Im KöProzess sorgen Gewaltvideos für Entsetzen
Viele im Gerichtssaal können die Bilder kaum ertragen: In der Verhandlung um den tödlichen Schlag am Augsburger Königsplatz werden Filmaufnahmen gezeigt, die sich auf den Handys der Angeklagten befanden
Die Brutalität ist enorm. Die Bilder, die von einem Projektor an die Wand an der Stirnseite des Gerichtssaals geworfen werden, sind kaum zu ertragen. Es sind kurze Videos, die bei den Angeklagten im Augsburger Kö-Prozess auf den Handys gefunden wurden. Viele im Saal schauen weg, die drei Angeklagten blicken auf die Tischplatte vor ihnen.
Ein Film zeigt, wie ein nackter Mann wehrlos auf dem Boden liegt und ein Hund dessen Hoden frisst. Ein anderes Video ist in einer Art Dschungel aufgenommen. Maskierte Männer enthaupten eine am Boden kniende Frau. Weitere brutale Tötungsszenen werden abgespielt, ein Film zeigt einen gefesselten Kämpfer, der von einem großen Geschoss getroffen wird, unterlegt ist das mit orientalischer Musik. Für Lenart Hoesch, Vorsitzender Richter der Jugendkammer des Landgerichts, stellt sich die Frage, was diese Videos bei den Jugendlichen und jungen Männern bewirkt haben. Haben sie die Hemmschwelle für echte Gewalttaten gesenkt?
Rechtsanwalt Marco Müller verteidigt Halid S., 17, den Hauptangeklagten in dem Prozess. Er hat bei einer Auseinandersetzung am Königsplatz den 49-jährigen Roland S. mit einem Faustschlag ins Gesicht getötet. Der Verteidiger erklärte, er verstehe nicht, warum die Videos gezeigt werden müssten. Sie könnten nicht dazu dienen, die Gewalttat vom Kö aufzuklären. Dass der Anwalt die Videos im Gerichtssaal lieber nicht sehen wollte, ist nachvollziehbar – schließlich werfen sie kein gutes Licht auf die Angeklagten. Neben Halid S. sind noch zwei weitere junge Männer, 18 und 20, angeklagt. Sie sollen einen Freund von
Roland S. geschlagen und verletzt haben.
Alle drei Angeklagten gaben im Prozess an, die Gewaltvideos hätten für sie keine besondere Bedeutung gehabt. Sie hätten die Bilder über Handy-Chatgruppen erhalten, aber nicht weiter beachtet. Zweifel daran kommen auf, wenn man einen ChatDialog liest, den der 20-jährige Angeklagte mit einem Freund geführt hat. Sie tauschen sich dabei offensichtlich über die Videos aus. Es fallen Worte wie: „Schau ganz an“, „Die schlachten den“, „geisteskrank“und „voll krass“. Eine Mitarbeiterin des Jugendamts sagt auf
Nachfrage von Richter Hoesch, die Videos seien in den Gesprächen mit den Angeklagten kein großes Thema gewesen. Sie könne daher nicht sagen, welchen Einfluss sie auf das Verhalten hatten. Bei Angeklagten unter 21 Jahren gibt stets auch das Jugendamt einen Bericht ab – es geht dabei unter anderem um Empfehlungen für eine Strafe und eine mögliche Aufarbeitung der Tat.
Das Bild, das Halid S. im Gespräch abgegeben habe, sei zwiespältig, erklärt die Jugendamts-Mitarbeiterin. Einerseits habe er sich höflich und respektvoll verhalten und gesagt, dass ihm die Tat leidtue.
Andererseits habe er aber auch kühl und abgeklärt gewirkt. Ein Psychologe aus dem Jugendgefängnis, in dem Halid S. sitzt, habe auch berichtet, der 17-Jährige habe versucht, „Mithäftlinge auf subtile Art zu manipulieren“. Das habe zu Spannungen geführt und letztlich auch dazu, dass er in Einzelhaft kam. Halid S. wurde in Augsburg geboren, seine Eltern stammen aus der Türkei und dem Libanon, sie leben seit rund 30 Jahren in Deutschland. Die Familie mit vier Kindern lebte auf recht beengtem Raum in einer Vier-Zimmer-Wohnung. Das Verhältnis zu den Eltern und den
Geschwistern beschreibt der 17-Jährige aber als gut. Er war schon vor der Kö-Tat in Konflikt mit dem Gesetz geraten – unter anderem wegen Diebstahls und Körperverletzung. Aber er war auch weit entfernt davon, als Intensivtäter eingestuft zu werden.
Die meisten Zeugen sind in dem Prozess um die Gewalttat inzwischen vom Gericht angehört worden. In der kommenden Woche soll dann noch ein Rechtsmediziner, der die Leiche des Getöteten untersucht hat, aussagen. Läuft es wie geplant weiter, dann wird das Urteil am Freitag, 6. November, fallen.