Angeknockt, ausgeknockt
Der Friedberger Fatih Dübüs verliert WM-Kampf gegen Tschechen Jan Marsalek
Donauwörth/Friedberg Es ist Freitag, 16 Uhr, Fatih Dübüs trippelt immer wieder auf dem Holzfußboden des Elia-Restaurants in Donauwörth hin und her. Ein paarmal fliegen seine Fäuste durch die Luft, er duckt sich weg, dann der nächste Schlag – auf einen Gegner zielt er dabei jedoch nicht. Fast zehn Monate ist es her, dass er zuletzt gegen einen Menschen aus Fleisch und Blut gekämpft hat, nicht nur einen Sack aus Sand und Leder.
Seit knapp 20 Stunden hat der Friedberger Boxer nichts gegessen, Wasser trank er zuletzt in der Früh. Wie sich später zeigen wird, hat ihm beides noch einmal 700 Gramm eingebracht. 63,5 Kilogramm darf er heute höchstens auf die Waage bringen, nun zeigt sie 62,8 Kilo an – sein bester Freund Kader johlt ob dieser Leistung. Beim Wiegen scheint es, als übertrage sich die Anspannung seiner Muskeln auf Dübüs’ Gesicht. Dann ein kurzes Lächeln für den Kumpel, die Fotoapparate und die gezückten Smartphones.
Kaum 27 Stunden später, Samstag, 19 Uhr, etwa drei Kilometer Luftlinie von Elia-Restaurant entfernt: Dübüs liegt der Länge nach auf einem roten Ledersofa im CPI Boxing Gym, Maske, eine dunkle Schirmmütze und voluminöse rote Kopfhörer. „Er ist im Tunnel“, sagt Kumpel Kader, keiner dürfe ihn nun stören. Auch die zig an Dübüs vorbeihastenden Menschen scheinen ihn nicht zu kümmern. Die Luft steht vor Schweiß vor dem ersten Höhepunkt des Abends. Einen Kampf haben die Zuschauer schon gesehen, wegen Corona ist das Publikum klein. Intensiv sei er gewesen, so ein erstes Urteil. Nichts jedoch im Vergleich zu dem, was jetzt noch kommen wird. Denn Dübüs’ Ziel ist mehr als ein Sieg, es ist größtenteils aus Plastik und golden glänzend – der Weltmeister-Gürtel der World Boxing Federation (WBF).
Der Gegner ist diesmal mehr als ein Sandsack, viel mehr als nur die Luft. Jan Marsalek, tags zuvor angereist aus Hradec Kralove im Nordosten Tschechiens, schickt sich an, Dübüs den Titel streitig zu machen. Er lässt die Arme durch die Luft kreisen, wärmt sich langsam auf. Marsaleks besondere Stärke sei die Kondition, meint Dübüs. Tatsächlich ist der Tscheche neben seiner eigenen Boxkarriere Fitnesstrainer einer der erfolgreichsten Boxer des
Nachbarlandes. 20.24 Uhr: Neben dem Schweiß liegt einiges an Pathos in der Luft, über die vier großen schwarzen Lautsprecher dröhnt zunächst die tschechische, dann die türkische Nationalhymne durch die Halle. Dübüs reckt sein Kinn in die Luft als wolle er die gesamte Atmosphäre aufsaugen, dann verschwimmt sein Blick. Der Tunnel ist wieder da, kurz darauf ertönt der Gong. Die beiden Kontrahenten betasten sich, es scheint, als sehe Dübüs durch seinen Gegner hindurch, keine Regung zieht sich durch sein Gesicht. Lediglich die Fäuste seines Gegners trommeln darauf ein. Nicht oft, aber beständig. Marsalek spielt seine Erfahrung aus, mit 33 Jahren ist er sieben Jahre älter als Dübüs. Auch der Friedberger kann einige Treffer landen, gefühlsmäßig führt er nach Punkten.
Dann trifft ihn die blau behandschuhte Faust Marsaleks knapp unter dem rechten Auge, das Jochbein schwillt an. Irgendwann, wenn ein Schlag auf Dübüs’ Gesicht prallt, spritzt nicht mehr nur Schweiß durch die Luft, die Haut über dem Jochbein ist aufgeplatzt. Dübüs’ Trainer, Florin Catuna, wird später sagen, dass dieser eine kleine Fehler der Knackpunkt war. Jener Augenblick, zu dem der Kampf zu Marsaleks Gunsten kippte. „Er ist weiter mein Boxer“, sagt Catuna. „Ihm hat aber einfach die Kondition gefehlt nach neun Runden.“
Das musste auch Dübüs einsehen. Einmal nimmt er die Fäuste nicht hoch genug, Marsaleks Schlag trifft ihn fast unvermittelt. Der Friedberger taumelt gar nicht erst, fällt direkt in die Seile und bleibt dann liegen. Ein Helfer eilt zu ihm, Trainer Catuna nimmt seinen Kopf mit beiden Händen und sieht Dübüs in die Augen. Sie erwidern den Blick nicht, schauen nur ins Leere. Nur knapp fünf Minuten später wird er sagen, dass er hätte weiterkämpfen, sich hätte durchbeißen können. Diese Verbissenheit mag es am Ende sein, die Dübüs den Sieg kostete. Im Dezember findet sein nächster Kampf statt. „Dann will ich angreifen“, sagt der Friedberger, der an der Pleite noch ein, zwei Tage knabbern wird. Bis dahin trainiert er wieder mit „dem verdammten Sandsack“.
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