Tödlicher Kampf gegen Korruption
Eine bekannte Anwältin wollte ein Video über den Sohn eines Rebellengenerals veröffentlichen. Jetzt ist sie tot
Istanbul Hanan al-Barassi wusste, dass ihr Leben in Gefahr war. Sie werde bedroht, klagte die 46-jährige libysche Anwältin vorige Woche in den sozialen Medien – wenig später wurde sie von Angreifern in der ostlibyschen Stadt Bengasi auf offener Straße mit drei Kopfschüssen getötet. Barassi hatte sich als Frauenrechtlerin und Aktivistin gegen Korruption im Machtbereich des Rebellengenerals Khalifa Haftar einen Namen gemacht. Das wurde ihr jetzt offenbar zum Verhängnis. Am Tag vor ihrem Tod hatte sie nach Angaben von Amnesty International die Veröffentlichung eines Videos angekündigt, mit dem sie illegale Machenschaften von Haftars Sohn Saddam beweisen wollte.
Die UN, die USA und Menschenrechtsgruppen zeigten sich entsetzt über die Tat. Der Mord solle andere Aktivisten einschüchtern, erklärte Hanan Salah von Human Rights Watch. „Der brutale Mord wirkt wie eine kaltblütige Hinrichtung.“
General Haftar kämpft von seiner Machtbasis in Ostlibyen aus mit Unterstützung von Ägypten, den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE), Russland und Frankreich gegen die von der UN anerkannte libysche Regierung in der Hauptstadt Tripolis im Westen des Landes, die sich auf die Türkei stützt.
Die UN wirft Haftar vor, 2017 mit seinen Soldaten der „Brigade 106“die Vertretung der libyschen Zentralbank in Bengasi ausgeraubt zu haben. Die Täter erbeuteten umgerechnet rund 560 Millionen Euro in mehreren Währungen sowie fast 6000 Silbermünzen. Ein Großteil der Beute sei unter den Anführern von Haftars Truppen verteilt worden, berichteten die UN. Vor anderthalb Jahren soll die Brigade an der Entführung einer anderen Kritikerin der Haftar-Herrschaft beteiligt gewesen sein. Die Frauenrechtlerin und Parlamentsabgeordnete Seham Sergiwa wurde im Juli 2019 von Unbekannten in ihrem Haus in Bengasi gekidnappt.
Trotz der internationalen Entrüstung über den Mord hat Haftar in seiner Hochburg Bengasi vorerst wohl nichts zu befürchten. Allerdings bemühen sich die UN derzeit um eine politische Lösung für Libyen und streben baldige Neuwahlen an. Ein Ende des Krieges in Libyen, das seit fast zehn Jahren von Kämpfen erschüttert wird, könnte Konsequenzen für den 77-jährigen Haftar haben. Der Internationale Strafgerichtshof ermittelt wegen mutmaßlicher Kriegsverbrechen von Haftars Truppen in Westlibyen.