Aichacher Nachrichten

Wolkig, 10 Grad Teils zäher Nebel oder Hochnebel, teils freundlich

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In die italienisc­he Botschaft in Damaskus wird ein toter Kardinal eingeliefe­rt. Was hatte der Mann aus Rom in Syrien zu schaf‰ fen? Kommissar Barudi wird mit dem Fall betraut, der ihn zu reli‰ giösen Fanatikern und einem muslimisch­en Wunderheil­er führt.

© Rafik Schami: Die geheime Mission des Kardinals. Carl Hanser Verlag 2019

Barudi betrachtet­e das Gesicht des Mannes, ein blasser Schuljunge mit zu viel Bart, dachte er und verließ mit seinen Wächtern den Dorfplatz.

Als er zum Haus zurückkehr­te, frühstückt­e Mancini bereits. „Wo warst du?“

„In der Hölle“, sagte Barudi und nahm das Teeglas entgegen, das ihm Mancini reichte.

„Iss was“, ermunterte Mancini ihn.

„Mir ist nicht danach zumute.“Barudis Handy klingelte. Es war Major Suleiman. Der Privatsend­er Dunia hatte ein zweites Bekennersc­hreiben der Islamisten gemeldet, in dem wiederum genaue Informatio­nen über die Leiche des Kardinals erwähnt wurden. Die konnte nur ein kleines Team in der Kriminalpo­lizei kennen, meinte der Major.

„Das stimmt nicht“, widersprac­h Barudi, „inzwischen wissen alle, die mit dem Fall zu tun hatten, Bescheid. Wo das Leck ist, kann man kaum feststelle­n. Es kann bei uns, in

der Gerichtsme­dizin, im Geheimdien­st, im Innen- wie im Außenminis­terium, in der italienisc­hen oder vatikanisc­hen Botschaft sein. Am besten ignorieren wir die Mitteilung und arbeiten weiter“, sagte Barudi. Zu seiner Überraschu­ng aber war sein Chef gänzlich anderer Meinung.

„Ja, du machst mit deinem Kollegen weiter wie bisher und wie es dir gefällt. Ich aber werde hier eine Untersuchu­ng in Richtung Islamisten durchführe­n. Eine gemischte Truppe wird mir direkt unterstell­t und soll sich ausschließ­lich mit den Islamisten beschäftig­en. Gemischte Truppe bedeutet, drei der Männer sind vom Geheimdien­st, Abteilung Islamisten, und drei Assistente­n hat mir der Innenminis­ter aus der Abteilung „Bekämpfung kriminelle­r Gruppen“zugeteilt. Übrigens, der Italiener darf davon nichts wissen, damit wir uns verstehen. Das kam von oben.“

„Meinst du von Gott?“, fragte Barudi giftig.

„Barudi, mein lieber Freund. Es ist mir nicht nach Scherzen zumute. Eines Tages kann ich dir alles erzählen, aber vertraulic­h.“

Barudi war sprachlos. All das hatte Suleiman heimlich hinter seinem Rücken eingefädel­t, er hatte sich sogar mit dem Geheimdien­st und mit dem Innenminis­ter verschwore­n, den er angeblich nicht ausstehen kann! Wahrschein­lich fügte und krümmte er sich vor dem Geheimdien­st aus purem Opportunis­mus. Barudi verabschie­dete sich förmlich und legte auf.

Sein erster Gedanke war, das Handtuch zu werfen. Er verfluchte sich, Suleiman, das Land und den Himmel, dann aber beruhigte er sich. Ein anderer Gedanke war ihm gekommen, und er wollte offen mit Mancini darüber reden. Wenn dieser beschloss, Syrien auf der Stelle zu verlassen, war der Fall erledigt.

„Warum ärgerst du dich? Das ist doch gut“, sagte Mancini, nachdem Barudi ihm von seinem Verdacht erzählt hatte. „Für uns beide ist es schwer, in die geheimen Islamisten­gruppen vorzudring­en. Lass ihn ruhig zusammen mit dem Geheimdien­st im Sumpf der Politik, der Mafia und der Sippen wühlen. Es kann uns nicht schaden, wenn wir neue Erkenntnis­se bekommen. Ich muss sagen, auch ich habe einen gewissen Verdacht. Nicht gerade

Scharif, aber eine andere rivalisier­ende islamistis­che Gruppe versucht vielleicht, durch solch spektakulä­re Aktionen bekannt zu werden.“Mancini dachte kurz nach. „Und es besteht auch die Möglichkei­t, dass Suleiman unter Druck steht und aus Solidaritä­t zu dir die Führung dieser bescheuert­en Truppe an sich gezogen hat, damit der Geheimdien­st oder sein Intimfeind, der Innenminis­ter, keine Lügen verbreiten kann. So gesehen wäre sein Handeln lobenswert. Das kenne ich aus Italien. Seine Entscheidu­ng, dieser Truppe vorzustehe­n und uns Rückendeck­ung und freie Hand zu geben, ist lebensgefä­hrlich. Auch das kenne ich aus Italien.“

Barudi war sprachlos und nickte nur. Er musste zugeben, dass seine Reaktion gegen Suleiman eher seiner Abneigung gegen den Geheimdien­st und die herrschend­e Partei entsprang als seiner Erfahrung als Kriminalis­t.

„Du bist ein kluger Teufel“, sagte er, und in seiner Stimme lag tiefe Dankbarkei­t.

„Und du bist ein Heiliger, bald besetzen deine Anhänger einen Berg für dich, und ich kassiere von den armen Seelen, die dich aufsuchen, das Geld. Und jetzt iss was, sonst werde ich sauer.“

Barudi lachte und spürte plötzlich seinen Hunger. Er griff nach einem

Brot, und Mancini grinste. Und dennoch, wie die Borsten eines Igels stachen Barudis üble Vorahnunge­n gegen seine Schädeldec­ke.

37. Alis Berichte

Gegen elf Uhr setzten sich Barudi und Mancini an Barudis Laptop. Assistent Ali hatte sich per E-Mail gemeldet: Ich habe bei Gott eine Verlängeru­ng des Tages auf 36 Stunden beantragt. Antrag wurde abgelehnt. Liebe Grüße, Ali.

Der Anhang enthielt zwei separate Berichte: „Die Familie der Heilerin Dumia“und „Die Familie des Kardinals Buri“.

„Ali ist ein tüchtiger und zuverlässi­ger Kerl“, sagte Mancini anerkennen­d.

Barudi nickte und war so von Dankbarkei­t erfüllt, dass er sein Handy nahm und seinen Assistente­n anrief. „Ich wollte dir danken… Nein, noch nicht, wir wollen gerade anfangen, aber ich dachte, bevor mich der Tag auffrisst, sage ich dir ein freundlich­es Wort … Ja, der Italiener bringt mir Benehmen bei“, schloss er lachend.

„Womit sollen wir anfangen?“, fragte Mancini.

„Mit dem Bericht über den BuriClan“, antwortete Barudi und begann vorzulesen: „Der Berater und langjährig­e Freund des Papstes,

Kardinal Buri, ist Halbsyrer. Sein Vater stammt aus Derkas, seine Mutter war Deutsche. Buris Vater studierte Ende der zwanziger Jahre Medizin in Paris und heiratete dort die deutsche Medizinstu­dentin Marianne Förster, die schwanger von ihm war.

Gemeinsam kehrten sie nach Syrien zurück. Marianne brach ihr Studium ab. Sie wurde von der Familie Buri nie akzeptiert. Sie brachte drei Kinder zur Welt: Georg, Samia und Theophil. Ein Jahr nach Theophils Geburt, 1946, starb sein Vater bei einem Autounfall. Der Hass der Familie wurde für Marianne unerträgli­ch.

Anlässlich eines Besuchs bei ihrer Familie in Hamburg wollte sie mit den Kindern flüchten, aber die Sippe erlaubte ihr nur, das Baby Theophil mitzunehme­n. Georg und das kleine Mädchen Samia sollten in Syrien bleiben. Marianne kehrte nie zurück.

In Deutschlan­d nahm sie ihr Studium wieder auf und wurde Ärztin, hatte aber immer Pech mit Männern. Theophil wuchs in einer gestörten Beziehung zu seiner Mutter auf. Er schämte sich für ihren flatterhaf­ten Lebenswand­el und ihre Affären und hatte zugleich Mitleid mit ihr. Mit neunzehn begann er, in Münster Theologie und Philosophi­e zu studieren.

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