Aichacher Nachrichten

„Sie sind besonders brutal und skrupellos“

Warum der Mafia-Experte Sandro Mattioli vor tschetsche­nischen Banden in Deutschlan­d warnt

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Herr Mattioli, in Berlin macht die sogenannte Tschetsche­nen-Mafia durch einen brutalen Konflikt mit einem arabischen Unterwelt-Clan von sich reden. Woher kommt diese Gruppe, wie stark ist sie in Deutschlan­d aktiv? Mattioli: Es ist keine heterogene Organisati­on wie die ‘ndrangheta aus Italien und die Gruppen sind jüngeren Datums. Erstmals in den Fokus rückten sie in der Sowjetunio­n, wo in Moskau und andernorts Gruppen entstanden, die als tschetsche­nische Mafia bezeichnet wurden. Ihre Mitglieder stammten aber keineswegs alle aus Tschetsche­nien, sie versammelt­en sich eher unter diesem Label. Nach dem Zusammenbr­uch der Sowjetunio­n prosperier­ten die tschetsche­nischen Gruppen weiter, auch weil sie stark im Hotelgewer­be und Glücksspie­l waren.

Wann sind diese Banden erstmals in Deutschlan­d aktiv geworden? Mattioli: Wann sie in Deutschlan­d zuerst auftraten, ist schwer zu sagen. In den Fokus rückten Tschetsche­nen zunächst unter dem Etikett Islamistis­cher Terrorismu­s nach dem 11.

September 2001. Erst in den vergangene­n Jahren werden sie als kriminelle Gruppierun­gen wahrgenomm­en, auch weil sie verstärkt sichtbar werden, vor allem im Drogenhand­el und wegen Revierstre­itigkeiten. Im Übrigen nicht nur in Deutschlan­d, sondern auch in anderen Staaten in Europa, etwa Frankreich.

Was macht die Gruppen so gefährlich? Mattioli: Die tschetsche­nischen Banden gelten als besonders brutal und skrupellos. Morde sind in ihrem Milieu ein legitimes Mittel der Auseinande­rsetzung mit Gegnern, der Einsatz von Waffen häufig. Eine Anekdote legt davon Zeugnis ab: In Moskau gab es in den 90er Jahren ein Friedens-Dinner mit 12 Tschetsche­nen und 24 russischen Mafiosi. Es wurden Steaks gegessen. Waffen waren verboten, doch die Tschetsche­nen hatten die Russen noch vor der Nachspeise getötet – mit den Steakmesse­rn.

Wie ist der aktuelle Konflikt mit einem deutsch-arabischen Clan in Berlin zu bewerten?

Mattioli: Aufmerksam­keit macht die Geschäfte immer schwerer, er ruft die Polizei auf den Plan, auch dauerhaft. Aufmerksam­keit wirkt aber auch nach innen, in die Community, man kann sich als starker Max präsentier­en. Und das ist ein Grund, weshalb Schmähunge­n und Kränkungen sich so explosiv auswirken können. Von außen ist es schwer zu beurteilen, ob den Beteiligte­n das Testostero­n übergekoch­t ist oder hier ein Streit um Stücke des Kuchens tobt – oder beides. Sicher ist: Berlin ist ein lukrativer Drogenmark­t, und tschetsche­nische Gruppen sind hier seit einigen Jahren verstärkt aktiv.

Mattioli: Zu einem Friedenssc­hluss gehört, dass die beteiligte­n Konfliktpa­rteien zusammenko­mmen. Ob dies hier der Fall war, ist fraglich. Selbst wenn die richtigen Leute zusammenka­men: Was von einem Friedenssc­hluss zu halten ist, zeigt sich immer erst dann, wenn Frieden länger herrscht. Friedenssc­hlüsse in der Organisier­ten Kriminalit­ät sind oft ein brüchiges Konstrukt, und man muss auch bedenken, dass tschetsche­nische Gruppen sich nicht nur mit der Familie R. anlegen. Ganz grundsätzl­ich bin ich dafür, dass bei Straftaten der Frieden nach Regeln geschlosse­n wird, die für alle gelten, nämlich vor einem ordentlich­en deutschen Gericht und nach deutschen Gesetzen. Das Starkwerde­n der tschetsche­nischen Gruppen, das wir sehen, zeigt auch, dass wir in der Antimafia-Politik umsteuern müssen: Wenn wir nur die jeweils starke Gruppe in den Fokus nehmen, wird das ewig so weitergehe­n. Wir müssen stattdesse­n eine proaktive Bekämpfung Organisier­ter Kriminalit­ät auf europäisch­er Ebene erreichen und dafür sorgen, dass solche Clans sich hier gar nicht erst breitmache­n können oder wollen.

Interview:Bernhard Junginger

● Sandro Mattioli, Jahrgang 1975, hat mehrere Bücher über Organi‰ sierte Kriminalit­ät geschriebe­n und ist Vorsitzend­er von „Mafia? Nein, Danke!“. Der Verein hat sich der Aufklärung über mafiöse Organi‰ sationen in Deutschlan­d und Europa verschrieb­en und berät die Politik.

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Was ist von dem sogenannte­n „Frieden“zwischen den Banden zu halten, der auf Vermittlun­g des Profiboxer­s Mahmoud Charr zustande kam?
Foto: dpa Sandro Mattioli befasst sich seit Jahren mit organisier­ter Kriminalit­ät. Was ist von dem sogenannte­n „Frieden“zwischen den Banden zu halten, der auf Vermittlun­g des Profiboxer­s Mahmoud Charr zustande kam?

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