Aichacher Nachrichten

Was Europa von Joe Biden erwartet

Dass mit einem neuen Präsidente­n alles besser würde, glaubt in Brüssel keiner. Und doch gibt es Hoffnungen

- VON DETLEF DREWES

Brüssel In Brüssel macht man sich keine Illusionen: „Unter einem amerikanis­chen Präsidente­n Joe Biden wird es keine fundamenta­len Veränderun­gen der Handelspol­itik geben“, sagte der Vorsitzend­e des Handelsaus­schusses im Europäisch­en Parlament, Bernd Lange. Der SPD-Politiker ist sich sicher: „Die Grundzüge des amerikanis­chen Protektion­ismus werden auch unter ihm so bleiben.“Vor der Wahl haben EU-Vertreter – zumindest hinter vorgehalte­ner Hand – keinen Hehl daraus gemacht, dass ihnen der Demokrat im Weißen Haus lieber wäre als Donald Trump. Nun, da ein Machtwechs­el immer wahrschein­licher wird, herrscht eher Zurückhalt­ung.

David McAllister, CDU-Politiker und Chef des Auswärtige­n Parlaments­ausschusse­s, erwartet zwar eine Stärkung der transatlan­tischen Beziehunge­n: „Biden steht im Stil für Verlässlic­hkeit, Vertrauen und Berechenba­rkeit.“Im Dialog der Verbündete­n werde es „sicherlich einen neuen Impuls“geben. Aber auch er rechnet damit, dass sich Biden nach einer Amtsüberna­hme vorrangig auf die Befriedigu­ng und Entwicklun­g des eigenen Landes konzentrie­ren werde.

„Wir Europäer sollten uns keinen Blütenträu­men hingeben“, erklärte der Chef der europäisch­en Grünen, Reinhard Bütikofer. „Es wird in der Handelspol­itik keine Rückkehr zur früheren Normalität geben – auch nicht in der Nahost-Politik oder beim Atomdeal mit dem Iran.“Die

EU müsse sich darüber klar sein, dass sie „mehr Verantwort­ung für sich selbst und für die eigene Sicherheit“zu übernehmen habe. Trotzdem erwarten die EU-Gremien Verbesseru­ngen. Zumal „Biden mit den befreundet­en Staaten spricht und nicht über sie“, wie McAllister sagt.

Tatsächlic­h hofft die EU vor allem mit einem Ende der Drohungen aus Washington. Trump hatte die Verbündete­n immer wieder regelrecht in die Knie gezwungen, als er beispielsw­eise nach dem Austritt der Vereinigte­n Staaten aus dem Atomdeal mit Teheran westliche Unternehme­n quasi mit einem Geschäftsv­erbot in den USA belegt hatte – und so deren Aktivitäte­n im Iran stoppte. Auch die Konzerne, die am Bau der Ostsee-Pipeline Nord Stream II beteiligt sind, wurden sanktionie­rt. Und als die Welthandel­sorganisat­ion die Europäer wegen staatliche­r Beihilfen an Airbus verurteilt­e und den USA das Recht auf Wiedergutm­achung durch Zölle einräumte, nutzten die US-Behörden dies und belegten französisc­hen und italienisc­hen Wein, Käse sowie Textilien aus Großbritan­nien mit Einfuhrabg­aben. Über Europas Autoindust­rie schwebt noch immer die Drohung, bis zu 25 Prozent höhere Zölle entrichten zu sollen. Die Aluminiumu­nd Stahlbranc­he musste Rückschläg­e hinnehmen, nachdem Washington den Import um zehn Prozent verteuerte. Joe Biden steht in Brüssel für die Erwartung auf Heilung der in den vergangene­n vier Jahren geschlagen­en Wunden. Was passieren würde, wenn Trump doch weiter regieren könnte? Darüber will die Gemeinscha­ft gerade am liebsten nicht nachdenken.

Hören die Drohungen aus Washington auf?

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