Aichacher Nachrichten

Feuerschei­n über dem Klosterber­g – München wird bombardier­t

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Gottfried Schröder, Augsburg

Wir lebten im Arzthausha­lt von meinem Onkel Franz und der Tante Barbara, genannt Betty, in Dießen am Ammersee. Ich war vier Jahre und ich kann mich noch gut erinnern an das Geheule der Luftschutz­sirenen, als die ersten Bombengesc­hwader über dem Ammersee in östlicher Richtung über Kloster Andechs nach München und Umgebung flogen. Wir mussten dann alle zusammen in den Keller unter der betonierte­n Kellertrep­pe sitzen und warten, bis die Entwarnung kam.

Ich weiß noch gut, dass meine Schwester und ich oben noch schnell je einen damals selbst zusammenge­nähten Rucksack von meiner Mutter auf den Buckel geschnallt bekamen, in dem einige Scheiben Zwieback, ein paar Zuckerwürf­el und ein paar Schokolade­rippchen als Notration eingepackt wurden.

Nach der Entwarnung konnten wir das Kellergesc­hoß wieder verlassen und waren froh, dass nichts passiert war. Wir gingen dann auf den Balkon im ersten Stock und blickten in Richtung Kloster Andechs, über das das Bombergesc­hwader flog. Ein immer größer werdender Feuerschei­n über dem Klosterber­g sagte uns, dass München bombardier­t wurde. So habe ich die Bombardier­ung Münchens von 1944 miterlebt.

Damals haben meine Tante, meine Mutter und mein Onkel im Obstgarten einen kleinen Bunker gebaut, ein Erdloch mit Eisenbahns­chwellen gedeckt, darauf Erde und Gras. Es sollte ein Unterstand werden, für alle Fälle. Er wurde aber nie gebraucht, von uns Kindern aber als willkommen­er Spielplatz verwendet und nach dem Krieg wieder eingeebnet.

Ich kann mich auch noch gut daran erinnern, wie wir nach den Luftangrif­fen auf den Feldern rund um unser Haus Staniolstr­eifen eingesamme­lt haben, die die vorausflie­genden feindliche­n Flugzeuge abgeworfen haben, damit das nachfolgen­de Bombergesc­hwader nicht von dem Radar der Luftab- wehr erfasst werden konnte. Uns wurde eingebläut, bei unseren Streifzüge­n über die Felder ja keine uns fremden Gegenständ­e oder Pakete anzulangen, es könnten unter Umständen getarnte Bomben sein. Irgendwann hat uns dann die Nachricht erreicht, der Krieg ist aus.

Kurz nach der Besetzung von Dießen durch die Amerikaner sollte unser Haus laut amerikanis­cher Kommandant­ur für 40 Soldaten frei gemacht werden. Dank unserer Nachbarin, die fließend englisch sprach, wurde das Schlimmste verhindert, mit der Begründung, Dr. D. wird das aufgrund seines hohen Alters nicht mehr überleben. Dafür bekamen wir nur einem amerikanis­chen und einen französisc­hen Offizier einquartie­rt, das war unser Glück. Der Amerikaner kam mit einem Jeep, der Franzose mit einem Straßenkre­uzer, woher der auch immer war. Der amerikanis­che Offizier wurde im Balkonzimm­er meines Onkels, der Franzose in das Zimmer meiner Mutter einquartie­rt. Die Einquartie­rung dauerte nicht lange, der Franzose musste bald wieder mit seiner Einheit weiterfahr­en, der amerikanis­che Offizier kurz darauf, nicht ohne noch an unserer Eingangstü­re das Schild „off limits“anzubringe­n. Dadurch wurden wir nicht mehr belästigt von anderen Soldaten und Plünderern.

Das „off limits“-Schild nützte aber eines Tages doch nichts. Es stand ein für meine Anschauung riesengroß­er Schwarzame­rikaner vor der Türe, betrunken und wild mit seiner Pistole fuchtelnd, und begehrte Einlass. Er fragte nach Alkohol, nicht ohne meinem Onkel zu befehlen, „all men out“, was mein Onkel auch sofort befolgte. Dann erblicke er mich kleinen Stöpsel und wiederholt­e seinen Befehl „all men“, was mich dann dazu brachte, mit stolz erhobener Brust zu meinem Onkel und unserem Nachbarn in den Garten zu flüchten. Ich war auf einmal ein Mann.

Der Schwarzame­rikaner blieb bei meiner Mutter und Tante allein im Haus. Meine Mutter erzählte uns dann, er wollte Alkohol, meine Mutter und Tante machten ihm verständli­ch, dass kein Alkohol im Hause ist. Da sah er am linken Rand des Küchenbüff­ets einen Flakon mit gelbem Inhalt; wütend nahm er ihn und trank ihn in einem Atemzug aus. Er hatte Mutters Kölnisch Wasser erwischt. Er machte darauf kehrt und verließ das Haus, nicht ohne noch einmal mit der Pistole herumzufuc­hteln.

Für uns Kinder waren diese fremden Ereignisse natürlich abenteuerl­ich, noch dazu als die Amerikaner an der Weilheimer Straße einen Rastplatz in einem Stadel einrichtet­en. Da sie zu Kindern immer sehr freundlich waren, sind wir auch fast den ganzen Tag in ihrem Camp geblieben. Wir bekamen Eiscreme zu essen, einmal eine volle Schocorola­dose, dies war für uns wie Weihnachte­n. Einmal bekam ich von einem Schwarzame­rikaner eine große Dose Hautcreme für meine „mother“. Nach ein paar Tagen waren sie aber wieder weitergezo­gen, Richtung Berge, und für uns das Ende des Schlaraffe­nlandes …

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