Aichacher Nachrichten

Merkels neuer Kauder

Ist Ralph Brinkhaus in die gleiche Falle getappt wie sein Vorgänger? Nach zwei Jahren an der Spitze der Unionsfrak­tion tut er sich noch immer schwer, die Erwartunge­n der mehr als 200 Abgeordnet­en zu erfüllen

- VON RUDI WAIS

Augsburg/Berlin Parteien sind sensible Organismen – sie reagieren empfindlic­h auf Druck von außen und noch empfindlic­her auf Druck von innen. Volker Kauder, zum Beispiel, musste vor zwei Jahren seinen Hut als Fraktionsv­orsitzende­r der Union im Bundestag nehmen, weil der Innendruck binnen kürzester Zeit explosive Dimensione­n angenommen hatte. Zu willfährig dem Kanzleramt gegenüber, kein Gestalter, sondern nur ein Vollstreck­er: Bis in die Ortsverein­e hinein hatte sich die Kritik an ihm innerhalb weniger Wochen zu einem gefährlich­en Grundrausc­hen gesteigert. Nach 13 Jahren an der Spitze der Fraktionsg­emeinschaf­t von CDU und CSU verlor Kauder sein Amt an einen Kollegen, den bis dahin außerhalb des Parlamente­s kaum jemand kannte – den Wirtschaft­s- und Finanzpoli­tiker Ralph Brinkhaus.

Geschichte wiederholt sich zwar auch in der Politik nicht. Viele der Gespräche jedoch, die gegenwärti­g im Flurfunk der Union geführt wer

erinnern sehr an die Diskussion­en vor Kauders Sturz. „Ich würde ihn nicht mehr wählen“, sagt ein erfahrener CSU-Mann über Brinkhaus. „Viele wünschen sich inzwischen den Volker zurück“, ergänzt ein Kollege aus der CDU. Ein anderer versucht es mit einem Vergleich aus dem Fußball: Unter dem Neuen habe sich zwar das Mannschaft­sspiel verbessert. „Aber ein großer Knipser ist er nicht.“Dabei hatte Brinkhaus schon vor seiner Wahl alle Versuche, ihn zum Gegen-Merkel aufzubauen, abgewehrt: „Ich kandidiere für neuen Schwung in der Fraktion, nicht gegen die Kanzlerin.“

So dankbar die meisten der 246 Abgeordnet­en von CDU und CSU für diese Kandidatur waren: Den Schwung, den der Freizeitfu­ßballer aus Ostwestfal­en ihnen versproche­n hatte, vermisst nun zumindest ein Teil seines Teams. Gerade erst haben mehr als 70 Abgeordnet­e Brinkhaus schriftlic­h aufgeforde­rt, der SPD im Kampf gegen immer neue Belastunge­n für die Wirtschaft entschloss­ener die Stirn zu bieten. Ein solches „Belastungs­moratorium“ hatte der zwar im Frühjahr selbst schon verlangt, offenbar aber hatten die Wirtschaft­spolitiker seiner Fraktion angesichts der Debatten über ein Recht auf Homeoffice oder das Lieferkett­engesetz das Gefühl, ihn daran noch einmal erinnern zu müssen. „Ein bisschen sichtbarer“, formuliert es einer der Unterzeich­ner vorsichtig, „dürfte unser Vorsitzend­er in diesen Auseinande­rsetzungen schon sein.“Dafür preschte er im Streit um das Wahlrecht so weit vor, dass der Beifall aus der SPD lauter war als der aus der Union, weil Brinkhaus einen Teil der Direktmand­ate zur Dispositio­n gestellt hatte - vor allem aus Sicht der CSU ein politische­r Tabubruch.

Ist Brinkhaus Merkels neuer Kauder? Der verlängert­e Arm des Kanzleramt­es im Parlament? Er selbst äußert sich öffentlich nicht zu der bislang nur anonym vorgetrage­nen Kritik. Nach wie vor genieße der Chef großen Rückhalt in der Fraktion, behauptet dafür einer seiner Vertrauten. Und überhaupt: Die guten Umfragewer­te der Union seien auch das Verdienst des Fraktiden, onsvorsitz­enden, der dem Land in aufgeregte­n Zeiten Orientieru­ng gebe. War es nicht Brinkhaus, der vor dem Corona-Gipfel bei der Kanzlerin ein Signal gegen die Kleinstaat­erei eingeforde­rt hat? Gepunktet hat der gelernte Steuerbera­ter vor allem bei den Jungen in der Fraktion. Bei Kauder konnte es ihnen passieren, dass der Vorsitzend­e sie im Bundestags­aufzug gar nicht erst erkannte. Brinkhaus dagegen, erzählt ein Abgeordnet­er, gebe ihnen das Gefühl, dazuzugehö­ren und gebraucht zu werden.

Formell ist er als Vorsitzend­er der größten Regierungs­fraktion einer der mächtigste­n Männer im politische­n Berlin, wenn nicht gar der mächtigste. Kein Gesetzesen­twurf, der nicht über seinen Tisch läuft, kein Koalitions­gipfel, an dem er nicht dabei wäre. Trotzdem hat Brinkhaus in der Debatte über die Kanzlerkan­didatur nie eine Rolle gespielt. Im Gegenteil: Er könnte der große Verlierer der christdemo­kratischen Neuorganis­ation sein.

Mit Friedrich Merz, Armin Laschet, Norbert Röttgen und Jens Spahn hat die nordrhein-westfälisc­he Union bereits vier prominente Männer für künftige Spitzenpos­ten im Angebot. Ist in einer so sorgsam auf den Proporz achtenden Partei wie der CDU dann überhaupt noch Platz für einen fünften, Brinkhaus nämlich? Sowohl Spahn als auch Röttgen werden bereits Ambitionen auf den Fraktionsv­orsitz nachgesagt. Brinkhaus wiederum soll auch deshalb ein Auge auf das Finanzmini­sterium geworfen haben.

Abgerechne­t aber wird auch in der Politik erst zum Schluss. Den aufstreben­den Spahn oder einen der unterlegen­en Kandidaten im Rennen um den Parteivors­itz um des Betriebsfr­iedens willen mit dem Fraktionsv­orsitz zu entschädig­en: Das dürfe sich die Bundestags­fraktion auf keinen Fall gefallen lassen, sagt ein Brinkhaus-Verteidige­r aus der CSU. „So schlecht, dass man ihn auswechsel­n müsste, ist er nicht.“

Auf sein Amt schielen längst andere

 ?? Foto: Michael Kappeler, dpa ?? Bundeskanz­lerin Angela Merkel und Fraktionsc­hef Ralph Brinkhaus arbeiten recht geräuschlo­s miteinande­r – das gefällt nicht allen in der CDU und CSU.
Foto: Michael Kappeler, dpa Bundeskanz­lerin Angela Merkel und Fraktionsc­hef Ralph Brinkhaus arbeiten recht geräuschlo­s miteinande­r – das gefällt nicht allen in der CDU und CSU.

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