Würstl ohne Kraut
Warum die Briten ihr Deutschland-Bild zurechtrücken müssen
Viel ist schon geschrieben worden über die sonderbare Symbiose, in der Briten und Deutsche leben: Zwei Nationen, die sich gegenseitig eindeutig etwas seltsam finden – und doch spannend genug, um die Eigenarten der anderen in schöner Regelmäßigkeit zu verspotten. „Krautbashing“nannten die Briten das Anfang der Nullerjahre, als das Heruntermachen der Deutschen, der ungeliebten „Krauts“, so etwas wie ein Volkssport war.
Mittlerweile mischt sich aber immer öfter etwas anderes in die britischen Bestandsaufnahmen: echtes Interesse – und ein kleines bisschen Bewunderung. Vergangenes Jahr sammelte der Telegraph 30 Gründe, warum die Briten die Deutschen „heimlich lieben“. Und neulich erst staunte der Guardian über die deutsche Begeisterung, ständig das Fenster aufzureißen. Geduldig erklärte eine Korrespondentin den Lesern auf der Insel den Unterschied zwischen „Stoßlüften“und „Querlüften“. Vielleicht, mutmaßte die Zeitung, stehe die Bundesrepublik gerade wegen ihrer Liebe zum Lüften in der Pandemie besser da als manch andere Nation.
Nun ist es wieder der Guardian, der sich mit anthropologischer Sorgfalt dem Leben der Deutschen widmet. Unter dem schönen Titel „The wurst is over“berichtet ein Reporter
den Lesern Erstaunliches: In Deutschland, „dem Land der Schweinshaxe, des Schnitzels und der endlosen Auswahl an Würstchen“, würde fast die Hälfte der Menschen mittlerweile weniger Fleisch konsumieren. Stolze Fleischesser, stellt das Blatt verblüfft fest, sind erstmals in der Minderheit. Unbelievable! Ein, Verzeihung, Wurstcase-Szenario, das das Klischee der primitiven „Krauts“in seinen Grundfesten erschüttert. Dass seit Jahren auch der Bierkonsum hierzulande sinkt, verschweigen wir an dieser Stelle deshalb lieber.