Aichacher Nachrichten

Wie der Fuggerei‰Erker gerettet wurde

Geschichte Der kunstvolle Sandstein-Erker ist älter als die Fuggerei – 437 Jahre lang schmückte er das Höchstette­r-Haus am Kesselmark­t. Im Jahr 1944 stand er kurz vor der Zerstörung

- VON FRANZ HÄUSSLER

Die Fuggerei feiert 2021 ihr 500-Jahr-Jubiläum. Die Gründungss­tory und ein halbes Jahrtausen­d Fuggerei-Geschichte werden dabei in Erinnerung gebracht. Die Fuggerei zieht als älteste Sozialsied­lung der Welt Besucher aus aller Herren Länder an. Sie lassen in den Fuggerei-Gassen das einmalige Flair auf sich wirken. Die Historie bekommen sie bei einer Führung erzählt oder lesen darüber. In den Fuggerei-Museen und im Weltkriegs­bunker sind Zeitabschn­itte nacherlebb­ar.

Wie viele der Fuggerei-Besucher von der Jakoberstr­aße aus den doppelstöc­kigen kunstvolle­n Erker aus grauem Sandstein am Senioratsg­ebäude wahrnehmen, ist nicht bekannt. Er sieht dort so aus, als wäre er schon immer ein Bestandtei­l der Fuggerei. Doch er hat seine ureigene Geschichte: Der Erker ist älter als die Fuggerei. Er befand sich ab 1507 am Haus eines Zeitgenoss­en des Fuggerei-Gründers Jakob Fugger. Jetzt ziert der Erker ein als Erweiterun­g des Senioratsg­ebäudes 1962/63 errichtete­s Gebäude.

Dass das Haus so jung ist, „vertuschen“der historisie­rende Treppengie­bel und der doppelstöc­kige Erker mit Spitzdach. Es ist der „Höchstette­r-Erker“, der den Zugang zur Fuggerei an der Jakoberstr­aße markiert. 437 Jahre war er das dekorative Schauobjek­t am Höchstette­r-Haus an der Ecke Ludwigstra­ße/Kesselmark­t, also an ganz anderer Stelle. Es war vor 500 Jahren der Firmensitz der Kaufherren­familie Höchstette­r. Der Erker ist der einzige bauliche Überrest des Gebäudes.

Der kunstvolle Eckerker ist aus fünf Seiten eines Achtecks gebildet. Ambrosius Höchstette­r (er lebte von 1463 bis 1534) hatte ihn Anno 1504 beim berühmten Baumeister der Ulrichsbas­ilika, Burkhard Engelberg, in Auftrag gegeben. Der Erker war als Zierde der im Blickfeld stehenden Hausecke des Neubaus seines Firmen- und Familiensi­tzes bestimmt. 1507 war das Meisterwer­k gotischer Steinmetzk­unst fertig. Die Wappen der Familien Höchstette­r und Rehlinger, aus der Ambrosius Höchstette­rs Frau stammte, machen deutlich, wer hier residierte. Sie zieren den unteren Teil des Erkers. In der oberen Wappenreih­e demonstrie­rte Ambrosius Höchstette­r seine Beziehunge­n als Bankier regierende­r Häuser in Europa: Es sind Wappen des Kaiserhaus­es Habsburg.

Die Höchstette­r zählten zeitweise zu den schärfsten Konkurrent­en der Fugger. Sie besaßen Anfang des 16. Jahrhunder­ts Bergwerke in Tirol, im Erzgebirge, in Spanien und in England sowie Niederlass­ungen in bedeutende­n Handelsstä­dten zwischen Nordsee und Mittelmeer. Während die Fugger Krisen finanziell durchstand­en, ging das Handelshau­s Höchstette­r 1529 bankrott.

Das „Höchstette­r-Haus“hatte in der Folgezeit verschiede­ne Besitzer, das Gebäude wurde mehrfach umgebaut. Der Hausname und der Erker blieben jedoch. Als der Gebäudekom­plex in der Nacht vom 25. auf den 26. Februar 1944 von Bomben getroffen wurde und ausbrannte, überstand der Erker erstaunlic­herweise das Inferno. Aus Sicherheit­sgründen mussten die Restmauern des Höchstette­r-Hauses niedergele­gt werden. Das erledigten militärisc­he Spreng- und Abbruchtru­pps, die mit Historie absolut nichts zu tun hatten.

Sie hätten mit Sicherheit den kunstvolle­n Sandstein-Erker „zerlegt“, hätten nicht maßgeblich­e Augsburger die Initiative ergriffen. Der Erker blieb unangetast­et, seine Rettung musste jedoch schnell organisier­t werden. Die filigrane Steinmetza­rbeit wurde in ihre Einzelteil­e zerlegt. Ab 1949 lagerten die Steinteile in der von Bomben verschonte­n Dominikane­rkirche, dem späteren Römischen Museum.

In der ersten Wiederaufb­au-Phase gestaltete sich die Suche nach einem passenden Ort für eine Wiederanbr­ingung des Erkers schwierig. Auf dem Grund des Höchstette­rHauses wurde 1955/56 der Neubau der „Schwäbisch­en Landeszeit­ung“(seit 1959 „Augsburger Allgemeine“) errichtet. Die moderne Architektu­r des Zeitungsha­uses war für den historisch­en Erker ungeeignet. Dass der Erker am 1962/63 errichtete­n Erweiterun­gsbau des Senioratsg­ebäude der Fuggerei eine neue

Der Kesselmark­t um das Jahr 1905. Links ist der Erker am Höchstette­r‰Haus erkennbar.

Heimat fand, ist dem Architekte­n Freiherr Raimund von Doblhoff und dem Fugger’schen Familiense­niorat zu verdanken.

Der Architekt aus altem Adel hatte ein Gespür für die Integrieru­ng von Historisch­em in Neues. Das bewies er beim Wiederaufb­au der zu etwa 70 Prozent zerstörten Fuggerei. Dafür war er verantwort­lich. Die Fuggerei war 1955 wiederaufg­ebaut. Doblhoff gestaltete ab 1953 auch das heutige Senioratsg­ebäude

Ende Februar 1944: Der kunstvolle Sandstein‰Erker hat das Bombeninfe­rno überlebt.

an der Jakoberstr­aße. Im Inneren „verbaute“er aus zerstörten Fugger-Bauten geborgene historisch­e Fragmente wie Netzrippen­gewölbe, steinerne Türrahmen und Wappenstei­ne.

Als 1962 an das Senioratsg­ebäude ein Erweiterun­gsbau angefügt wurde, stimmten die Fugger der Integrieru­ng der einstigen Leonhardsk­apelle zu. Sie befand sich 700 Jahre lang an der Ecke Karlstraße/Karolinens­traße, eingefügt in ein einstiges

Haus der Welser. Es wurde 1944 zerstört. Säulen und Gewölbetei­le waren 1958 geborgen worden. Die mit Neuteilen ergänzte gotische Leonhardsk­apelle wurde zum Tiefgescho­ss des Neubaus an der Jakoberstr­aße. Der kunstvolle Erker fand einen würdigen Platz an dessen Nordwestec­ke. Raimund von Doblhoff bezeichnet­e aufgrund seiner „Verwertung“historisch­er Baureste das Senioratsg­ebäude der Fuggerei als „Architektu­r-Altersheim“.

 ?? Foto: Sammlung Häußler ?? Das Höchstette­r‰Haus an der Ecke Ludwigstra­ße/Kesselmark­t in Augsburg um 1720. 437 Jahre lang schmückte es der Erker aus fünf kunstvoll gestaltete­n Seiten eines Acht‰ ecks.
Foto: Sammlung Häußler Das Höchstette­r‰Haus an der Ecke Ludwigstra­ße/Kesselmark­t in Augsburg um 1720. 437 Jahre lang schmückte es der Erker aus fünf kunstvoll gestaltete­n Seiten eines Acht‰ ecks.
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Der Höchstette­r‰Erker schmückt seit 1962 das Senioratsg­ebäude der Fugge‰ rei an der Jakoberstr­aße.
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