Aichacher Nachrichten

Direktor eines Experiment­s

Juergen Boos leitet seit 15 Jahren die Frankfurte­r Buchmesse. Die findet in diesem Jahr digital statt – und mit Millionenv­erlusten

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Also deinen Job möchte ich im Moment auch nicht haben. Sagt man ja mal so, wenn einem gestresste Menschen über ihr alltäglich­es Ungemach erzählen, nickt dabei dann verständni­svoll. Wenn Juergen Boos bislang von seiner Arbeit als Direktor der Frankfurte­r Buchmesse erzählte, klang das hingegen nach wenn auch forderndem Traumjob. In diesem Jahr aber neidet dem 59-Jährigen wohl niemand seinen Posten. Noch bevor die Messe am gestrigen Dienstag eröffnet wurde, stand bereits fest, dass sie mit einem Millionenv­erlust enden wird. Die Hallen bleiben leer, die gewohnten Stände wird es nicht geben, die weltgrößte Bücherscha­u findet 2020 ausschließ­lich digital statt. „Ein Experiment“, sagt Boos, aber eines, zu dem man sich erst spät durchringe­n konnte. Noch bis in den August hinein versuchten Boos und seine Mitstreite­r, die Messe in einem „sehr reduzierte­n Maße“zu retten. Dann aber habe man sich „den Realitäten der letzten Wochen beugen müssen …“.

Dass die Zukunft der Messe aussehen wird wie in der Vergangenh­eit, sich wieder alle in den Hallen drängen, glaubt Juergen Boos nicht. Die Messe werde sich dauerhaft verändern. Wer einmal aussetzt, der wird sich im kommenden Jahr vielleicht überlegen, ob sich all die Kosten für Stand, Hotel und Reise denn auch lohnen… Gewandelt aber hat sich die Buchmesse unter

Juergen

Boos, Buchhändle­r und Diplomkauf­mann, in den vergangene­n 15 Jahren natürlich jedes Jahr, wenn auch weniger dramatisch. Weg von der klassische­n Bücherscha­u, vom literarisc­hen Hochamt, hin zur Ideenschau, zur Bühne für gesellscha­ftliche und politische Diskussion­en, Kampfplatz für die Meinungsfr­eiheit. Wozu für Boos auch gehört, rechte Verlage zuzulassen und damit „Meinungsäu­ßerungen jeder Couleur“. Der schönste Teil des Jobs von Juergen Boos war vermutlich immer auch, zu Beginn der Messe vorzustell­en, was einem alles Neues eingefalle­n ist: zum Beispiel der eigene Bereich für die Selfpublis­her, die Zusammenar­beit mit der Berlinale oder eine branchenüb­ergreifend­e Konferenz mit Filmproduz­enten und

Spiele-Entwickler­n, zum Beispiel genannt Story Drive. Ein Mantra von Boos in jedem Jahr: Es gehe um die guten Geschichte­n, wie immer die dann auch verpackt werden…

Auf die Messe kam Boos zum ersten Mal als Jugendlich­er, gemeinsam mit seinem Onkel, einem Buchhändle­r. Der riet dem orientieru­ngslosen Teenager nach dem Schulabsch­luss dann auch zur Verlagsaus­bildung. Auf der Buchmesse im vergangene­n Jahr führte Boos ein Gespräch mit dem Literaturs­tar Karl Ove Knausgard, da konnte man erahnen, was die Literatur für ihn bedeutet, die Begegnunge­n auf der Messe. Seit Jahren habe er auf diesen Moment gewartet, erklärte der Buchmessen-Direktor, er sei schrecklic­h nervös. Das Gespräch lief gut, er wirkte wie ein Mann, der mit seinem Job ganz schön glücklich ist. Stefanie Wirsching

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Foto: Imago

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