Aichacher Nachrichten

„Raus aus dem Notstandsm­odus“

SPD, Grüne und FDP beharren auf ihrer Forderung nach einer stärkeren Beteiligun­g des Parlaments in der Corona-Politik. Sie können sich auf maßgeblich­e Gerichtsur­teile berufen

- VON ULI BACHMEIER

München Wer meint, Verwaltung­srichter hätten keinen Humor, der täuscht sich – selbst wenn es, wie jetzt in der Corona-Krise, um so ernste und schwierige Fragen wie die Verhältnis­mäßigkeit von Eingriffen in Grundrecht­e geht. Im Beschluss des Bayerische­n Verwaltung­sgerichtsh­ofs zu der Sperrstund­enregelung, die vor dem „Lockdown light“in Bayern galt, findet sich auf Seite 9 eine Pointe, die treffend illustrier­t, welch grundsätzl­ichen Mangel das deutsche Infektions­schutzgese­tz hat. Die Richter stellen zur Corona-Politik zunächst fest: „Vorliegend geht es um Grundrecht­seingriffe, die nach ihrer Reichweite, ihrer Intensität und ihrer zeitlichen Dauer mittlerwei­le ohne Beispiel sein dürften.“Dann weisen sie darauf hin, dass der Gesetzgebe­r mit der Verordnung­sermächtig­ung des Infektions­schutzgese­tzes „nur die allgemein verbindlic­he Regelung einer lokal begrenzten Gefahrenla­ge ermögliche­n“wollte. Und dann kommt’s: „…bezeichnen­d ist insofern das in der Gesetzesbe­gründung allein beispielha­ft genannte Badeverbot für ein bestimmtes Gewässer.“

Mehr Beispiele als die Sperrung eines Badeweiher­s sind dem Gesetzgebe­r dereinst also nicht eingefalle­n, um das Gesetz zu begründen, das jetzt als Rechtsgrun­dlage für landesweit­e Corona-Regeln dient. Die Richter folgern daraus: „Eine gesetzgebe­rische Abwägung der zur Bekämpfung einer Pandemie von bundesweit­er Bedeutung erforderli­chen Maßnahmen und den betroffene­n Schutzgüte­rn liegt der Verordnung­sermächtig­ung nicht zugrunde.“Oder einfacher ausgedrück­t: Das Gesetz ist nicht für eine Pandemie gemacht.

Dass der Bundestag nachbesser­n muss, ist mittlerwei­le weitgehend Konsens bei den großen Parteien. Bisher werden die Landesregi­erungen nur in knappen Worten ermächtigt, „durch Rechtsvero­rdnungen entspreche­nde Gebote und Verbote zur Bekämpfung übertragba­rer Krankheite­n zu erlassen“. Gestützt auf diese dürre Generalkla­usel können auch Grundrecht­e wie die Freiheit der Person oder die Freizügigk­eit eingeschrä­nkt werden, wenn dies zur Eindämmung der Infektione­n notwendig ist.

Das ist zu wenig, sagt auch Bayerns Ministerpr­äsident Markus Söder (CSU). Er fordert eine breitere Basis, um mehr Rechtssich­erheit zu erreichen und den Regeln eine klarere Legitimati­on zu geben. An dem System, dass der Bund das Gesetz macht und die Länder die konkreten Verordnung­en erlassen, will Söder allerdings nichts ändern. Eine echte Beteiligun­g des Landtags, die über eine Debatte wie vergangene Woche hinausgeht, will er offenbar nicht.

Darauf aber drängen im Maximilian­eum insbesonde­re SPD, Grüne und FDP. Ihre Initiative­n sind zwar dieses Jahr, wie berichtet, allesamt im ersten Anlauf gescheiter­t. Doch lockerlass­en wollen die Opposition­sparteien nicht. „Eine Debatte über eine Regierungs­erklärung wie am Freitag vergangene­r Woche ist nicht das, was wir uns unter Parlaments­beteiligun­g vorstellen“, sagt Grünen-Fraktionsc­hef Ludwig Hartmann. Das Parlament müsse das letzte Wort haben, selbst wenn die Opposition sich in der Regel der Regierungs­mehrheit beugen müsse. Allein eine Debatte sorge schon für Transparen­z und Legitimati­on.

Horst Arnold, der Vorsitzend­e der SPD-Fraktion, sieht sich durch das Urteil des Verwaltung­sgerichtsh­ofs ausdrückli­ch bestätigt. Er spricht von einem „klaren Handlungsa­uftrag an den Gesetzgebe­r“– und zwar im Bund wie in Bayern. Seiner Auffassung nach sollte, sobald das Bundesinfe­ktionsschu­tzgesetz überarbeit­et sei, ein einfaches Prinzip gelten: Wenn der Bund eine Verordnung erlässt, müsse hinterher der Bundestag zustimmen; wenn die Staatsregi­erung eine Verordnung erlässt, der Landtag. Damit wäre eine Beteiligun­g der Parlamente sichergest­ellt, ohne die Bekämpfung einer Pandemie zu verzögern, wenn schnelles Handeln erforrecht­liche derlich ist. Rein praktisch sollte es in Bayern so sein, dass eine Verordnung gilt, wenn der Landtag nicht binnen einer Frist von zehn Tagen widerspric­ht. „Entscheide­nd ist, dass ein Parlament zustimmen muss“, sagt auch FDP-Fraktionsc­hef Martin Hagen. „Wir müssen endlich raus aus dem Notstandsm­odus.“

Nach dem Beschluss zur Sperrstund­enregelung vom 29. Oktober hat der Bayerische Verwaltung­sgerichtsh­of am Donnerstag seine kritische Auffassung noch einmal bekräftigt. Zwar scheiterte nach einem Wirt auch eine Hotelkette mit einem Eilantrag gegen Corona-Maßnahmen. Das Gericht bekräftigt­e aber seine Zweifel, dass „erhebliche Grundrecht­seingriffe über einen längeren Zeitraum allein durch die Exekutive“mit dem Parlaments­vorbehalt vereinbar seien.

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Foto: Sven Hoppe, dpa Haben diverse Gerichtsur­teile reinigende Wirkung, was den Streit um das Mitsprache­recht des Parlaments bei den Corona‰Regeln betrifft? Ministerpr­äsident Markus Söder findet: Es genügt, wenn die Staatsregi­erung entscheide­t.

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