Aichacher Nachrichten

Jetzt spricht Obama

Der Ex-Präsident legt den ersten Teil seiner monumental­en Memoiren vor und weist seinen Nachfolger Donald Trump zurecht

- VON KARL DOEMENS

Washington Der Ex-Präsident saß auf einem Hochstuhl, den Hemdkragen offen und das linke Bein locker angewinkel­t. Doch sein Gesichtsau­sdruck und das große Gemälde von Abraham Lincoln, dem Gründer des modernen Amerikas, im Hintergrun­d, deuteten an, dass Barack Obama eine ernste Mahnung auszusprec­hen hatte: „Ein Präsident ist ein öffentlich­er Diener. Er bekleidet das Amt mit Absicht nur vorübergeh­end. Und wenn deine Zeit um ist, musst du dein Land an erster Stelle setzen und über dein eigenes Ego, deine Interessen und deine Enttäuschu­ng hinausdenk­en.“

Der Appell, den der 44. Präsident der USA aus der ehrwürdige­n Nationalen Porträtgal­erie an seinen Nachfolger im Weißen Haus richtete, war unmissvers­tändlich: Längst hätte Donald Trump seine Niederlage eingestehe­n müssen, sagte Obama. Wenn er „in dieser späten Phase des Spiels“als jemand in Erinnerung bleiben wolle, der dem Land gedient habe, „dann ist es Zeit, genau das zu tun“. Das Interview, das am Sonntagabe­nd im CBS-Magazin „60 Minutes“ausgestrah­lt wurde, bot die bislang schärfste Kritik an Trump durch seinen Vorgänger, der ihm und den Republikan­ern die „Delegitimi­erung nicht nur der neuen Biden-Regierung, sondern der Demokratie im Allgemeine­n“vorwarf.

Den Amtsinhabe­r kümmert das nicht: „Ich habe die Wahl gewonnen“, twitterte Trump erneut gegen die Wirklichke­it an. Doch Obamas Auftritt lenkt die Aufmerksam­keit weg vom Realitätsv­erlust des Amtsinhabe­rs und hin zu den großen Linien der Politik. Am Dienstag nämlich erscheint mit einer Startaufla­ge von 3,4 Millionen Exemplaren der erste Teil seiner Memoiren. Und obwohl der 768-seitige Wälzer mit dem Titel „A Promised Land“(Ein Gelobtes Land) im Wesentlich­en die erste Amtszeit von 2008 bis 2012 abhandelt, äußert sich Obama in dem Buch, aus dessen vorab veröffentl­ichten Passagen hier zitiert wird, auch zur aktuellen Lage.

Der Ex-Präsident ist überzeugt, dass die Spaltung des Landes nicht mit Trump begonnen hat. Paradoxerw­eise,

so schreibt er, habe wahrschein­lich seine eigene Wahl und damit der Einzug des ersten Afroamerik­aners ins höchste Amt die Bitterkeit seiner Gegner noch verstärkt: „Es war, als ob meine Gegenwart im Weißen Haus eine tiefverwur­zelte Angst ausgelöst hätte und ein Gefühl, dass die natürliche Ordnung gestört worden sei.“

Gleichzeit­ig rückten die Republikan­er immer weiter nach rechts. Mit der Nominierun­g von Sarah Palin zur Vizepräsid­entenkandi­datin im Wahlkampf 2008, so Obama, seien „Fremdenfei­ndlichkeit, Anti-Intellektu­alismus, paranoide Verschwöru­ngstheorie­n und eine Antipathie gegen Schwarze und Braune Menschen“ins Zentrum der Partei gerückt. Mit dem Wechsel der Mehrheit im Repräsenta­ntenhaus zu den Republikan­ern bei den Midterms 2010 sei dann endgültig klar gewesen, dass die Partei auf reine Blockade umschaltet­e. Auch die Medien sieht Obama kritisch, weil sie sich zu wenig bemüht hätten, die rechten Verschwöru­ngsideolog­ien zurückzuwe­isen und zu widerlegen.

Doch der Ex-Präsident hinterfrag­t auch sein eigenes Handeln. Es sei ihm nicht gelungen, „die Nation hinter dem zu versammeln, was ich für richtig hielt, so wie das FDR (Franklin D. Roosevelt, d. Red.) einst gemacht hat.“In dem CBSIntervi­ew räumt Obama ein, dass ihn einige Unterstütz­er zu zurückhalt­end im Umgang mit den Republikan­ern fanden. „Ich habe versucht, meine politische­n Gegner so zu behandeln, wie ich behandelt werden möchte“. Ob das ein Fehler war? „Jeder Präsident bringt ein bestimmtes Temperamen­t mit ins Amt“, antwortete Obama: „Ich glaube, einer der Gründe, weshalb ich gewählt wurde, war, dass ich die Amerikaner grundsätzl­ich für gute und anständige Menschen halte.“

Mit diesem Ansatz hat auch Joe Biden die Wahl gewonnen. Für den neugewählt­en Präsidente­n findet Obama nur lobende Worte, obwohl er mit ihm politisch nicht immer einer Meinung war. Schon mit der Berufung Bidens zum Vize habe dessen politische Erfahrung eine wichtige Rolle gespielt. Den Ausschlag aber habe gegeben, dass er Biden für anständig, ehrlich und loyal hielt. „Ich wurde nicht enttäuscht“, so Obama.

„Es war, als ob meine Gegenwart im Weißen Haus eine tiefverwur­zelte Angst ausgelöst hätte.“

Barack Obama

 ?? Foto: Sanjeev Singhal, Imago Images ?? Präsent wie lange nicht: Barack Obama kritisiert Donald Trump für dessen Weigerung, den Sieg von Joe Biden einzugeste­hen. Jetzt erscheint der erste Teil der groß angelegten Memoiren des Ex‰Präsidente­n.
Foto: Sanjeev Singhal, Imago Images Präsent wie lange nicht: Barack Obama kritisiert Donald Trump für dessen Weigerung, den Sieg von Joe Biden einzugeste­hen. Jetzt erscheint der erste Teil der groß angelegten Memoiren des Ex‰Präsidente­n.

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