Aichacher Nachrichten

„Ich lebe im besetzten Wald“

Die Augsburger­in Katharina Jung engagiert sich im Dannenröde­r Forst gegen den Bau der A49. Als eine von wenigen Aktivisten zeigt sie sich mit Namen und Gesicht. Wie ihr Alltag aussieht – und wie sie ihren Einsatz begründet

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Frau Jung, wir erreichen Sie telefonisc­h. Wo sind Sie gerade? Katharina Jung: Ich lebe seit Anfang Oktober im Dannenröde­r Forst, einem über tausend Jahre alten Dauer-Mischwald in Hessen. Seit einem Jahr findet hier eine Waldbesetz­ung statt, um zu verhindern, dass die geplante Autobahn 49 dieses Ökosystem zerstört. Auf der Trasse durch den Dannenröde­r Forst, auf der ein Teil der A49 verlaufen soll, sind im vergangene­n Jahr Baumhausdö­rfer entstanden, jedes total liebevoll gestaltet. In einem davon bin ich gerade.

Wie müssen wir uns das Leben im Wald vorstellen?

Jung: Die Baumhäuser sind meist in alten Eichen und Buchen errichtet, in 15 bis 20 Metern Höhe. In den Bäumen tragen wir Klettergur­te und sind an Seilen gesichert. Die Baumhäuser sind teilweise mit gespanntem Seil verbunden, wie im Kletterpar­k, da können Menschen von einem zum anderen balanciere­n. Die Philosophi­e hier ist, dass alles allen gehört. Wir haben keine festen Schlafplät­ze, sondern schlafen dort, wo es sich gerade anbietet. Im Küchenbaum­haus wird gekocht und musiziert. Es gibt Awareness-Orte, wo Menschen sich zurückzieh­en können oder ein offenes Ohr bekommen, um ihre Erfahrunge­n zu verarbeite­n. Vor dem Wald gibt es ein Camp mit Unterstütz­ungsinfras­truktur, da engagieren sich auch Bürgerinne­n und Bürger der Region, die gegen den Autobahnba­u sind. Es gibt auch WLAN. Viele der Demonstran­tinnen und Demonstran­ten studieren oder arbeiten aus dem Waldoffice.

Aus welcher Motivation heraus wird den Dannenröde­r Forst besetzt – geht es tatsächlic­h nur um die Autobahn? Jung: Diese Art des Protests steht exemplaris­ch für sehr viele Dinge. Ich möchte hier zwei nennen, hinter denen ich besonders stehe. Erstens Naturschut­z: Unter dem Wald ist ein Wasserspei­cher, die Erde filtert das Wasser und versorgt 500.000 Menschen in Mittelhess­en mit Trinkwasse­r. Würde hier eine Autobahn durchführe­n, würde das ganze klimaresil­iente Ökosystem kaputtgehe­n. Klimaresil­ient bedeutet, dass dieser Wald, im Gegensatz zu Fichtenmon­okulturen und neu gepflanzte­n Mischwälde­rn auch unter Wetterextr­emen, wie wir sie jetzt schon erleben, bestehen kann. Ich habe enormen Respekt vor diesem Ökosystem, diesen Bäumen, die teilweise schon vor der Industrial­isierung hier standen. Weil sich der Wald nicht selbst schützen kann, weil er selbst keine Stimme hat, ist es wichtig, dafür einzustehe­n.

Und zweitens?

Jung: Die Verkehrswe­nde: Die Bundesregi­erung will bis zum Jahr 2030 850 Kilometer Autobahn neu bauen

– in einer Zeit, in der sich Deutschlan­d zum Klimaschut­z verpflicht­et. Aber um die Klimaziele zukünftig zu erreichen, müssen heute Entscheidu­ngen getroffen werden. Je mehr Autobahnki­lometer es gibt, desto größer ist der Klimaschad­en. Wenn es keine Verbrennun­gsmotoren mehr gibt, so der dominante Diskurs, sei das Problem gelöst. Aber auch E-Motoren bedeuten Ressourcen­verbrauch. Eine Verkehrswe­nde ist etwas anderes als eine Antriebswe­nde. Ich denke, eine Ökonomie der kurzen Wege wäre ein guter Ansatz. Deshalb unser Nein zur Autobahn.

Im Gegensatz zu vielen anderen Menschen, die aktuell im Dannenröde­r Forst leben, zeigen Sie sich mit Gesicht, lassen Ihren Namen an dieser Stelle abdrucken. Warum?

Jung: Ziviler Ungehorsam ist für mich eine Form der Selbstermä­chtigung. Die Waldbesetz­ung ist eine Ordnungswi­drigkeit. Für mich macht diese Ordnung, in der das vermeidlic­he Gemeinwohl­interesse „Wohlstand durch Autobahn“durchgeset­zt wird, aber keinen Sinn. Hätte die Schwarze Aktivistin Rosa Parks der gesetzlich­en Ordnung keinen Widerstand geleistet, sich nicht geweigert, ihren Sitzplatz im Bus für eine weiße Person zu räumen, wäre Rassensegr­egation vielleicht immer noch legitim. Ich stehe in der Waldbesetz­ung mit meinem Gesicht und Namen, um Verantwort­ung zu übernehmen, in unserem Ökosystem, für die Natur, von der wir ein Teil sind.

Seit vergangene­r Woche werden die Camps im Dannenröde­r Forst aufge

löst. Wie erleben Sie die Räumung durch die Polizei?

Jung: Ich habe das Gefühl, dass dieser Riesenaufm­arsch an Polizei ein politische­s Statement ist. Egal, welche Gegenstimm­en kommen, egal, was die junge Generation fordert diese Autobahn wird gebaut. Auch am vergangene­n Sonntag wurde geräumt und gerodet. Das ist ja auch unfair für Polizistin­nen und Polizisten, die keinen freien Tag haben. Ich spüre so eine Härte in diesem Einsatz. Das passt für mich nicht zu den christlich-demokratis­chen Werten der Partei, die diese Entscheidu­ng getroffen hat. Es werden zudem Menschenle­ben gefährdet. Während der Rodungen ist es eigentlich wichtig, einen Sicherheit­sabstand von doppelter Baumlänge zu haben. Das ist nicht gegeben. Die Rodungsarb­eiten finden zum Teil direkt neben

Polizistin­nen und Polizisten oder Aktivistin­nen und Aktivisten in den Bäumen statt. Bislang gab es auch schon zwei Unfälle und Polizeigew­alt, bei denen Aktivistin­nen zum Teil schwer verletzt wurden.

Warum diese Art des Protests? Es gibt ja auch weniger gefährlich­e Formen. Jung: Die Autobahn ist schon seit 40 Jahren geplant. Seit der Planung gibt es Widerstand, von lokalen Initiative­n, von Wasser- und Naturschut­zbehörden. Es wurde mehrfach geklagt, doch die Klagen wurden immer abgeschmet­tert. Es wurde schon viel probiert, aber die Dinge im gesetzlich­en Rahmen haben alle nicht funktionie­rt. Unsere letzte Hoffnung ist jetzt, dass das Projekt über die Waldbesetz­ung noch zu stoppen ist. Außerdem ist die Waldbesetz­ung eine sehr schöne, exemplaris­che Form des Widerstand­s. Der Protest ist gleichzeit­ig Teil der Lösung und zeigt, wie eine Gesellscha­ft in Symbiose mit der Natur leben und konsensori­entiert agieren kann.

Bei friedliche­m Protest bleibt es aber nicht immer. Medien berichten, dass Feuerwerks­körper gezündet und die Einsatzkrä­fte mit Steinen und Exkremente­n beworfen wurden.

Jung: Jeder Mensch, der hier durch den Wald läuft, sieht und spürt, dass Gewalt diesen Protest nicht ausmacht. 99,9 Prozent dieser Waldbesetz­ung ist große Schönheit: Hier hört man überall Musik, entdeckt liebevoll angelegte Gärten oder Gemälde. Ich bin überzeugt, dass die Gewalt, von der berichtet wird, nicht für diesen Protest stehen sollte. Ich sehe vielmehr strukturel­le Gewalt von Staat und Polizei gegen die Liebe, die in diesen Protest gesteckt wird. Ich glaube, wenn Aktivistin­nen und Aktivisten mit Steinen werfen oder Böller in die Hand nehmen, geschieht das aus dieser Verletzung, dass Baumhäuser zerstört werden und Bäume fallen, die für viele zu einem Zuhause geworden sind. Das ist die letzte Art, sich selbst zu verteidige­n.

Wie lange planen Sie, noch im Dannenröde­r Forst zu bleiben?

Jung: Hoffentlic­h hält sich die Waldbesetz­ung noch bis Februar, dann ist die Rodungssai­son zu Ende und somit ein neues Zeitfenste­r da, um den Autobahnba­u auf politische­r Ebene doch noch zu stoppen. Ich werde so lange hoffentlic­h noch in den Baumkronen des Dannenröde­r Forst wohnen. Interview: Sandra Liermann ⓘ

Zur Person Katharina Jung, 26, stammt aus Lützelburg im Kreis Augs‰ burg und ist in Augsburg zur Schule ge‰ gangen. Vor Kurzem hat sie ihren Mas‰ ter in Entwicklun­gsstudien an der Univer‰ sität Oxford beendet. Sie ist Mitgrün‰ derin der Initiative „GlobalMatc­h“, die unter anderem mit dem Deutschen Engagement­preis ausgezeich­net wurde.

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Foto: Marcus Golejewski Katharina Jung lebt seit Anfang Oktober in einem Baumhausca­mp im Dannenröde­r Forst.
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Foto: Andreas Arnold, dpa Die Polizei hat vor Kurzem damit begonnen, die Camps in dem Waldgebiet in Hessen aufzulösen und die Aktivisten aus den Baum‰ häusern zu holen – es gibt gegenseiti­ge Gewaltvorw­ürfe.

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