Ab 22 Uhr geht in Augsburg nichts mehr
Weil es immer mehr Corona-Infektionen gibt, gelten auch im Nachtleben strengere Regeln. Ein Rundgang in der Innenstadt zeigt, wie die Menschen damit umgehen
Es ist Samstagabend, kurz vor 22Uhr, und in der Haifischbar sind die Stühle bereits auf Tische und Bänke gestapelt, Gäste sind gerade erst aus dem Laden geströmt. Michael, Barkeeper, Kellner und seit vielen Jahren Teil der Haifischbar, räumt auf. Sperrstunde in Augsburg. Weil sich die aktuellen Corona-Infektionen binnen einer Woche etwa verdreifacht haben und der Inzidenzwert aus sieben Tagen weit über der Grenze von 50 liegt. Letzte Woche, sagt Michael, habe man noch bis tief in die Nacht offen gehabt – und jetzt das. Nein, er könne sich nicht erinnern, wann die Bar zuletzt an einem Wochenende so früh zumachte. Aber – und hier hebt er seine Hand, sie verharrt kurz in der Luft und sinkt rasch wieder – es helfe ja nichts, da müsse man durch.
Wer an diesem Wochenende durch die Innenstadt ziehen wollte, musste zwei Dinge beachten: Früh dran sein und Mundschutz auf. Wer sich etwa an der bei Nachtschwärmern beliebten Tankstelle am Leonhardsberg gegen 21.15 Uhr noch mit alkoholischen Getränken versorgen wollte, war zu spät dran. Ab 21 Uhr sind die Kühlzellen dort verschlossen – auch wenn auf der städtischen Website ein Verkaufsverbot ab 22 Uhr nachzulesen ist. Eine Clique steht vor dem Bier, der Blick geht auf das Schloss, schnell geht es wieder hinaus in diese Corona-Nacht.
Von der Tankstelle sind es nur wenige Meter bis zum Prager Stüberl – eine Kneipe, die bei vielen jungen Menschen einen gewissen Kultstatus genießt. Es ist halb zehn, acht Gäste klammern sich an ihr Helles, ihren Weißwein und die Zigarette. Wirtin Renata Behrendt wischt bereits den Tresen und sagt, „wir alle sind ein freies Leben gewöhnt“. Die jetzigen Einschränkungen seien schon hart – aber schlimmer werde es doch, wenn man nichts unternehme. Einige der Gäste sehen das ähnlich, andere erklären, das alles sei unnötig.
Ähnlich hin- und hergerissen sind Baris und seine Jungs. Die fünf haben sich ganz in der Nähe des Prager Stüberls in Freien eine Ecke gesucht, es gibt Wodka mit Energydrinks. Bei zweien baumelt die Maske am Kinn, drei tragen sie. „Unserer Meinung nach geht es bei Corona immer auf die jungen Leute, das ist Mist.“Jetzt, wo alles so früh zumache, würden sie sich eben bei jemandem zuhause treffen, irgendwo im Stadtgebiet – wer krank sei, komme halt nicht. Die Wodkaflasche wird geöffnet, es wird nachgeschenkt, gelacht, ein wenig gefeiert.
Es ist mittlerweile Viertel vor
und auf der Maxstraße ist einiges los. Gruppen und Grüppchen schlendern über die Ausgehmeile, beinahe ausnahmslos sitzt der Mund-Nasen-Schutz dort, wo er hingehört. Viele Bars sind so voll, wie es Corona erlaubt, an manchen Eingängen drängen sich Raucher oder solche, die einen letzten Drink suchen. Die Cocktailbar Peaches ist zu, vor dem Pantheon-Café sind die Tische voll, Menschen hüllen sich in dicke Jacken und schwere Decken.
Am Herkulesbrunnen steht einsam ein Bus des Ordnungsamtes, niemand sitzt drin. Polizeifahrzeuge patrouillieren in der Innenstadt, Beamte selbst sind zu dieser Zeit auf der Maxstraße allerdings nicht zu sehen. Was sich im Laufe des Abends aber noch ändern wird.
Laut Polizeibericht stritten gegen 22 Uhr zwei alkoholisierte Männer lautstark in einem Café. Als Polizisten sie hinaus begleiteten, riss sich einer der Männer los und stürzte. Als die Beamten ihn fixierten, leistete er „massiven Widerstand“, etwa durch Faustschläge und Tritte. Die Einsatzkräfte mussten Pfefferspray einsetzen und dem 22-Jährigen Handschellen anlegen. Ein Alkoholtest ergab einen Wert von über 2,4 Promille. Die zweite Person, ein 18-Jähriger, versuchte sich loszureißen, als er seine Ausweisdokumente vorzeigen sollte. Er hatte über 1,7 Promille. Beide Männer wurden in Gewahrsam genommen, zwei Polizisten waren nicht mehr dienstfähig.
Kurz vor diesem Ereignis liegt die Straße belebt, aber friedlich dar. Ein junger Mann in einer Art Prinzessinnenkostüm saugt an einer E-Zigarette. Ufuk Kilic feiert seinen Junggesellenabschied – vor ein paar Tagen wollten seine Freunde mit ihm noch nach Frankfurt oder Hamburg, da „wo richtig was abgeht“. Corona vereitelte diese Pläzehn ne. Jetzt sitzen die Allgäuer hier in einer Cocktailbar. Er könne nicht alles nachvollziehen, was von der Politik beschlossen werde, sagt der junge Mann mit Drink in der Hand.
Sein Junggesellenabschied sei ihm dabei weniger wichtig, seine Hochzeit dafür umso mehr: Kilic wollte am 31. Oktober heiraten, das muss er nun wohl alles verschieben. Auf wann? Ungewiss. Darüber sorgen kann man sich auch morgen noch, Kilic und seine Freunde sind heute Abend gut drauf – trinken, lachen, Corona dominiert nicht alles.
Das würde auch Markus Zeren gerne weiter so sehen – allein, es fällt dem Gastronomen zusehends schwer. Er betreibt das Annapam in der Bäckergasse, um halb zehn gibt es hier am Samstagabend für die Gäste die letzte Runde. „Seit Donnerstag wurden viele Reservierungen abgesagt, das liegt meinem Empfinden nach nicht unbedingt an der Sperrstunde.“Schließlich würden auch Regeln wie das Zusammensein von fünf Personen oder zwei Haushalten Gruppen daran hindern, zu kommen. Dabei hat er gerade erst den Keller ausgebaut, um mehr Gäste coronakonform bewirten zu können. „Ich glaube, das wird die nächsten Monate so weitergehen.“Aber: Alles sei besser als ein erneuter Lockdown. Es ist kurz nach 22 Uhr, als die letzten Gäste hier aufbrechen.
Da sind Anja und ihre Freundinnen schon weg. Die drei Studentinnen waren etwas trinken, mit der Sperrstunde hätten sie kein Problem, sagt Anja. „Wir verzichten ja nicht für uns gerade auf ein paar Dinge, sondern für andere – besonders für Risikogruppen. Man kann sich damit arrangieren.“Die drei Frauen schließen ihre Fahrräder auf, sie wollen den Abend in einer ihrer Wohnungen ausklingen lassen.