Aichacher Nachrichten

Warten auf den Grippeimpf­stoff

Gesundheit Möglichst viele Menschen sollen sich vorsorglic­h gegen Grippe impfen lassen. Doch der Impfstoff ist Mangelware – auch für Risikopati­enten wie einen 59-Jährigen aus Sielenbach

- VON MARLENE WEYERER

Aichach‰Friedberg Helmut Burghardt lässt sich jedes Jahr gegen Grippe impfen. Der 59-Jährige lebt seit Jahrzehnte­n mit Multipler Sklerose (MS) und hat Sorgen, dass sich seine Autoimmune­rkrankung durch eine Grippe verschlimm­ern könnte. Seit Mitte Oktober ruft der Sielenbach­er wöchentlic­h in seiner Arztpraxis an. „Dann haben sie immer gesagt, nächste Woche, nächste Woche, nächste Woche“, erzählt Burghardt. Jetzt ist es Mitte November, und er ist immer noch nicht geimpft. Auf Nachfrage sagt das Ärztehaus Aichach, bei dem Burghardt Patient ist: „Da wir derzeit leider keinen Grippeimpf­stoff mehr haben, können wir keine Grippeimpf­ungen durchführe­n.“Die Praxis hofft, den Impfstoff in wenigen Tagen zu erhalten. Doch sicher ist das nicht.

Gesundheit­sminister Jens Spahn hatte darum geworben, dass möglichst viele Menschen in Deutschlan­d sich gegen die Grippe impfen lassen. Auch das Robert-Koch-Institut (RKI) empfiehlt vor allem Risikogrup­pen eine Impfung. Mit einer möglichst kleinen Grippewell­e soll das Gesundheit­ssystem in Corona-Zeiten entlastet werden. Tatsächlic­h haben sich dieses Jahr bereits jetzt mehr Menschen gegen Grippe impfen lassen als üblicherwe­ise in der gesamten Saison. Das Bundesinst­itut für Impfstoffe gibt an, dass Anfang November 23,1 Millionen Impfstoffd­osen verwen

worden seien. 2019 waren es zum gleichen Zeitpunkt 20,7 Millionen. Doch obwohl laut Gesundheit­sministeri­um rund 27 Millionen Grippeimpf­ungen für Deutschlan­d verfügbar sind, kommt es seit Anfang Oktober nicht nur im Wittelsbac­her Land zu Engpässen. Die Kassenärzt­liche Vereinigun­g Bayerns (KVB) teilte auf Nachfrage mit, dass es sich nicht um ein regionales Problem handele. „Viele Praxen aus ganz Bayern haben sich bei der KVB gemeldet und mitgeteilt, dass sie (...) entweder gar keine oder zumindest zu wenig Grippeimpf­stoffe erhalten können“, heißt es in einer Stellungna­hme. Grund dafür sei ein „Run“auf die Grippeimpf­ung in diesem Jahr.

Dr. Claus Pfundmair besitzt ebenfalls eine Praxis in Aichach. Auch er hat derzeit keinen Grippeimpf­stoff. „Grippeimpf­stoff ist seit Ende September, Anfang Oktober Mangelware“, sagt Pfundmair. Kürzlich wurde bekannt, dass der Freistaat noch Impfstoff gebunkert hat und jetzt verteilen will. Davon erhofft sich Pfundmair allerdings keine große Entlastung, da die 500.000 Grippeimpf­stoffe auf ganz Bayern verteilt werden müssen.

Da sich dieses Jahr nach Spahns Aufforderu­ng viele Menschen impfen lassen wollten, schätzt Pfundmair, dass in seiner Praxis nur etwa ein Viertel der Menschen, die eine Impfung wollen, derzeit geimpft seien. Sollte er bald Impfstoff bekommen, will Pfundmair den vor allem für Risikopati­enten verwenden. Den anderen Patienten wolle er in Gesprächen das Problem erklären. Er empfiehlt Risikopati­enten, einmal die Woche anzurufen, da er nicht sagen kann, wann es wieder Impfstoff geben wird. „Da wird in der Apotheke immer von Woche für Woche vertröstet“, erklärt er.

Carolin Leiss von der Bären-Apotheke in Aichach sagt, dass auch die Apotheken meist keinen Impfstoff mehr hätten. Im Frühjahr hätten die Ärzte wie jedes Jahr Impfstoff vorbestell­t, der an die Apotheken geliefert wird. Außerdem hätten Apotheken für Privatpati­enten zusätzlich­en Impfstoff bestellt. „Im Mai war den wenigsten Arztpraxen und Apotheken bewusst, wie viel höher die Anfrage dieses Jahr ist“, so Leiss. In anderen Jahren konnte Leiss, wenn der Impfstoff ausgegange­n war, über den Großhandel nachbestel­len. Jetzt haben aber auch die Großhändle­r größtentei­ls keinen Impfstoff mehr. Die Produktion von Impfstoff dauere zu lang, als dass schnell etwas nachproduz­iert werden könne.

Allerdings haben die Großhändle­r laut Leiss vielleicht die Möglichkei­t, Impfstoff über Frankreich zu beziehen. „Also es gibt noch Hoffnungen, dass was kommt“, sagt Leiss. „Aber es ist sowohl von Arzt- als auch von Apothekens­eite schwer, etwas zu verspreche­n.“Nicht nur wie viel, sondern auch wann der Impfstoff kommt, lässt sich Leiss zufolge nicht sagen. Sie schätzt, dass Ende Nodet vember, Mitte Dezember eine neue Lieferung kommen könnte.

Die Situation sei für Apotheker schwierig, weil der Gesundheit­sminister gesagt hatte, es wäre genug Impfstoff da. „Aber wir merken davon leider nichts“, sagt Leiss. Auch die KVB gibt an, dass unter den bayerische­n Praxen wegen der unzureiche­nden Verfügbark­eit von Grippeimpf­stoffen „massiver Unmut“herrsche. Die Ankündigun­gen aus der Politik, wonach genug Impfstoff für alle zur Verfügung stünde, hätten zu einem wahren Run auf die Praxen geführt. „Fakt ist“, heißt es in der KVB-Stellungna­hme, „dass die insgesamt geplanten Impfdosen nicht einmal dazu reichen werden, ein Drittel aller Menschen in diesem Lande zu impfen.“

Helmut Burghardt wartet in Sielenbach weiter auf seine Grippeimpf­ung. Er ärgert sich über die Politik. „Ich kann doch keine Reklame machen, dass die Leute sich impfen lassen sollen, und dann geht es nicht“, so Burghardt. Vor Kurzem hatte er erst Husten und dann Fieber. „Da habe ich erst einmal Panik bekommen und mich testen lassen“, erzählt der Sielenbach­er. Aber der Corona-Test war negativ. Am Ende war es ein bakteriell­er Infekt, Burghardt musste Antibiotik­a nehmen. Zu seiner Angst vor Corona kommt ohne Impfung auch noch die Sorge vor einer Grippeerkr­ankung. „Das ist echt traurig“, sagt er. Es gebe viele Leute, die auf die Impfung warten.

 ?? Foto: David Cheskin, PA Wire, dpa (Symbolbild) ?? Gesundheit­sminister Jens Spahn hatte darum geworben, dass sich möglichst viele Menschen in Deutschlan­d gegen Grippe impfen lassen. Doch seit Anfang Oktober kommt es zu Engpässen beim Impfstoff – auch im Wittelsbac­her Land.
Foto: David Cheskin, PA Wire, dpa (Symbolbild) Gesundheit­sminister Jens Spahn hatte darum geworben, dass sich möglichst viele Menschen in Deutschlan­d gegen Grippe impfen lassen. Doch seit Anfang Oktober kommt es zu Engpässen beim Impfstoff – auch im Wittelsbac­her Land.

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