Geschichte auch in Emaille
Arbeiten von Moritz Götze, als Neo-Pop-Historienmaler gefeierter Künstler aus Halle, sind erstmals in Augsburg zu sehen
„Es ist Sonntag. Nach zehn Uhr helles Wetter…“Ein Romananfang, ähnlich „Über dem Atlantik befand sich ein barometrisches Minimum“oder „Es war ein strahlender kalter Apriltag, und die Uhren schlugen dreizehn“? Nein, weder Musils „Mann ohne Eigenschaften“, noch Orwells „1984“oder andere Literaten sind hier angezeigt, sondern ein Berliner Schusterbub, der es zum bedeutendsten deutschen Bildhauer des Klassizismus gebracht hat: Johann Gottfried Schadow (1764– 1850). Sein Text ist der Anfang eines fünfseitigen Briefes, den er 1848 an Tochter Linda und Schwiegersohn Eduard geschrieben hat. Das Besondere daran ist nun die Präsentation des Originalautografen als Zentralteil eines Kunstwerks von 2018. Das kennzeichnet dessen Schöpfer, den 1964 als Sohn eines Künstlerehepaares in Halle (Saale) geborenen und dort auch lebenden Moritz Götze.
Er ist geschichtsbesessen, seit er als kleiner Junge das 1890 erschienene, reich illustrierte Buch „Bildersaal deutscher Geschichte“für sich entdeckte. Bezeichnenderweise ist „Bildersaal“auch Titel seiner Ausstellung 2004 in Magdeburg, die den
Beginn intensiver Verarbeitung historischer Zitate und Bilder in seiner Kunst markiert. Heute wird Moritz Götze als „Neo-Pop-Historienmaler“gefeiert, der in seinen geschichtlichen Tableaus gerne auch Zeitgenössisches (Windräder, Atom-Kühltürme, Konsumgüter) kritisch-ironisch anmerkt.
Als deutscher Pop-Art-Künstler besitzt er eine Ausnahmestellung auch deshalb, weil er die Emailletechnik für die Kunstgeschichte erneuert hat. Da er die Formensprache althergebrachter Bilderbögen liebt, sind seine Figurationen scharf konturiert, ohne Tiefe, ohne Schatten. Mit Pinsel und Spritzpistole auf Stahlblech aufgetragen und in speziellen Tunnelöfen eingebrannt, erweckt diese Emaillemalerei den Zauber von Poesiealben, wobei das beim Brennen entstehende Craquele eine besondere Oberflächen-Struktur ergibt. Auch ist in dieser Bilderwelt der Einfluss von Comics und Graffiti unübersehbar.
Bei seiner Vernissage in der Galerie Cyprian Brenner am Elias-HollPlatz bekennt Moritz Götze, Augsburg sei eine der wenigen größeren Städte Deutschlands, in denen er noch nicht ausgestellt habe; dabei sei er im Sommer 1990 schon einmal hier gewesen. Er erinnert sich, im „Liliom“-Kino die „Blues Brothers“gesehen zu haben. Dieser Film um zwei Gauner im musikalischen Rettungseinsatz war freilich erfrischender als das ideologische Gehabe, das Götze in der DDR provoziert, ihn auch vom Wunsch eines Geschichtsstudiums abgehalten und ihn zunächst lieber Möbeltischler hatte werden lassen. Was die Geschichte und ihre Darstellung und den reliquienhaft behandelten Schadow-Brief betrifft, meint Götze: „Man kommt nicht näher an Vergangenheit heran als mit originaler Handschrift.“Die habe er zuvor schon in ähnlichen Emaille-Schreinen verwandt, etwa für die Preußenkönige Friedrich Wilhelm I. und Friedrich II. oder für Alexander von Humboldt.
Dem Schadow-Schrein gegenüber hängt in Augsburg das Schadow-Friedensfries in Götzes Emailleversion, beachtliche 8,70 Meter lang und beachtliche 45000 Euro teuer. Dargestellt ist der Einzug der Friedensgöttin auf dem Attika-Relief des Brandenburger Tores, allerdings in Götzescher Gewandung und mit Götzeschem Gegenwartsbezug wie Abraumhalde und Zivilisationsmüll. Als ein „Meister der Anverwandlung“ist Götze mit seiner Ausstellung „Lorbeeren für Schadow“(2018/19 im SchadowHaus Berlin) gelobt worden. Teile dieser Schau sind nun in Augsburg zu sehen. Insgesamt präsentieren sich acht Emaillearbeiten (einige sogar mit Gold), sechs Ölbilder auf Leinwand, drei Motive mit Buntstift auf Papier sowie acht Serigrafien, deren Technik Götze in den 90er Jahren an der Hochschule Burg Giebichenstein und an der Ecole des Beaux-Arts in Paris unterrichtet hat.
Alle diese Exponate sind so unverkennbar Moritz Götze, auch in Zitierung großer Meister wie Lucas Cranach d. Ä. oder Philipp-Otto Runge, dass eine Schablonierung kritisiert werden könnte. Götzes Aktivitäten waren und sind enorm, auch als Punkmusiker (schon in der DDR), als Faltbootfahrer, als Mitbegründer des kunstkompetenten „Hasenverlags“, als früher Streiter für die verfallende romanische Dorfkirche von Döblitz (Saalekreis) und jetziger Emaille-Ausgestalter der St. Aegidius-Schlosskirche von Bernburg (Saale). Er hoffe, so der Künstler bei der Vernissage, dieses geliebte Langzeitprojekt bis 2025 vollenden zu können.
Geschichtliche Tableaus mit Zeitgenössischem