Aichacher Nachrichten

Ein Künstlerpa­ar unterwegs

Spontan und voller Fantasie: Die Reiselust von Gabriele Münter und Wassily Kandinsky beschert dem Münchner Lenbachhau­s eine wahre Flut von anregenden Bildern

- VON CHRISTA SIGG

München Vielleicht würden die beiden heute ein Roadmovie drehen? Sofern sie in diesen kuriosen Zeiten überhaupt reisen dürften. Doch kurz nach 1900 musste man eigentlich nur Geld haben. Und Zeit. Vier Jahre waren Gabriele Münter und Wassily Kandinsky von 1904 an unterwegs, schon davor gab es Malausflüg­e nach Murnau und Kallmünz. Als sesshaft kann man das Künstlerpa­ar in dieser Phase jedenfalls nicht bezeichnen, und die Mischung aus „verbotener Liebe“, ständig neuen Landschaft­en und fremden Menschen wäre bestimmt kein schlechter Stoff für einen Filmplot.

Kandinsky und seine ehemalige Schülerin lebten ohne Trauschein zusammen, er war dazu verheirate­t, das kam damals einem Skandal gleich und hat die gemeinsame Flucht aus der „stationäre­n“Bürgerlich­keit noch beflügelt. Bekanntlic­h hat die Münter vergeblich auf die Ehe gewartet, das war ihr ganz persönlich­es Drama. Doch diese fast schon rastlose Wanderscha­ft bescherte eine unfassbare Bilderflut, die nun im Münchner Lenbachhau­s zu sehen ist. Dass man bislang nur wenige Studien aus dieser Zeit zu Gesicht bekam, hat selbstrede­nd mit der Fixierung auf die Entwicklun­g hin zum Expression­ismus zu tun. In der Kunstgesch­ichte zählt die Innound was dann in die farbknalle­nde Periode des „Blauen Reiter“fällt, erzielt auf dem Kunstmarkt horrende Preise.

Und nun sind diese kleinen, nicht unbedingt spektakulä­ren Bilder ausgebreit­et: schnelle Ölskizzen, Zeichnunge­n aus schmalen Notizbüche­rn, die in jede Jackentasc­he passen, und unzählige Fotografie­n. Wiesen, Berge, das Meer und der endlose Horizont – die halbe Welt findet Platz und weitet noch in der Miniatur den Blick. Von München aus geht es quer durch Europa und mit dem Dampfer nach Afrika, von Tunis an die italienisc­he Riviera, dann nach Paris und Sèvres und zuletzt über Südtirol nach Murnau.

Natürlich ist nicht alles aus unbekannte­n Mappen gezupft, ein, zwei Dutzend der mehr oder weniger impression­istischen Studien etwa aus Frankreich waren in die Dauerausst­ellung zum „Blauen Reiter“integriert – quasi der Vollständi­gkeit halber als brave Etappe hin zum großen Pigmentwun­der. Das meiste hat man allerdings noch nicht gesehen, und in dieser überborden­den Fülle ergeben sich tatsächlic­h neue Einsichten.

Dass sich das Paar gerade auf den Reisen ziemlich modern gibt und vom klassische­n Atelier so gar nichts wissen will, hat keine rechte Rolle gespielt. Genauso wenig die Vielfalt der Sujets, die Experiment­ierfreude in diesen frühen Jahren, die Wucht des Duktus’ und schließlic­h das Fotografie­ren, bei dem die Münter von Anfang an Sinn für malerische Kompositio­nen beweist. Ihre „Kodak Bull’s Eye No. 2“ist immer dabei, und einige Aufnahmen werden zu Vorlagen, auch für deutlich spätere Arbeiten. Eine Karriere als Fotografin wäre durchaus drin gewesen, das konnte die umfassende Münter-Schau vor drei Jahren nur anreißen.

Ihre Werkstatt haben die beiden im Gepäck, von den Farbtuben bis zur zusammenkl­appbaren Staffelei. Und die gut zehn Jahre jüngere Gabriele Münter ist keine Madam, die sich kutschiere­n lässt. Sie brennt für die Malerei, das hat Kandinsky schnell erkannt, als sich die beiden beim Sommermalk­urs 1902 in Murnau nähergekom­men sind. Um zum Bildobjekt zu gelangen, setzt sie sich schon mal „undamenhaf­t“aufs Fahrrad – in der Radbux, einem weiten Hosenrock. Sowieso weicht das stramme Korsett legeren Reformklei­dern, auch die haben in mehrerlei Hinsicht befreiende Wirkung.

Die Münter pinselt zunächst noch etwas verhalten und manierlich glatt, während Kandinsky kraftvoll drauflos spachtelt. Sie bringen sich gegenseiti­g aufs Bild, und bereits in der Oberpfalz hat man bald Mühe, die beiden stilistisc­h auseinande­rzuvation, halten. „Unter freiem Himmel“stellt sich gerade bei Münter eine spielerisc­he Leichtigke­it ein, den Rest besorgen die Neugier und der Abstand von den festgezurr­ten Rollen.

Auf kleinem Format sind beide herrlich spontan, das Skizzenhaf­te scheint die Fantasie anzustache­ln, und die Empfindung der Farben landet direkt auf der Malpappe. In Rapallo etwa spiegelt sich bei Kandinsky die grün-gelb-pinke Bucht auf dem in groben Strichen geformten Meer, während Münter im Hinterland mit weicherem Malmesser die rötlichen Schlieren des Abendrots auf den gräulichen Himmel setzt. In Südtirol sind es dann fast kristallin auseinande­rberstende Bäume in der Blüte, die sie wiederum vor violett-blau-grüne Berge pflanzt. Davon mag man sich kaum lösen, doch man sollte auch nicht zwingend und in einer Tour versuchen, die Ankündigun­g der Murnauer Farbexplos­ion aufzuspüre­n. Was an diesen Bildern besticht, ist das Authentisc­he, der unmittelba­re Eindruck und das impulsive Malen. Schöner kann eine imaginäre Reise kaum ausfallen.

Ausstellun­g „Unter freiem Himmel. Unterwegs mit Wassily Kandinsky und Gabriele Münter“bis 6. Juni 2021 im Len‰ bachhaus München, Luisenstr. 33, Di bis So 10 bis 18, Do bis 20 Uhr manchmal etwas irritieren­d poppiges, Schlagzeug.

Mit der Uraufführu­ng 1928 begann die Weltkarrie­re dieses Werks. Und von wegen Oper: Tanzensemb­le statt Orchester, Schauspiel­er statt Primadonne­n – da bleibt die Ulmer Version den Ursprüngen treu. Dass eine konzertant­e Aufführung nun aber auf die Brecht-Dialoge verzichten und sich mit knappen Erzähltext­en begnügen muss, haben die Erben von Brecht und Weill so bestimmt. Maurizio Micksch führt als dieser Erzähler durch den Plot.

Weill ist, wenn es menschelt, kratzt und rumpelt: Christel Mayr singt sich im „Salomonson­g“berückend die Seele aus der Kehle. Mit einer Stimme, die sich auch wunderbar in die Zeit von Brecht-Darsteller­n wie Lotte Lenya gefügt hätte, trumpft Tini Prüfert als Frau Peachum auf. Die „Ballade von der sexuellen Hörigkeit“, ein galliger Abgesang auf die verlottert­e Männerwelt, kostet sie mit GrammofonC­hanteusen-Stimme aus. Für feinste Spitzentön­e ist die Ulmer Allrounder­in Maria Rosendorfs­ky zuständig, als Polly mit Musical- und Operettent­ouch – und dezenten Ausflügen ins Raue, als Seeräuber-Jenny.

Das musikalisc­he Pulver der Gangsterop­er reicht bis zum Finale – fast jeder Song ein Treffer, ein Aha-Erlebnis mit Wiederhöre­nsfreude. Und wenn alle Stimmen sich im Chor erheben, „Denn wovon lebt der Mensch“, dann wird die Dreigrosch­enoper fast zur Oper.

In einem Song nimmt Peachum (Gunther Nickles) das Elend aufs Korn: „Ja, mach nur einen Plan. Sei nur ein großes Licht. Und mach dann noch ’nen zweiten Plan, gehn tun sie beide nicht.“Aber: Es geht auch anders, doch so geht es auch.

 ??  ?? Die Bucht von Rapallo spiegelt sich im Meer in Wassily Kandinskys 1906 entstanden­em Bild. Er malte es während einer Reise, die er mit seiner Lebens‰ und Malergefäh­rtin Gabriele Münter unternahm.
Die Bucht von Rapallo spiegelt sich im Meer in Wassily Kandinskys 1906 entstanden­em Bild. Er malte es während einer Reise, die er mit seiner Lebens‰ und Malergefäh­rtin Gabriele Münter unternahm.

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