Aichacher Nachrichten

Sie leiten einen Trachtenve­rein mitten in Augsburg

Toni Kürzinger und Ulrike Riedl stehen an der Spitze des Lechhauser Volkstrach­tenvereins. Seit ihrer Kindheit sind sie dort aktiv. Warum ihnen Corona zu schaffen macht

- VON ANDREA BAUMANN

Mit seiner Trachtenja­cke, der Lederhose und den polierten Haferlschu­hen macht Toni Kürzinger was her: In Bayern gilt einer wie der 29-Jährige als „fescher Bursch“. Und auch seine Tante Ulrike Riedl, 48, kann sich im Dirndl sehen lassen. Wer die beiden aber auf dem Dorf wähnt, geht fehl. Sie führen seit Kurzem einen Verein, der mitten in der Großstadt ansässig ist: den Oberbayeri­schen Volkstrach­tenverein Augsburg-Lechhausen. Oberbayeri­sch im schwäbisch­en Augsburg? Was zunächst erstaunt, ist zweifach legitimier­t: Denn erstens hat der Verein seine Wurzeln im tiefsten Oberbayern – er wurde 1905 von Zuwanderer­n aus dem Miesbacher Raum gegründet, die zum Arbeiten bei der MAN in den Raum Augsburg gekommen waren. Und zweitens war Lechhausen damals noch kein Stadtteil, sondern ein selbststän­diger Ort, der zu Altbayern zählte.

Ein bisschen wie im altbayeris­chen Dorf fühlt man sich auch beim Betreten des „Saalbau Krone“, dem Vereinslok­al und Sitz der Trachtler. Das Haus sei ein paar Jahrhunder­te alt, weiß das Führungsdu­o. Auch im Inneren erinnern Fotos, Requisiten und die bodenständ­ige Einrichtun­g von Saal und Wirtsstube an frühere

Zeiten. Toni Kürzinger fühlt sich hier zu Hause. Schon als er noch in den Windeln lag, haben ihn seine Eltern mit zu den Trachtlern genommen. Die Verbundenh­eit zum Verein werde von einer Generation an die nächste weitergege­ben, sagt der junge Mann und rückt seinen Hut zurecht. Ohne dieses Hineinwach­sen wäre es für ihn wohl schwierig gewesen, gerade in der Stadt ausgerechn­et einem Trachtenve­rein ein Leben lang die Treue zu halten. Ulrike Riedl ergänzt die Ausführung­en ihres Neffen mit einem: „Wir sind hier alle hineingebo­ren worden und haben nichts anderes gekannt.“

Bei den beiden agiert aber nicht nur Traditions­bewusstsei­n als Triebfeder für ihr Engagement, sondern auch ein gewisser Familienst­olz. Schließlic­h ist mittlerwei­le die sechste Generation der Familie im Verein aktiv, und seit 1951 steht immer ein Vertreter der Hinterbran­dners an der Spitze. Das ist auch jetzt der Fall, denn Ulrike Riedl ist eine geborene Hinterbran­dner und Toni Kürzinger der Sohn ihrer Schwester. Der 29-jährige Bankkaufma­nn fühlt sich geehrt, dass die Mitglieder ihn zum Vorsitzend­en gewählt haben: „Ich war schon vor neun Jahren als Stellvertr­eter im Gespräch, doch da meinten meine Eltern, ich solle erst mal meine Ausbildung beenden.“Kürzinger will neue Impulse setzen und das Vereinsleb­en untereinan­der wieder mehr ausbauen. „Wir werden aber nichts Grundlegen­des über den Haufen werfen“, verspricht er. Das sieht auch Riedl so, für die Heimataben­de und Veranstalt­ungen dazugehöre­n wie das Dirndl und die Lederhose. „Ein Trachtenve­rein bleibt ein Trachtenve­rein.“

Die Lechhauser Trachtler haben etliche Krisen überlebt – wie etwa die beiden Weltkriege. Aktuell macht ihnen die Corona-Pandemie schwer zu schaffen, kam doch im Frühjahr das Vereinsleb­en bis auf ein paar Einträge auf der FacebookSe­ite und Whatsapp-Nachrichte­n fast völlig zum Erliegen. Zuletzt seien die Aktivitäte­n wieder ein Stück weit hochgefahr­en worden, allerdings nur im internen Kreis und nicht für die Öffentlich­keit. Unter anderem fällt auch der herbstlich­e Heimataben­d Corona zum Opfer. Die fehlenden Einnahmen aus Eintrittsg­eldern und Bewirtung tun dem Verein laut Kürzinger weh. „Wir müssen unsere Pacht bezahlen.“Seit einigen Jahren nutzen die Lechhauser Trachtler die „Krone“nur für sich, das öffentlich­e Gasthaus gibt es nicht mehr. Hinzu kommt, dass den rund 100 Mitglieder starken Verein mit eigener Trachtenka­pelle Nachwuchss­orgen plagen. Einige kinderreic­he Familien seien wegen Corona auf Abstand gegangen, bedauern die Vorsitzend­en.

Hinzu kommt: Die gelernte Industriek­auffrau Ulrike Riedl hat die Konkurrenz in der eigenen Familie. „Ich habe einen Trachtler aus Gersthofen geheiratet. Mein Mann und meine Kinder sind dort aktiv. Aber wenn es bei uns brennt, helfen sie mit.“Toni Kürzinger ist ebenfalls nicht mit einer Frau aus dem eigenen Verein verbandelt, sondern momentan Single. Eine Trachtleri­n sei für ihn keine Voraussetz­ung, stellt er klar. Aber Verständni­s für den Verein sollte sie mitbringen.

Die beiden könnten noch lange übers Vereinsleb­en sinnieren, etwa dass sich die Feste und Feiern am katholisch­en Kirchenjah­r orientiere­n. Oder dass das fesche Gewand, das sie fürs Foto tragen, nicht die eigentlich­e Miesbacher Festtracht ist, sondern nur eine Alltagsvar­iante. „Das Anziehen der Festtracht ist sehr aufwendig. Ich hätte jemanden gebraucht, der mir hilft“, sagt Ulrike Riedl und lacht. Vermutlich wird sie ihr Dirndl, wenn sie wieder zu Hause ist, in den Schrank hängen. „Mich gibt es auch in Jeans und Turnschuhe­n.“

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Foto: Michael Hochgemuth Toni Kürzinger und Ulrike Riedl sind das neue Führungsdu­o des Oberbayeri­schen Volkstrach­tenvereins Lechhausen.
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Foto: Archiv Zünftig ging es auch schon vor mehr als 100 Jahren bei den Lechhauser Trachtlern zu.

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