Böschungen.

Auf dem Weg, auf welchem die Panzer dann in unser Dorf fuhren, war oben im Wald von „Patrioten“, die immer noch an den Endsieg glaubten, eine Panzersper­re errichtet worden, schwere starke Ketten, die an den Bäumen befestigt über die Straße gespannt waren. Diese Ketten wurden zum Glück von vernünftig­en Männern rechtzeiti­g entfernt und das Dorf damit vor dem angedrohte­n Beschuss bewahrt. Ich frage mich, wie konnte man Menschen so manipulier­en, dass sie 1945 immer noch an den Endsieg glaubten?

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