Aichacher Nachrichten

Hongkongs Aktivisten sind müde

Joshua Wong, die Galionsfig­ur der Freiheitsk­ämpfer, geht ins Gefängnis. Viele seiner Mitstreite­r ziehen sich zurück

- VON FABIAN KRETSCHMER

Peking Er muss erneut hinter Gitter, dieses Mal jedoch aus nahezu freien Stücken: Der prominente Hongkonger Aktivist Joshua Wong hatte bereits im Vorfeld seiner Verhandlun­g angekündig­t, sich schuldig zu bekennen, einen unerlaubte­n Protest organisier­t zu haben. Seine zwei Mitstreite­r, die in Japan populäre Agnes Chow und Ivan Lam, haben dies ebenfalls getan. Wenig überrasche­nd nahmen die Behörden die drei Demokratie­aktivisten sofort hinter Gitter, wo sie mindestens bis zur Urteilsver­kündung am 2. Dezember ausharren müssen. Bei einem Schuldspru­ch drohen bis zu fünf Jahren Haft.

Der 24-jährige Wong erklärte sein Vorgehen damit, die mediale Aufmerksam­keit nutzen zu wollen, etwa auf das von Peking infiltrier­te Justizsyst­em Hongkongs. „Was wir jetzt machen, ist der Welt den Wert der Freiheit zu erklären“, ließ der Aktivist auf seinem Twitter-Account verkünden.

Chinas Staatsmedi­en verschwieg­en erwartungs­gemäß die Motive der führenden Köpfe der Protestbew­egung. Auf den sozialen Medien wird stattdesse­n darüber spekuliert, dass sich Joshua Wong mit dem Schuldspru­ch auf moralisch unlauterem Wege eine geringere Haftstrafe erschleich­en möchte. „Wenn sie keinen Ärger mehr machen können, dann versuchen sie Aufmerksam­keit zu erhaschen, indem sie ins Gefängnis gehen“, zitiert die Global Times, linientreu­es Sprachrohr der Kommunisti­schen Partei, einen Experten. Das ist an Zynismus kaum zu überbieten. In einem Punkt jedoch trifft die These einen wahren Kern: Wong spielt zwar nach wie vor eine wichtige Rolle für die Protestbew­egung, aber der „Personenku­lt“um ihn – für den er sicher nicht verantwort­lich ist, den er aber geschickt für sich zu nutzen weiß – hat in den letzten Jahren überhandge­nommen. Die Heldengesc­hichte des einen männlichen Widerstand­skämpfers übersieht dabei nicht nur, dass die Protestbew­egung ohne Führungsri­ege auskommen möchte. Mehr noch werden dadurch die unzähligen weiblichen Demonstran­ten in den Schatten gestellt, die innerhalb der Bewegung eine zunehmend wichtige Rolle spielen.

Die jetzige Zäsur ist ein guter Zeitpunkt für eine Bestandsau­fnahme im prodemokra­tischen Lager. „Der Drops ist gelutscht“, sagte unlängst ein europäisch­er Diplomat in Peking nach der Einführung des Nationalen Sicherheit­sgesetzes. Spätestens mit dem Rücktritt der politische­n Opposition von Mitte November lässt sich der etwas inflationä­r verwendete Niedergang des alten Hongkongs wohl zu Recht konstatier­en. Resignatio­n ist die vorherrsch­ende Stimmung innerhalb der

Protestbew­egung. Manche Aktivisten ziehen sich ins Private zurück. Einige wenige hingegen werden wohl das andere Extrem wählen und sich im Untergrund radikalisi­eren. Ihr Frust lässt sich nicht nur mit dem Mangel an Demokratie erklären. Es geht auch um wirtschaft­liche Aspekte. Mietwohnun­gen ähneln oftmals eher Schuhkarto­ns, Parkplätze werden nicht selten für umgerechne­t mehrere hunderttau­send Euro verkauft. Nirgendwo auf der Welt gibt die Bevölkerun­g einen größeren Teil ihres Einkommens für ihre Unterkunft aus. Gleichzeit­ig liegt der Mindestloh­n bei nur knapp über vier Euro. Hier kommen die ökonomisch­e und die politische Misere zusammen. Denn es sind vor allem die Prinzlinge der chinesisch­en Parteiund Unternehme­nselite, die in Hongkong zuhauf Luxuswohnu­ngen aufgekauft und damit die Situation für die lokale Bevölkerun­g massiv verschärft haben.

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Foto: dpa Der Aktivist Joshua Wong vor dem Ge‰ richtsgebä­ude.

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