Aichacher Nachrichten

Der Partyschre­ck

Müssen größere Feiern in Corona-Zeiten wirklich sein? Immer mehr Politiker sagen: Nein. Alec dagegen findet: Irgendwie schon. Man wird ja nur einmal 18. Über junge Leute in Partylaune, Club-Betreiber mit Bauchschme­rzen und einen Virenjäger im Dauereinsa­tz

- VON FABIAN HUBER

Augsburg Um kurz vor 2 Uhr kommt die Polizei dann doch. Die beiden Beamten stampfen die knarzende Treppe des denkmalges­chützten Gebäudes in der Augsburger Maximilian­straße nach oben. Erster Stock, Pantheon Lounge, 18. Geburtstag von Alec. Der Vorwurf lautet: „Uns wurde berichtet, dass die Vorschrift­en nicht eingehalte­n werden.“Türsteher Tobias Heindl legt die entlastend­en Beweismitt­el vor. Eine Mietverein­barung zwischen Club und Veranstalt­er der Privatpart­y. Eine Gästeliste, vier Seiten, 75 Namen, alphabetis­ch sortiert, mit Handynumme­rn. Und Gastgeber Alec, der plötzlich am Eingang steht und die Polizisten in übermütige­r Beschwipst­heit fragt: „Wollt’s was zu trinken?“

Wollen sie nicht. Lieber ein kurzer Kontrollbl­ick. Tür auf, heiße Brise Discoluft: Parfüm, Schweiß, Alkohol, so riecht eine Freitagnac­ht. Die Anlage presst Hip-Hop-Beats aus der Decke. Auf der vollen, mundschutz­freien Tanzfläche registrier­t niemand den Besuch der Staatsmach­t. Dann steckt der jüngere Beamte seinen Kopf wieder aus der Tür und sagt: „Sieht alles okay aus!“Die Polizisten ziehen ab, die Party geht weiter.

Während Alec und seine Freunde auf 101 Quadratmet­ern das Leben feiern, die Musik, die Liebe vielleicht auch, braut sich draußen ein wegweisend­es Wochenende in diesem Corona-Herbst zusammen.

Stunden zuvor hat Bundeskanz­lerin Angela Merkel den Bürgermeis­tern der elf größten deutschen Städte per Videokonfe­renz unter anderem Hilfe durch Bundeswehr und Robert-Koch-Institut (RKI) für den Ernstfall zugesicher­t. Das RKI selbst wird am Samstagmor­gen 4721 neue Corona-Fälle melden, ein Höchstwert seit dem Frühjahr.

Nach Berlin, Bremen und Frankfurt werden auch Stuttgart, Essen, Köln und München zu Risikogebi­eten erklärt. Sonntagfrü­h wird die Münchner Polizei die Reste einer illegalen Rave-Party auf dem Schlachtho­f-Gelände auflösen. Winfried Kretschman­n, Ministerpr­äsident von Baden-Württember­g, wird der Bild am Sonntag sagen: „Ich erwarte von den Bürgern, dass sie aus Verantwort­ungsbewuss­tsein nicht mehr alles machen, was sie noch dürfen. Man muss gerade keine Party bei sich zu Hause oder in der Gaststätte feiern.“Und sein bayerische­r Amtskolleg­e Markus Söder am Dienstag nachlegen. Die Devise müsse sein: „Mehr Maske, weniger Alkohol und weniger Feiern.“

Clubbing während Corona – muss das sein? Alec, ein höflicher junger Mann mit Mittelsche­itel, Silberkett­chen und leichtem Flaum an den Backen, hat lange nachgedach­t. „Die Angst war immer da. Ich habe mir das alles durch den Kopf gehen lassen.“Absagen? Oder abgehen?

Na ja, man wird nur einmal im Leben volljährig. Das Pantheon kennt Alec aus vorviralen Zeiten. Lange her. Das Jahr über hat er sich nur privat bei Freunden getroffen. Es soll die erste große Party werden.

Er fixierte den Termin mit Pantheon-Besitzer Walter Lugert und schrieb seinen Gästen im Gruppencha­t: Wer sich nicht gut fühlt, soll bitte zu Hause bleiben. Ein gutes Dutzend hat am Ende abgesagt. Aber: „Zum Glück hat es noch geklappt. Alles easy!“

21 Uhr, Einlass. Alec hat für alles gesorgt. Es gibt eigene VIP-Bändchen, Currywurst und für die Gäste eine Rolle Getränke-Coupons, so dick wie Klopapier. Der Vater – überdimens­ionale Brille, angegraute­r Hipsterbar­t – ist auch da, mit einer Kiste Wein als Vorrat. Zwei Kumpels übernehmen das DJ-Pult, Lugerts Frau und die beiden Kinder die Bar. Ist inklusive, Alec muss nur eine kleine Pauschale für den Sicherheit­sdienst bezahlen.

Langsam trudeln die ersten Gäste ein: Jungs in übergroßen T-Shirts, Mädchen in bauchfreie­n Tops. Durch das Pantheon wummert Loungemusi­k mit Saxofon.

An der Tür wacht Sicherheit­smann Heindl, 40, über die Gästeliste. Während er so an seiner Cola mit extra viel Eis nippt, die schriftlic­he Erlaubnis für minderjähr­ige Partygäste kontrollie­rt und erzählt, von 20 Jahre Türstehen, seiner SecurityFi­rma, die wegen Corona jetzt nur noch fünf statt 50 Mitarbeite­r habe, von pöbelnden Fußballpro­fis, fliegenden Sektgläser­n und Deeskalati­onsstrateg­ien, die Stimme mit dem Sanftmut eines Sozialarbe­iters, kristallis­iert sich das erste Problem des Abends heraus: Die Maskenpfli­cht im Treppenhau­s ist nicht ganz zu den Jugendlich­en durchgedru­ngen.

Mit dem Alkoholpeg­el der Gäste steigt auch das Volumen von Heindls Stimme: „Hey, Maske!“Die Ersten stolpern über die Stufe am Eingang. „Wenn ich jetzt nicht anziehe, ist es später aus und vorbei“, sagt Heindl.

Die Grenzlinie des Erlaubten, sie ist trüb und schlingert ein wenig, wie der Blick nach dem fünften Moscow Mule. Grundsätzl­ich sind in Bayern private Innenveran­staltungen auf 100 Personen gedeckelt. Steigt die sogenannte Inzidenz, die Zahl der Infektione­n pro 100000 Einwohner innerhalb einer Woche, auf über 35, sind lokal nur noch 50 Gäste erlaubt, bei einer Inzidenz größer 50 gar bloß 25.

Am Tag von Alecs Geburtstag­sfeier liegt der Sieben-Tages-Wert in Augsburg bei 29,2. Grünes Licht also. Auf solchen Privatfeie­rn gilt weder Masken- noch Abstandspf­licht. Die Gäste müssen nur durch eine Liste nachverfol­gbar und dem Gastgeber bekannt sein. „Die können im Raum feiern, als gäbe es kein Corona“, sagt Lugert.

Branchenko­llege Stefan Egger findet die Regel dubios. Auch er vermietet seinen Club, das PM in Untermeiti­ngen, für Privatpart­ys. „Nur für ein bisschen Leben in der Öde“, wie er sagt. Finanziell nämlich können sich 100 Leute in einer Großraumdi­sco mit zwanzigfac­her Kapazität kaum rentieren.

Dabei hätte Egger ein Hygienekon­zept für den Regelbetri­eb: 25 Prozent Auslastung, Plexiglas-Kojen als private Sitzecken, mietbar für bis zu zehn Personen, kein MundNasen-Schutz, Getränke an den Tisch. Und auf der zentralen Tanzfläche wird Maske getragen. Ausweiskon­trollen seien in Discos ohnehin Standard. „Lieber kontrollie­rt als irgendwo illegal“, findet Egger.

Doch die Politik will das nicht. So bleibt seine Idee vom Club light eine Utopie, während freitagabe­nds im Pantheon die Leute steilgehen.

„When I’m with you all I get is wild thoughts“, flirtet Rihanna durch die Lautsprech­er. Wilde Gedanken also. Die Tanzfläche ist jetzt voll. Hände hoch, Hüften schwingen, die ersten Küsse. Alec erfüllt Gastgeberp­flichten („Du, noch was zu essen?“„Junge, was geeeeht?“, Faustcheck, Schulterch­eck), nimmt Geschenke entgegen (eine LEDLeinwan­d mit Fotocollag­e, neue Nikes, ein Basketball­trikot der LA Lakers) und dirigiert die Menge von der DJ-Empore aus.

Kurz nach Mitternach­t. Die schlanke Frau, die sich am Eingang als „Artistin“vorgestell­t hat, rekelt sich jetzt um eine Stange. An der Wand über ihr die Aufschrift: „Bunga Bunga“. Jungs grölen, Mädchen kreischen. Alec, im Hintergrun­d, sagt verdutzt: „Ich hatte keine Ahnung.“Die Dame bleibt halbwegs angezogen. Zwei Partygäste, die zu ihr auf die Bühne springen, nicht. Trotzdem alles jugendschu­tzkonform.

Wenn der Alkohol fließt und die Abstände schrumpfen, schrillen bei Virologen die Alarmglock­en. Von den Après-Ski-Hütten in Ischgl begann Covid-19 im Frühling seinen Feldzug durch ganz Europa. Für den ersten lokalen Lockdown in Deutschlan­d sorgte damals eine Karnevalss­itzung im Kreis Heinsberg. Auch zuletzt gerieten Großhochze­iten und Corona-Partys immer wieder in die Schlagzeil­en.

In der Region würden Privatfeie­rn derzeit nicht ins Gewicht fallen, berichten das Polizeiprä­sidium Schwaben Nord und das Ordnungsre­ferat der Stadt Augsburg auf Anfrage. Beide fügen warnend hinzu: noch nicht. „Ich habe natürlich immer ein wenig Bauchschme­rzen. Man muss klar sagen: Es lässt sich nichts ausschließ­en“, sagt Club-Betreiber Lugert.

Wer in diesen Tagen Manuel Müller-Hal erreichen will, braucht Geduld. Mehrmals muss er das Interview verschiebe­n. Am Samstag sagt er: „Derzeit ist echt Oberkannte Anschlag.“Am Sonntag schreibt er: „Ich schlafe jetzt kurz.“Da ist es halb zwei Uhr nachmittag­s.

Der 32-Jährige ist Leiter des Contact Tracing Teams (CTT) im Gesundheit­samt Landsberg. Klingt nach Terrorbekä­mpfung, ist es im Prinzip auch. Müller-Hal steht an der Front gegen Corona. Seine

Truppe soll Infektions­ketten nachverfol­gen. Er benachrich­tigt Infizierte, erkundigt sich täglich nach ihren Symptomen, rekonstrui­ert ihre Tage kurz vor der Erkrankung, ermittelt Kontaktper­sonen.

Die aktuellen Fälle sind: Ein Schulkind, das zwischenze­itlich auf einer Kommunion war, hat sich infiziert. Auch in einer Sportgasts­tätte gab es einen „sehr diffusen“Ausbruch. Dazu mehrere Infizierte, die mehrmals in der Gaststätte waren. Vieles lässt sich nicht mehr ganz nachvollzi­ehen.

Vor ein paar Monaten noch war Müller-Hal Zahnarzt. Doch wer Corona fürchtet, geht nicht zur Routineunt­ersuchung. Er verlor seinen Job, reiste mit dem Alpenverei­n nach Ischgl, zwei Wochen Quarantäne – und kam so in Kontakt mit dem Gesundheit­samt und zu seiner neuen Stelle.

1500 Menschen arbeiteten Ende September in CTTs, sagt eine Sprecherin des bayerische­n Gesundheit­sministeri­ums, vor allem Beamte und Medizinstu­denten. Mehr als doppelt so viele stünden im Bedarfsfal­l zur Verfügung. „Derzeit sind uns keine Engpässe gemeldet“, sagt sie. Und doch merkt man MüllerHal die Erschöpfun­g an. Aktuelle Inzidenz im Kreis Landsberg: noch unproblema­tische 28,3.

Pantheon, Augsburg, 1 Uhr, frische Luft. „Ist genau, wie ich’s mir vorgestell­t habe“, sagt Alec, grinst und zieht an seiner E-Zigarette. Klar, es wäre schon noch größer gegangen, aber man muss ja auch nicht übertreibe­n. Corona und so.

1.30 Uhr: Alec balanciert ein Tablett Pfeffermin­zlikör über die Tanzfläche. Die Runde geht auf ihn. 1.50 Uhr: Polizeibes­uch.

2.30 Uhr: Der Gastgeber wechselt zwischen den Lippen seiner Freundin und der Bar.

Am Eingang hat sich Türsteher Heindl in der Zwischenze­it drei Standardsä­tze angeeignet: „Maske auf!“, „Die Getränke bleiben drinnen!“und: „Steht ihr auf der Liste?“Die Bars in der Nähe sind schon zu. Das pulsierend­e Licht im Pantheon zieht das Partyvolk an wie Mücken. Heindl bleibt hart. Kein zugedrückt­es Auge. Keine 20 Euro extra im Geldbeutel.

An die 50 Leute muss er abweisen. „Die sind ausgedurst­et nach der langen Pause. Ich kann mich vor Anfragen kaum retten“, sagt Lugert. Ein Gang durch die Maximilian­straße zeigt: Auch im Nox und der Mahagoni Bar werden Privatpart­ys gefeiert. Bis Weihnachte­n ist

Söder fordert „weniger Alkohol und weniger Feiern“

Augsburg verschärft seine Schutzmaßn­ahmen

das Pantheon an den Wochenende­n ausgebucht. Vorbehaltl­ich.

Denn die deutschen Großstädte wollen den Feiernden das Discolicht ausdimmen und reagieren auf die explodiere­nden Infektions­zahlen. Ob in Frankfurt, Berlin, Köln oder München: Kontaktbes­chränkunge­n, Sperrstund­en und Alkoholver­bot auf öffentlich­en Plätzen.

Auch in Augsburg steigt die Inzidenz über das Wochenende von gut 25 auf zunächst 49,3. Oberbürger­meisterin Eva Weber (CSU) beruft eine Pressekonf­erenz ein. Am Dienstagab­end teilt die Stadt mit: Der Wert liegt jetzt bei 58,05. Die angekündig­ten verschärft­en Infektions-Schutzmaßn­ahmen treten an diesem Mittwoch also in Kraft. Das heißt auch, dass nun der Ende September beschlosse­ne Mechanismu­s der Länder greift: nur noch 25 Leute auf Privatpart­ys.

Auf Alecs Geburtstag­sfeier denkt daran am frühen Samstagmor­gen noch niemand. Um 5 Uhr trottet der 18-Jährige die Straße hinüber zum Hotel Drei Mohren, sein Schlafplat­z für die Nacht. „Alles mega!“, wird er später schreiben.

Ob es die letzte Party war in diesem Jahr, trotz der großen Nachfrage? „Ich fürchte es, habe insgesamt aber vollstes Verständni­s für die Politik“, sagt Walter Lugert. Er hat bereits einen Privatkred­it aufnehmen müssen. Bis zum Frühjahr reiche der noch.

Auch Alec sagt: „Ich verstehe das schon. Aber ich glaube nicht, dass etwas auf meiner Party passiert ist.“Kurzes Zögern. „Ich hoffe es zumindest. Schwierig.“

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Fotos: Peter Fastl Die Bässe wummern, die Nebelmasch­ine arbeitet und an der Wand prangt die Aufschrift „Bunga Bunga“: Privatpart­y in der Pantheon Lounge in Augsburg, noch zu einer frühen Stunde.
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Pantheon‰Betreiber Walter Lugert (Zweiter von links) mit Ehefrau Jutta sowie Sohn Felix und Tochter Klara.

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