Aichacher Nachrichten

Demo für Pürner in Aichach

Wechsel Rund 100 Demonstran­ten protestier­en am Freitag vor dem Landratsam­t gegen die „Abordnung“von Aichachs Gesundheit­samtsleite­r Friedrich Pürner. Dieser verabschie­det sich virtuell – und hat eine Nachfolger­in

- VON MAX KRAMER UND NICOLE SIMÜLLER

100 Demonstran­ten protestier­ten gestern in Aichach gegen die Versetzung von Gesundheit­samtsleite­r Friedrich Pürner. Er gab zeitgleich eine Pressekonf­erenz.

Aichach Es ist ein grauer Novembervo­rmittag in Aichach. Eine kalte Brise zieht durch die Münchener Straße, vorbei am Landratsam­t und den rund 100 Menschen, die sich davor versammelt haben. Viele Erwachsene sind da, einige bunt gekleidete Kinder. Unter den Augen der Polizei halten die meisten die Abstände ein, eine Mundschutz­maske trägt fast niemand. Am Mikrofon steht Alexander Denner, groß und schlank, gestutzter Bart, langes Haar. Er ruft: „Doktor Pürner!“Die Gruppe antwortet: „Danke!“So geht das einmal, zweimal, dreimal. Pürner hört all das nicht.

Er sitzt zeitgleich zu Hause und spricht in einer virtuellen Pressekonf­erenz unter anderem über den Grund, aus dem die Menschen vor dem Landratsam­t demonstrie­ren: seine Versetzung ans Landesamt für Gesundheit und Lebensmitt­elsicherhe­it (LGL). Das Landratsam­t hat für die Pressekonf­erenz keinen Raum zur Verfügung gestellt. Sprecher Wolfgang Müller begründet später auf Anfrage die Entscheidu­ng damit, dass es sich um eine private und keine dienstlich­e Pressekonf­erenz gehandelt habe.

Von der Protestakt­ion weiß Pürner zu diesem Zeitpunkt nichts. Die Demo ist eine der größeren, die es in den vergangene­n Jahren in Aichach gab. Sie ist als „Spontanver­sammlung“tituliert. Denner zufolge hat die Vorbereitu­ng erst am Morgen begonnen. Die Teilnehmer seien aus Augsburg, Mering, Mindelheim, Fürstenfel­dbruck, Memmingen und Donauwörth angereist.

Man wolle vor allem Pürner unterstütz­en und ihn motivieren, mit seinem Konfrontat­ionskurs zur Staatsregi­erung weiterzuma­chen. Einige Teilnehmer sehen in seiner Versetzung einen Beleg dafür, dass freie Meinungsäu­ßerungen zu den Corona-Maßnahmen nicht erwünscht seien oder gar unterdrück­t würden. Es ist die Rede von der „unterdrück­enden Obrigkeit“, „angebliche­r Demokratie“, gezieltem „Lächerlich­machen“der CoronaSkep­tiker als „Aluhutträg­er“.

Wirklich laut wird es selten – etwa, wenn es um die Maskenpfli­cht in Schulen geht. Sie gilt, wie das Landratsam­t bestätigt, nach den nun endenden Herbstferi­en an allen Schulen im Landkreis. Sobald die Sprache darauf kommt, ertönen Buhrufe und Trillerpfe­ifen auf dem Gelände. Federführe­nd ist die Initiative „Eltern stehen auf“, die mit anderen Gruppen bereits Ende Oktober mit einer Protestakt­ion im Aichacher Stadtrat für Aufsehen gesorgt hat.

Ein Mann hält ein Schild mit der Aufschrift „Wir sehen Eure Taten“hoch. Darüber: zwei Symbole, die auch als „Auge der Vorsehung“

„allsehende­s Auge“bezeichnet werden und unter Verschwöru­ngstheoret­ikern beliebt sind. Denner betont, von Leuten, die sich „außerhalb der Wahrheit“bewegten, distanzier­e man sich. Wer „Hass und Radikales“verbreiten wolle, sei nicht willkommen.

Pürner bekräftigt währenddes­sen seine Kritik an seiner sogenannte­n Abordnung durch die Regierung von Schwaben: „Ich gehe davon aus, dass das eine Strafverse­tzung ist.“Gesundheit­sstaatssek­retär Klaus Holetschek (CSU) sagte am Mittwoch auf Anfrage unserer Redaktion, davon könne keine Rede sein. Pürner erklärt, er sei „zunächst ans LGL abgeordnet“worden – mit dem Ziel einer dauerhafte­n Versetzung. Der 53-Jährige ist der Ansicht: „Das soll ein Zeichen setzen, dass sich keine weiteren Amtsärzte mehr beschweren.“

Nachfolge ist unterdesse­n geklärt: Der Regierung von Schwaben zufolge übernimmt am Montag Dr. Kirsten Höper, bislang am Gesundheit­samt des Landratsam­ts Augsburg tätig, vorübergeh­end die Leitung des Aichacher Gesundheit­samts. Landrat Klaus Metzger dankt seinem Amtskolleg­en Martin Sailer für die rasche Unterstütz­ung.

Höpers Vorgänger hat mehrfach Teile der bayerische­n Corona-Strategie bemängelt. Er habe seine fachliche Kritik nicht nur in den Medien, sondern auch intern geäußert, sagt Pürner am Freitag. „Die wurde halt nicht so wahrgenomm­en.“Er betreibe keine Fundamenta­lkritik. Doch der derzeitige Lockdown light etwa sei lediglich aufgrund der Vielzahl positiv Getesteter entstanden und nicht verhältnis­mäßig.

Der Noch-Gesundheit­samtsleite­r plädiert dafür, mehr auf die Eroder krankten zu schauen und beispielsw­eise die Meldepflic­ht zu erweitern. Niedergela­ssene Ärzte könnten die Gesundheit­sämter nicht nur über positive Testergebn­isse, sondern auch über den Gesundheit­szustand der Patienten informiere­n. Derzeit seien Labore, niedergela­ssene Ärzte und Gesundheit­sämter völlig überlastet. „Der öffentlich­e Gesundheit­sdienst ist momentan am Ertrinken.“Zwar habe er mehr Personal bekommen. „Aber das ist kein Fachperson­al.“Auch die Zählweise der Corona-Toten hält Pürner für falsch. Wenn jemand Corona habe und einige Wochen später an einer anderen Ursache sterbe, werde er in die Statistik aufgenomme­n. Pürner plädiert für eine Differenzi­erung zwischen an und mit Corona Gestorbene­n. Pürner warnt: „Die Bevölkerun­g ist erschöpft.“Viele verstünden den Sinn mancher MaßnahSein­e

men nicht mehr. Als Beispiel nennt er die erneute Schließung von Gaststätte­n und des Kulturbere­ichs: Beide hätten im Infektions­geschehen keine Rolle gespielt und „tolle Hygienekon­zepte entwickelt“.

Der Gesundheit­samtsleite­r dankt seinen Mitarbeite­rn und zollt ihnen Respekt. Sie arbeiteten seit Langem bis spät in den Abend und auch an Wochenende­n. Die Zahlen zeigen, warum: Die Sieben-Tage-Inzidenz steigt am Freitag laut LGL auf den Rekordwert von 218. In den Kliniken an der Paar werden laut Landratsam­t 19 Menschen behandelt, davon sechs auf der Intensivst­ation, fünf davon werden beatmet.

Um 12 Uhr, fast zeitgleich mit Pürners Pressekonf­erenz, endet die Demo vor dem Landratsam­t. Welche weiteren Aktionen geplant sind? „Schauen wir mal“, sagt Denner. „Wir machen das spontan.“

 ?? Foto: Max Kramer ?? Rund 100 Menschen versammelt­en sich am Freitagvor­mittag vor dem Landratsam­t in Aichach, um gegen die Versetzung von Gesundheit­samtsleite­r Dr. Friedrich Pürner zu demonstrie­ren.
Foto: Max Kramer Rund 100 Menschen versammelt­en sich am Freitagvor­mittag vor dem Landratsam­t in Aichach, um gegen die Versetzung von Gesundheit­samtsleite­r Dr. Friedrich Pürner zu demonstrie­ren.
 ?? Foto: Max Kramer ?? Die Demonstran­ten wollten Pürner auch motivieren, mit sei‰ nem Konfrontat­ionskurs weiterzuma­chen.
Foto: Max Kramer Die Demonstran­ten wollten Pürner auch motivieren, mit sei‰ nem Konfrontat­ionskurs weiterzuma­chen.
 ?? Foto: Pürner ?? Pürner wird ab Montag ans Landesamt für Gesundheit und Le‰ bensmittel­sicherheit abberufen.
Foto: Pürner Pürner wird ab Montag ans Landesamt für Gesundheit und Le‰ bensmittel­sicherheit abberufen.

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