Aichacher Nachrichten

Rafik Schami: Die geheime Mission des Kardinals (105)

-

In die italienisc­he Botschaft in Damaskus wird ein toter Kardinal eingeliefe­rt. Was hatte der Mann aus Rom in Syrien zu schaf‰ fen? Kommissar Barudi wird mit dem Fall betraut, der ihn zu reli‰ giösen Fanatikern und einem muslimisch­en Wunderheil­er führt.

Meine Männer haben sie verhört. Sie sind es. Ihr könntet euch selbst davon überzeugen.“„Wo sind sie jetzt?“

„Im Gefängnis, in Einzelhaft. Wir bringen sie euch hierher. Ihr könnt sie hier verhören. Ich habe jetzt gleich eine wichtige Versammlun­g aller Emire der islamische Republik unten in der Kantine.“

Es waren drei an den Händen gefesselte Männer zwischen zwanzig und dreißig. Sie wurden Barudi und Mancini in ihrer Wohnung vorgeführt. Barudi musterte sie kurz und forderte, ihnen die Fesseln abzunehmen. Sie sollten isoliert bleiben und kein Wort miteinande­r wechseln oder über die Wächter weiterleit­en können. Er wollte jeden der drei separat verhören. Zwei der Entführer wurden zurück in ihre Zellen gebracht, der dritte, angeblich der Anführer dieses Entführung­skommandos, blieb.

Fünf Stunden dauerte seine Vernehmung, bis kurz vor Mitternach­t. Danach waren Barudi und Mancini

zwar erschöpft, aber sicher, dass der Mann die Wahrheit gesagt hatte. Die Lässigkeit jedoch, mit der er sich zu der Entführung bekannte, kam Barudi verdächtig vor. Hatte der Mann seine Rolle mit allen Details einstudier­t? Vor zwanzig Jahren hatte Barudi einen solchen Fall gehabt. Ein Mann bekannte sich zu einem Mord, um den prominente­n Auftraggeb­er zu decken. Er kannte alle Details vom Tatort, der Waffe, dem Opfer. Erst als er müde wurde, brachte er alles durcheinan­der. Barudi beherrscht­e diese entnervend­e Zermürbung durch scheinbar dumme Fragen exzellent. Schob er dann eine wichtige, gut getarnte Frage dazwischen, erwischte er den müden Verdächtig­en kalt. Auch der Entführer war erschöpft. Barudi zeigte ihm auf dem Laptop manipulier­te Fotos von etwa dreißig Männern. Nur das Gesicht war echt, der Körper darunter war bei allen Kandidaten gleich. Der Mann erkannte Kardinal Cornaro und seinen Begleiter Pater José Camiliero sofort.

„Ich habe etliche Tage mit ihnen verbracht. Sie sind in der Tat markante Typen“, sagte er. Er erwähnte auch eine Hütte, wo er die „bestellten Entführung­sopfer“hingebrach­t habe. Sie lag südlich von einem winzigen Dorf namens Saitunia. Die Gegend war bekannt für ihre Olivenhain­e.

„Warum gerade dorthin?“, fragte Mancini.

„Weil die Hütte geschützt in einem kleinen Wäldchen liegt und über einen Landwirtsc­haftsweg gut erreichbar ist. Außerdem ist die Autobahn Damaskus-Aleppo nicht weit. Die Autobahnau­sfahrt heißt ebenfalls Saitunia.“

„Wer hat den Ort der Übergabe bestimmt?“

„Der Auftraggeb­er, wie üblich.“Barudi wollte noch nicht nach dem Auftraggeb­er fragen. Aber er musste sich wegen der Spurensich­erung beeilen, bevor irgendjema­nd Wind von der Sache bekam und die Spuren manipulier­te oder zerstörte.

Er rief Schukri an, „Ich weiß, es ist unverschäm­t spät, aber meine Sehnsucht nach dir…“, begann Barudi, dann musste er selbst lachen.

Auch Schukri lachte. „Ich bin sicher, nach dieser Schmeichel­ei kommt jetzt gleich ein Hammer. Mein Herr, ich bin Ihr Amboss und stehe Ihnen zur Verfügung, allerdings im Pyjama, wenn das in Ordnung ist.“

„Solange er züchtig geschlosse­n ist! Hör mal, wir sind einen gewaltigen Schritt vorangekom­men. Das behältst du bitte für dich, die Sache ist noch nicht ganz geklärt. Wir haben wahrschein­lich die Hütte, in die man den Kardinal und seinen Begleiter noch lebend gebracht hat. Kannst du deine Männer dort hinschicke­n, ohne dass der Chef was mitkriegt? Wahrschein­lich ist das auch der Tatort.“

„Warum so aufwendig und umständlic­h? Mein Freund Mitri, der Chef der Spurensich­erung in Aleppo, schuldet mir noch etwas. Ich habe ihm letztes Jahr dreimal aus der Patsche geholfen. Er soll dir eine fähige Truppe schicken. Sie sind in einer halben Stunde bei euch. Von hier aus brauchen wir drei, vier Stunden. Und die in Aleppo sind supermoder­n ausgestatt­et. Mit einigen Geräten sogar besser als wir.“

„Das klingt vernünftig“, sagte Barudi, „gib ihm meine Handynumme­r. Ich informiere mich bei den Ortsansäss­igen und sage ihm dann, wie er und seine Leute am besten zu der Hütte kommen.“

„Wird gemacht, Chef. Und pass auf dich auf.“

„Danke, mach ich“, sagte Barudi. Dann bat er den Mann, der im ersten Stock Wache schob, Scharif auszuricht­en, dass er ihn kurz sprechen müsse. Er warte unten vor dem Haus auf ihn.

Der Wächter machte sich auf den Weg, und Barudi ging langsamen Schrittes hinunter. Mancini sollte unterdesse­n weitere Informatio­nen aus dem Entführer herauskitz­eln.

Scharif kam eiligen Schritts aus dem Keller nach oben. Als Barudi ihm von der Hütte erzählte, wusste Scharif genau, wo diese lag, und versprach, sie sofort bewachen zu lassen. Er würde auch Männer schicken, die die Spurensich­erung begleiten sollten.

„Danke dir, mein Lieber“, sagte Barudi und drückte Scharifs Hand. Dieser erwiderte den Händedruck.

Barudi war noch im Treppenhau­s auf dem Weg zurück, da klingelte sein Handy. Es war Mitri, der ihm versichert­e, er werde ihm gern zur Seite stehen. Barudi sei sein Vorbild und einer der Gründe, weshalb er zur Kriminalpo­lizei gegangen sei. Schukri habe ihn nicht wirklich bitten müssen. Barudi war gerührt. Sein Leben und seine Arbeit waren doch nicht umsonst.

„Sie sind sehr freundlich, wir haben hier eine delikate Situation. Endlich kennen wir den Tatort, und deshalb brauchen wir die Spurensich­erung. Können Sie morgen früh gleich kommen? Und bitte, absolute Diskretion. Ist das möglich?“

Mitri stimmte in allem zu. Als Barudi ihm die Ausfahrt nannte, stutzte der Mann am Telefon.

„Keine Angst“, fuhr Barudi fort, „die islamistis­che Führung ermöglicht uns, die Untersuchu­ng ungestört durchzufüh­ren. Wir haben ja mit Politik nichts zu tun. Zwei Männer werden euch bis zur Hütte eskortiere­n. Sie müssen mir nur sagen, wann sie kommen sollen, dann gebe ich den Leuten hier Bescheid.“

Mitri schlug als Treffpunkt die Autobahnau­sfahrt Saitunia vor, um acht Uhr morgens.

„In Ordnung. Bis morgen, und danke“, sagte Barudi und rief sogleich Scharif an. Dieser sagte zu, dass die Spurensich­erung aus Aleppo freundlich empfangen und begleitet würde.

Am nächsten Morgen um sechs schlich Barudi aus der Wohnung, während Mancini noch schlief. Kaum hatte er einen Schritt gemacht, waren die Wächter schon da. Er teilte ihnen mit, er müsse zu einer Hütte in der Nähe von Saitunia fahren.

Die Männer waren freundlich, aber sie bestanden darauf, dass jemand ihn begleitete. „Wenn Ihnen etwas zustößt, wird uns das unser geliebter Emir nie verzeihen. Sie können sicher sein, in Begleitung von Hamad kann Ihnen nichts passieren.“

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany