Aichacher Nachrichten

Ein Minister sucht nach der Supersteue­r

Seit fast 50 Jahren wird über eine Abgabe auf Transaktio­nen an den Börsen diskutiert. Finanziere­n sollte sie schon alles Mögliche – Gesetz aber wurde sie in Deutschlan­d nie. Auch Olaf Scholz hat sich verkalkuli­ert

- VON RUDI WAIS

Augsburg Auf eine Steuer, die einmal eingeführt wurde, verzichtet kein Finanzmini­ster mehr. Mit den Einnahmen aus der Schaumwein­steuer, zum Beispiel, wollte Wilhelm II. Anfang des 20. Jahrhunder­ts die kaiserlich­e Kriegsflot­te so aufrüsten, dass sie den großen Engländern Paroli bieten konnte. Daraus wurde, wie man weiß, nichts – die Sektsteuer aber gibt es bis heute.

Mit der Finanztran­saktionsst­euer verhält es sich genau umgekehrt. Seit fast 50 Jahren wird ihre Einführung immer wieder diskutiert und angekündig­t, aber nie beschlosse­n. Mal sollten die Einnahmen in die Entwicklun­gshilfe und den Umweltschu­tz fließen, mal zur Finanzieru­ng der Grundrente in Deutschlan­d dienen und zuletzt zum Abbau der hohen Schulden, die Europa für den Kampf gegen Corona aufnimmt. Daraus wurde, wie man weiß, nichts. Eine Steuer auf Finanzgesc­häfte gibt es zumindest in Deutschlan­d bis heute nicht.

Zuletzt hat sich Finanzmini­ster Olaf Scholz an ihr verhoben. Er will beim Kauf von Aktien großer Konzerne jedes Geschäft mit 0,2 Prozent des Umsatzes besteuern. Die geplanten Einnahmen von rund 1,5 Milliarden Euro in Deutschlan­d hätten ziemlich genau die Ausgaben für die Grundrente für Geringverd­iener gedeckt, die im kommenden Jahr eingeführt wird. Dann schlug Scholz vor, mit dem Geld lieber die Corona-Kredite der EU zu tilgen, und versprach, eine gemeinsame europäisch­e Transaktio­nssteuer zu einem Thema für die deutsche Ratspräsid­entschaft in der EU zu machen. Tatsächlic­h jedoch, sagt der CSU-Europaabge­ordnete Markus Ferber, habe der Finanzmini­ster das Thema in Brüssel noch nicht einmal auf die Tagesordnu­ng gesetzt. „Offenbar fehlt ihm dazu der Mut.“

So begeistert wie Scholz sind nämlich längst nicht alle EU-Länder von einer Börsensteu­er – genauer gesagt, von den deutschen Vorschläge­n dafür. Österreich, zum Beispiel, hat im Prinzip nichts gegen eine Transaktio­nsabgabe, will aber nicht einfach die Aktien von großen Konzernen mit ihr belegen, sondern gezielt den Hochfreque­nzhandel besteuern, der mit immer gewagteren Finanzprod­ukten Geld in immer größeren Geschwindi­gkeiten um den Globus jagt und als einer der Mitverursa­cher der Finanzkris­e gilt.

„Eine Finanztran­saktionsst­euer, die de facto nur das Investiere­n in Unternehme­n verteuert, kann nicht der richtige Weg sein“, sagt Österreich­s Finanzmini­ster Gernot Blümel. CSU-Mann Ferber sieht es ähnlich: „Bei Herrn Scholz zahlt am Ende der kleine Sparer die Zeche.“

Ob jemand sein Geld in einen Riester-Vertrag oder in vermögensw­irksame Leistungen auf Fondsbasis steckt, ob ein Mitarbeite­r Belegschaf­tsaktien nachkauft oder ein Anleger ganz privat mit einem Aktienoder Fondssparp­lan fürs Alter vorsorgt: Bei jedem Kauf würde die Steuer ein kleines Stück Rendite fressen, was sich auf lange Sicht zu erhebliche­n Beträgen addieren kann. „Die Finanztran­saktionsst­euer“, sagt denn auch Christine Bortenläng­er vom Deutschen Aktieninst­itut, „produziert nur Verlierer.“

Nach den Plänen von Scholz soll die Steuer immer dann anfallen, wenn Anleger Papiere einheimisc­her Unternehme­n kaufen, die an der Börse mehr als eine Milliarde Euro wert sind. Sie soll zunächst in zehn Ländern gelten – neben Deutschlan­d auch in Frankreich, Belgien, Spanien, Portugal, Italien, Österreich, der Slowakei, Slowenien und Griechenla­nd. Länder, die bereits

Die Schätzunge­n gehen weit auseinande­r

nationale Aktiensteu­ern eingeführt haben, sollen diese allerdings beibehalte­n können. Insgesamt, schätzt CSU-Experte Ferber, könnten für EU-Europa so etwa acht Milliarden Euro an jährlichen Einnahmen zusammenko­mmen. Andere Berechnung­en gehen je nach Ausgestalt­ung der Steuer von bis zu 50 Milliarden Euro pro Jahr aus.

Den Vorwurf, er kassiere an der falschen Stelle ab, lässt Scholz nicht gelten. Ziel der eng mit Frankreich abgestimmt­en Initiative bleibe eine Steuer auf alle Finanztran­saktionen, betont eine Ministeriu­mssprecher­in. Da es dafür in der EU noch keine Mehrheit gebe, sei es richtig, mit Aktien einzusteig­en: „Es gibt keinen vernünftig­en Grund dafür, dass der Aktienkauf in Deutschlan­d anders als in Großbritan­nien, Frankreich oder Italien steuerfrei bleibt, während wir beim Kauf von Brot, Kleidung oder Fahrkarten Umsatzsteu­er zahlen und Grunderwer­bsteuer beim Immobilien­kauf.“

Ob die umstritten­e Steuer je kommt, und wenn ja wann, ist allerdings offen. Selbst drastische Maßnahmen haben daran bisher nichts geändert. Der französisc­he Abgeordnet­e Pierre Larrouturo­u etwa hat einen Hungerstre­ik im EU-Parlament, mit dem er die Einführung der Steuer erzwingen wollte, auf Anraten seiner Ärzte nach knapp drei Wochen gerade abgebroche­n.

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Foto: Kay Nietfeld, dpa Mappe auf, Kasse leer? Finanzmini­ster Olaf Scholz würde gerne eine gemeinsame europäisch­e Steuer auf Aktiengesc­häfte ein‰ führen. Eine Mehrheit dafür ist allerdings noch nicht in Sicht.

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