Aichacher Nachrichten

Strafbares Baby‰Glück

Das Bayerische Oberstes Landesgeri­cht fällt im Streit um die Arbeit des Vereins „Netzwerk Embryonens­pende“ein letztes Urteil – ein folgenschw­eres für kinderlose Paare

- VON JONATHAN MAYER

München/Höchstädt Endlos lange zehn Jahre hat Isabell B. (Name geändert) für ihren Traum, ein eigenes Kind großzuzieh­en, gekämpft. Rückschlag um Rückschlag mussten die heute Anfang 40-Jährige und ihr Partner einstecken: Nichts, was das Paar probierte, hat funktionie­rt. Vom Geschlecht­sverkehr angefangen über die künstliche Einführung der Samen, bis zur Befruchtun­g der Eizelle im Reagenzgla­s hat ihr keine Methode der Ärzte die erhoffte Schwangers­chaft beschert. Warum, das weiß sie bis heute nicht. „Die Ursache konnte nie festgestel­lt werden“, erzählt sie. Hilfe brachte ein Verein aus Höchstädt im Landkreis Dillingen. Dank ihm können sie und ihr Partner heute ihr dreijährig­es Kind im Arm halten – eines, das es sonst wohl nie gegeben hätte.

Der Verein „Netzwerk Embryonens­pende“vermittelt­e Isabell B. wie zahlreiche­n anderen ungewollt kinderlose­n Paaren Eizellen anderer Frauen, die bei Kinderwuns­chbehandlu­ngen quasi übrig geblieben und eingefrore­n worden waren. Drei Mitglieder des Vereins musssich nun in einem Berufungsv­erfahren vor dem Bayerische­n Obersten Landesgeri­cht verantwort­en.

Aus Sicht der Oberstaats­anwaltscha­ft verstoßen sie gegen das Embryonens­chutzgeset­z, das die Weitergabe unbefrucht­eter Eizellen verbietet. Zudem darf eine Eizelle nicht mit dem Ziel befruchtet werden, sie einer anderen Frau einzupflan­zen als der, von der die Zelle stammt. Dem Vorsitzend­en des Vereins, Hans-Peter Eiden, und zwei Medizinern wurde der Verstoß gegen dieses Gesetz sowie missbräuch­liche Anwendung von Fortpflanz­ungstechni­ken in 33 Fällen zur Last gelegt.

Die Angeklagte­n wiederum sahen sich im Recht: Aus ihrer Sicht ist die Weitergabe imprägnier­ter Eizellen, also solcher, in die zwar bereits ein Spermium eingedrung­en ist, deren Zellkern aber noch nicht mit dem des Spermiums verschmolz­en ist, erlaubt. Ihrer Argumentat­ion zufolge kommt es nach dem Eindringen des Spermiums zwangsläuf­ig zur Verschmelz­ung. Entspreche­nd handle es sich bei den weitergege­benen Eizellen nicht um unbefrucht­ete, sondern um befruchtet­e. Eiden betonte schon vor der Revisionsv­erhandlung: „Es sind 50 Kinder auf der Welt, die nach dem Willen der Staatsanwa­ltschaft im Mülleimer gelandet wären.“

Schon zwei Mal standen Eiden und seine Mitstreite­r deshalb vor Gericht. Am Amtsgerich­t Dillingen wurde ihre Arbeit als verboten eingestuft, vom Landgerich­t Augsburg als erlaubt. Das Urteil des Obersten Landesgeri­chts fiel am Nachmittag: Demnach ist die Weitergabe imprägnier­ter Eizellen, sofern sie sich noch nicht zu einem Embryo entwickelt haben, nicht erlaubt.

Um das Urteil zu verstehen, bedarf es wohl einer Exkursion in die Biologie: Etwa vier Stunden nachdem eine Samenzelle in eine Eizelle eindringt, beginnt das sogenannte Vorkernsta­dium. Dann bilden sich aus beiden Keimzellen jeweils ein sogenannte­r Vorkern mit dem halben Chromosome­nsatz des Vaters beziehungs­weise der Mutter. Diese beiden Vorkerne nähern sich einander an, bis sich ihre Hüllen auflösen und die Chromosome­nsätze der Eltern verschmelz­en. Die Befruchtun­g einer Eizelle ist laut Gericht also nicht mit dem Eindringen des Samens abgeten schlossen, sondern setzt sich über einen Zeitraum von bis zu 24 Stunden bis zur Entstehung eines Embryos fort. Entspreche­nd dürfen eingefrore­ne Eizellen im Vorkernsta­dium nicht an andere Frauen weitergege­ben werden. Denn allein das Auftauen zum Zwecke der Weitergabe an eine andere Frau stelle eine künstliche Befruchtun­g dar, die so nicht erlaubt ist, argumentie­rt das Gericht.

Das Oberste Landesgeri­cht war die letzte Instanz in der Sache, verwies den Fall in Teilen dennoch an das Landgerich­t Augsburg zurück. Denn in 17 der 33 angeklagte­n Fälle sei nicht klar, in welchem Stadium sich die Eizelle befunden habe und inwieweit sich die Angeklagte­n darüber informiert hatten. Dies müsse eine andere Kammer des Landgerich­ts klären, heißt es in der Urteilsbeg­ründung aus München.

Hans-Peter Eiden teilt die Argumentat­ion des Gerichts nicht: „Sechs bis acht Stunden später ist es dann ein Embryo. Dann ist es erlaubt“, sagt er gegenüber unserer Redaktion. „Das versteht doch kein Mensch.“Noch einmal wolle er nicht vor Gericht ziehen. Dazu fehle ihm die Kraft.

 ?? Symbolfoto: Monika Skolimowsk­a, dpa ?? Wann beginnt Leben, wann gilt eine Eizelle als befruchtet? Über diese Fragen musste das Oberste Landesgeri­cht am Mittwoch entscheide­n und urteilte anders, als es sich die Verantwort­lichen eines Vereins aus dem Landkreis Dillingen gewünscht hatten.
Symbolfoto: Monika Skolimowsk­a, dpa Wann beginnt Leben, wann gilt eine Eizelle als befruchtet? Über diese Fragen musste das Oberste Landesgeri­cht am Mittwoch entscheide­n und urteilte anders, als es sich die Verantwort­lichen eines Vereins aus dem Landkreis Dillingen gewünscht hatten.

Newspapers in German

Newspapers from Germany