Aichacher Nachrichten

Polen und Ungarn stoppen die EU

Die beiden Länder blockieren den Haushalt und die Coronahilf­en. In Brüssel zeigt man sich schockiert: „Eine echte Krise“

- VON DETLEF DREWES

Brüssel Krise. Notfall. Katastroph­e. Wenige Minuten nach der geplatzten Abstimmung herrschte am Montag in Brüssel tiefe Depression. Im Kreis der EU-Botschafte­r der 27 Mitgliedst­aaten hatten die Vertreter Polens und Ungarns wenige Minuten vorher das größte Finanzpake­t der EU gestoppt. Es besteht aus einem Haushaltsr­ahmen über 1,1 Billionen Euro für die kommenden sieben Jahre ab 2021 sowie dem 750 Milliarden Euro schweren Aufbaufond­s, mit dem die Mitgliedst­aaten ihre am Boden liegende Wirtschaft wieder aufpäppeln wollten.

Doch, was die beiden nationalko­nservative­n Premiers in Warschau und Budapest, Mateusz Morawiecki und Viktor Orbán, ärgert, ist ein Instrument, das die Abgeordnet­en des Europäisch­en Parlaments ausgearbei­tet hatten: Regierunge­n, die demokratis­che Grundwerte und Rechtsstaa­tlichkeit demontiere­n, sollten mit dem Entzug von EUGelder bestraft werden können. Diese Regelung wurde von den Volksvertr­etern so zugespitzt, dass sich befreundet­e Nationen nicht mehr gegenseiti­g vor Strafen retten können, da ein solcher Beschluss von 55 Prozent der Mitgliedst­aaten, die 65 Prozent der EU-Bürger repräsenti­eren, gefasst werden kann. „Orbán hat Angst, dass der neue Rechtsstaa­tsmechanis­mus seinem autokratis­chen Regime schadet“, kommentier­te der Finanzexpe­rte der Grünen-Europafrak­tion, Rasmus Andresen, das Veto aus Ungarn und Polen. „Er versucht, Europa und Covid-19 als Geisel für seine gescheiter­te Politik zu nehmen.“Dabei schaden sich beide Premiermin­ister selbst.

Berechnung­en zufolge könnte Warschau mit rund 23 Milliarden Euro aus dem Corona-Fonds der EU rechnen, Ungarn mit sechs Milliarden. Beide Summen müssen nicht zurückgeza­hlt werden. Im nächsten Sieben-Jahres-Etat stehen gut 125 Milliarden Euro für Polen. Ungarn kann auch künftig rund fünf Prozent seines Staatsetat­s mit Geld der Gemeinscha­ft bestreiten. Wie die beiden Regierungs­chefs den Wegfall dieser dringend benötigten Mittel zu Hause erklären wollen, ist völlig unklar. Beide waren sich am Montag aber einig, dass die neuen Regeln zur Überwachun­g der Rechtsstaa­tlichkeit „nicht hinnehmbar“seien.

Sie bezichtigt­en die Mehrheit der anderen EU-Staaten, das Verfahren so konstruier­t zu haben, dass es Absprachen des EU-Gipfels aus dem Juli widerspric­ht. Im Kreis der EUBotschaf­ter fand die neue Regelung am Montag allerdings die notwendige qualifizie­rte Mehrheit, daraufhin griffen der polnische und der ungarische Vertreter weisungsge­mäß zum Veto.

„Das ist eine echte Krise“, äußerte sich am Abend ein ranghoher EUDiplomat. Zunächst werden nun EU-Kommission­schefin Ursula von der Leyen, EU-Ratspräsid­ent Charles Michel und Bundeskanz­lerin Angela Merkel als Vertreteri­n der halbjährli­ch wechselnde­n Ratspräsid­entschaft informiert. Am Donnerstag wollten sich die 27 Staatenlen­ker per Videokonfe­renz zusammensc­halten, um über den Fortgang der Coronaviru­s-Krise zu beraten. Nun dürfte es auch um den Haushalt und den Aufbaufond­s gehen.

Ohne Einigung müsste die Gemeinscha­ft ab Januar 2021 mit einem Not-Etat auskommen. Das heißt, es gibt nur so viel Geld wie im Vorjahr, der Hilfsfonds, der ab dem zweiten Quartal des kommenden Jahres ausgezahlt werden sollte, liegt brach. Hinzu kommt, dass die Fronten verhärtet sind: Das EUParlamen­t, dessen Zustimmung zum Haushaltsr­ahmen zwingend ist, dürfte kaum bereit sein, auf den Rechtsstaa­tsschutz zu verzichten – nur um Warschau und Budapest zu besänftige­n. Und wie die beiden Widerständ­ler im Osten bewegt werden können, um doch noch umzufallen, war am Montagaben­d in Brüssel nicht erkennbar.

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