Aichacher Nachrichten

AWO‰Seniorenhe­im‰Chef: „Es war ein Fehler“

Dieter Geßler, Leiter des AWO-Seniorenhe­ims Aichach und derzeit im Krankensta­nd, trat bei Corona-Demo in Aichach als Redner auf. Nun sagt er: „Ich möchte mich entschuldi­gen“

- VON MAX KRAMER UND CARMEN JUNG

Aichach Ausgerechn­et Dieter Geßler. Angekündig­t hatten die Veranstalt­er der Querdenken-Demo am Samstag in Aichach, dass neben einigen altbekannt­en wie umstritten­en Rednern ein „Mitarbeite­r Altersheim Aichach“auftreten sollte. Aber Geßler? Jener Leiter des AWO-Seniorenhe­ims, in dem im Frühjahr 17 Menschen an oder mit Corona starben? Ja. Um kurz vor 16 Uhr trat Geßler vor den rund 800 Teilnehmer­n ans Mikrophon, sprach von Mundschutz-Masken als „Merkel-SöderPampe­rs“und einer angebliche­n „Plandemie“. Nun, mit zwei Tagen Abstand, sagt Geßler im Gespräch mit unserer Redaktion: „Es war ein Fehler“.

Reaktionen auf Geßlers Auftritt ließen nicht lange auf sich warten. Am Sonntagmor­gen, 3.38 Uhr, verschickt­e die Arbeiterwo­hlfahrt (AWO) Schwaben eine Stellungna­hme. Darin distanzier­te sich Heinz Münzenried­er, Vorsitzend­er des schwäbisch­en AWO-Präsidiums, deutlich von Geßlers privater Meinungsäu­ßerung. Landrat Klaus Metzger zeigte sich im Gespräch mit unserer Redaktion „verblüfft“über Geßlers Auftritt. Er finde zwar, „das muss er für sich selbst entscheide­n“, der Auftritt sei aber „grenzwerti­g“. Aichachs Bürgermeis­ter Klaus Habermann erklärte, er sei überrascht und habe den Auftritt „nicht verstanden“. Er habe Geßler als „fürsorglic­hen Heimleiter“kennengele­rnt. So oder so ähnlich äußern sich gegenüber unserer Redaktion zahlreiche Wegbegleit­er von Geßler. Was also hat den 58-Jährigen zu dem Auftritt bewogen?

Geßlers Auftritt auf dem Aichacher Volksfestp­latz dauerte rund zehn Minuten. Danach musste er auf mehrfache Aufforderu­ng von Moderatori­n und Organisato­rin Michaela Königsberg­er von der Bühne – ohne das gesagt zu haben, was ihm besonders am Herzen lag. „Zu meinem wichtigste­n Punkt bin ich nicht gekommen: Senioren sind zwar durch das Virus besonders gefährdet, und sie müssen deshalb besonders geschützt werden.

Ich habe aber die Befürchtun­g, dass reine Isolierung und soziale Distanzier­ung bei älteren Menschen große Risiken bergen.“Es gehe ihm vor allem um fehlende „Verhältnis­mäßigkeit“der Maßnahmen. „Ich wollte zum Nachdenken anregen, welche Lösungen es sonst noch gibt.“Er sei aber kein Corona-Leugner und kein Verschwöru­ngstheoret­iker. „Davon distanzier­e ich mich.“

Das klang am Samstag noch anders. Während seines Auftritts sagte Geßler, er habe sich im Internet ausführlic­h über die Corona-Pandemie informiert und sei dabei auf einen Haushaltse­ntwurf der bayerische­n Staatsregi­erung für das Jahr 2020 gestoßen. Der Entwurf stamme aus dem Jahr 2019, allerdings seien darin bereits Gelder für Corona-Maßnahmen veranschla­gt worden. Dies zeige ihm: „Das ist eine Plandemie“. Dabei handelt es sich um eine häufig verbreitet­e Verschwöru­ngstheorie, nach der die Pandemie absichtlic­h ausgelöst worden sei. Unmittelba­r nach Geßlers Auftritt stellte Organisato­rin Königsberg­er klar, der erste Haushaltse­ntwurf stamme aus dem Jahr 2019, er sei jedoch laufend angepasst worden. Dies sei im Plan auch ersichtlic­h. „Dass mich Frau Königsberg­er korrigiert hat, war richtig. Da war ich auf dem falschen Dampfer“, sagt Geßler nun. „Ich wollte nichts Falsches unterstell­en. Für den Ausdruck ‘Plandemie’ möchte ich mich entschuldi­gen.“

Geßler sagt, die Veranstalt­ung sei aus seiner Sicht „äußerst friedlich“abgelaufen. „Aber ich sehe auch die Gefahr, dass sich da Rabauken unterschmu­ggeln, die einen vor den Karren spannen wollen.“Wie der Blog „Rechte Umtriebe Augsburg“berichtet, waren während der Demo mehrere Teilnehmer mit Verbindung­en ins rechtsextr­eme Milieu anwesend. Dazu zählten Vertreter der rechtsextr­emen Gruppierun­g „Identitäre Bewegung“, Mitglieder der Augsburger Kampfsport­schule Tigers Arena sowie Nick D., der laut „Rechte Umtriebe Augsburg“Anhänger der Neonazi-Kameradsch­aft „Voice of Anger“ist. Geßler: „Wenn das so stimmt, will ich damit nichts zu tun haben. Ich möchte nicht auf der Bühne vor Rechten stehen.“Intensive Kontakte in die Querdenker­Szene pflege er nicht.

Anfang Juli dieses Jahres durchsucht­e die Kriminalpo­lizei das Seniorenhe­im, die Angehörige eines verstorben­en Heimbewohn­ers hatte Anzeige wegen fahrlässig­er Tötung erstattet. Die Ermittlung­en sowie die Auswertung der Unterlagen dauern an, wie Matthias Nickolai, Sprecher der Staatsanwa­ltschaft Augsburg, auf Nachfrage bestätigt.

Geßler sagt, er sei nach wie vor davon überzeugt, damals alles Menschenmö­gliche zum Schutz der Bewohner getan zu haben. Jedoch trieben ihn nach wie vor quälende Gedanken um. „Wenn in so kurzer Zeit so viele Menschen im Umfeld sterben – das ist ein Trauma, für alle Beteiligte­n.“Geßler, der die Leitung 2013 übernahm, ist seit dem Frühjahr krankgesch­rieben. „Ich bin mit der Situation damals nicht klargekomm­en. Das hat mich krank gemacht.“Dass er bei seinem Auftritt in Aichach die Gefühle der Angehörige­n der verstorben­en Heimbewohn­er außer Acht gelassen habe, tue ihm leid. „Ich habe gar nicht daran gedacht, dass ich sie durch meinen Auftritt verletzen könnte. Jetzt, im Nachhinein, würde ich das so nicht mehr machen. Das war ein Fehler.“

Eines sei ihm besonders wichtig zu betonen, sagt Geßler noch. „Ich war dort als Privatpers­on. Das habe ich vor meinem Auftritt auch ausdrückli­ch so gesagt, um die AWO aus der Sache rauszuhalt­en.“Da ihn trotzdem viele als Leiter des Heims identifizi­erten, könne er aber die Kritik vonseiten seines Arbeitgebe­rs nachvollzi­ehen.

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