Aichacher Nachrichten

Was deutsche Parteien aus der US-Wahl lernen können

Dass Donald Trump nicht als Vorbild taugt, versteht sich von selbst. Warum er trotz allem so viele Stimmen geholt hat, sollte aber auch unsere Politiker interessie­ren

- VON MICHAEL STIFTER msti@augsburger‰allgemeine.de

Selten hat ein Wahlkampf so viele Menschen verstört, zugleich aber auch angesproch­en wie das Duell zwischen Joe Biden und Donald Trump. Die meisten Deutschen finden es abstoßend, wenn sich Politiker derart aggressiv bekriegen, wie es die Kontrahent­en um das Weiße Haus getan haben. Und doch wird diese Auseinande­rsetzung auch den Bundestags­wahlkampf beeinfluss­en. Was können die deutschen Parteien daraus lernen?

Zunächst einmal sollten sie akzeptiere­n, dass Trump nicht so katastroph­al verloren hat, wie sie gedacht hatten. Der Noch-Präsident hat mehr Stimmen geholt als jeder Amtsinhabe­r zuvor – trotz allem. Wie er das geschafft hat? Indem er die Bürger gegeneinan­der aufgehetzt hat und den politische­n Gegner zum Feind stilisiert hat. Beides ist indiskutab­el. Das empfinden selbst viele seiner eigenen Wähler so. Dass sie trotzdem für ihn gestimmt haben, hängt mit etwas anderem zusammen: Trump hat ihnen das Gefühl gegeben, ihre Sprache zu sprechen und sich um ihre Belange zu kümmern. Das mag banal klingen, ist aber die höchste Hürde in einer Zeit, in der so viele Menschen Politiker als Teil einer abgehobene­n Klasse wahrnehmen, die weit weg scheint von den Problemen, mit denen sie selbst sich im Alltag herumzusch­lagen haben.

Diese Probleme haben fast immer mit Ängsten zu tun. Deshalb wird Corona wohl auch die nächste Bundestags­wahl entscheide­n. Denn es ist ja nicht nur die Angst um die eigene Gesundheit und die der Familie, die vielen Menschen zu schaffen macht.Vielleicht sogar noch größer ist die Furcht vor den wirtschaft­lichen Folgen, die der Kampf gegen die Pandemie auslösen wird. Wem es gelingt, auf beides überzeugen­de Antworten zu finden, hat die besten Chancen, das Kanzleramt zu erobern. Gerade deshalb ist es so wichtig, dass die Verantwort­lichen

immer wieder Nutzen und mögliche Schäden ihrer Corona-Politik neu bewerten. Dass sie zugeben, wenn etwas nicht funktionie­rt, wenn sie sich geirrt haben und dass sie Fehler schnell korrigiere­n. Glückliche­rweise ist Deutschlan­d weit entfernt von der Polarisier­ung, die wir in Amerika erleben. Die große Mehrheit akzeptiert notgedrung­en die Einschränk­ungen.

Doch die Minderheit ist laut – und sie arbeitet zum Teil mit Trumps Methoden. So absurd deren Argumente aber auch klingen mögen, so klein die Chancen sind, sie überhaupt noch zu erreichen, so wichtig wird es dennoch sein, es zumindest zu versuchen. Denn in den USA konnte man sehen, was passiert, wenn man große Teile der Bevölkerun­g von oben herab betrachtet, wenn man deren Helden lächerlich macht:

Man schweißt sie nur noch mehr zusammen. Auf beiden Seiten.

Die größte Herausford­erung für die Wahlkämpfe­r wird es sein, gerade jene zu überzeugen, die sich unverstand­en fühlen. Joe Biden ist das nur bedingt gelungen. Es ist ja auch anstrengen­d, es kann frustriere­n – aber es ist die einzige Chance, eine Spaltung wie in den USA bei uns zu verhindern.

In der Praxis wird Corona auch hier alles komplizier­ter machen und – wie so oft in den vergangene­n Monaten – neues Denken erzwingen. Massenvera­nstaltunge­n wird es kaum geben. Die Parteien müssen Wähler stärker digital erreichen – und früher. Der viel beschworen­e Wahlkampfe­ndspurt verliert an Bedeutung, wenn mehr Menschen zu diesem Zeitpunkt längst per Brief gewählt haben. Dass es funktionie­ren kann, auch unter diesen widrigen Umständen die Massen zu mobilisier­en, haben wir in den USA gesehen. Denn, das ist die hoffnungsv­ollste Erkenntnis dieser Präsidents­chaftswahl: Nie zuvor haben so viele Amerikaner ihre Stimme abgegeben.

Corona wird die Bundestags­wahl entscheide­n

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