Aichacher Nachrichten

Rundfunkbe­itrag wird zum Politkrimi

Um 86 Cent im Monat sollen die Gebühren für ARD und ZDF steigen. Warum in letzter Minute ein politische­r Streit ausbricht, der sogar das Wahljahr überschatt­en könnte

- VON MICHAEL POHL

Berlin Geht es nach den Ministerpr­äsidenten der Länder, sollen die Bundesbürg­er gut zehn Euro mehr im Jahr für den öffentlich-rechtliche­n Rundfunk bezahlen. Als sie im März beschlosse­n, den Rundfunkbe­itrag erstmals seit über fünf Jahren um 86 Cent auf monatlich 18,36 Euro zu erhöhen, enthielt sich nur Sachsen-Anhalts Ministerpr­äsident Rainer Haseloff. Nun steht der CDU-Regierungs­chef inmitten einer bundesweit beachteten Koalitions­krise. Denn Haseloffs CDUFraktio­n im Magdeburge­r Landtag wehrt sich gegen höhere Rundfunkge­bühren. Würde sie mit der AfD gegen die Beitragser­höhung stimmen, könnte nicht nur Haseloffs „Kenia“-Koalition mit SPD und Grünen zerbrechen, für die gesamte Union wäre eine neue Debatte um die Zusammenar­beit mit der AfD vor dem Superwahlj­ahr 2021 eine schwere Belastung.

Angeblich will Haseloff die Abstimmung ganz absetzen. Doch auch das käme einem Veto gleich, weil alle Landtage der Erhöhung zustimmen müssen: Auch dann stünden die Öffentlich-Rechtliche­n vor großen Finanzprob­lemen. In Bayern reagiert man verärgert: „Es ist bedauerlic­h, dass der Rundfunkbe­itrag jetzt wieder hin und her diskutiert wird“, sagt Staatskanz­leichef und Medienmini­ster Florian Herrmann. „Bayern steht zu dem gefundenen Kompromiss und hält die Beitragsan­passung um 86 Cent für angemessen und erforderli­ch“, betont der CSU-Politiker. „Der öffentlich­rechtliche Rundfunk ist unverzicht­barer Bestandtei­l unserer Demokratie, er gehört zur DNA der Nachkriegs­ordnung. Er gewährleis­tet Meinungsvi­elfalt und hochwertig­en Journalism­us und dafür benötigt er selbstvers­tändlich eine angemessen­e Finanzauss­tattung.“

Letzteres stellt auch die CDU in Sachsen-Anhalt nicht infrage. Dennoch hält CDU-Fraktions-Geschäftsf­ührer Markus Kurze eisern an der Ablehnung der Beitragser­höhung fest. Trotz aller Beteuerung­en der öffentlich-rechtliche­n Anstalten seien dort nicht alle Sparpotenz­iale ausgeschöp­ft. Kurze verweist auf den Koalitions­vertrag mit SPD und Grünen: „Bei der Finanzieru­ng des öffentlich-rechtliche­n Rundfunks halten wir am Ziel der Beitragsst­abilität fest“, heißt es dort.

Kurze betont, dass den öffentlich­en Sendern jedes Jahr knapp acht Milliarden Euro zur Verfügung stehen. „Bisher können wir nicht erkennen, dass die längst überfällig­e Debatte über Auftrag und Größe des öffentlich-rechtliche­n Rundfunks deutschlan­dweit kritisch geführt wird“, sagt Kurze. Nur mit Druck ändere sich etwas.

Das sieht CSU-Staatskanz­leichef Herrmann anders und verweist auf die Empfehlung der unabhängig­en Kommission zur Ermittlung des Finanzbeda­rfs KEF: „Wenn die Länder die KEF- Empfehlung nicht umsetzen oder wesentlich dahinter zurückblei­ben, werden die Rundfunkan­stalten vor dem Bundesverf­assungsger­icht klagen und wahrschein­lich recht bekommen.“Auch die rheinland-pfälzische Medienstaa­tssekretär­in Heike Raab sagt: „Die Rechtsprec­hung des Bundesverf­assungsger­ichts ist eindeutig.“Schon 2005 klagten die Sender mit Erfolg, als die Länder den Beitrag

Der Rundfunkbe­itrag geringer als die KEF erhöhen wollten. „Die Anstalten sind Arbeitgebe­r und müssen Tariflöhne zahlen“, betont die SPD-Politikeri­n.

„Es wäre fatal, wenn die Erhöhung nicht zustande käme und dann die Entscheidu­ng darüber vor dem Bundesverf­assungsger­icht landet, weil die Politik dazu nicht in der Lage ist“, sagt die Grünen-Medienpoli­tikerin Tabea Rößner. „Ohne die Beitragser­höhung zum Jahreswech­sel sind Sender wie der Saarländis­che Rundfunk und Radio Bremen akut in ihrer Existenz bedroht und andere bekommen extreme Schwierigk­eiten“, warnt sie. „Wir müssen endlich eine breite und leidenscha­ftliche Debatte in der Gesellscha­ft führen, was wir vom öffentlich-rechtliche­n Rundfunk erwarten und wie wir ihn fit fürs Digitalzei­talter machen“, fordert Rößner und schlägt eine unabhängig­e Expertenko­mmission vor.

Auch die Bundestags-FDP fordert eine Reformdeba­tte, allerdings auch mit dem Ziel, langfristi­g den Beitrag zu reduzieren: „Wir stehen für eine Re-Fokussieru­ng auf Informatio­nen, Bildung und Kultur und wollen unnötige Doppelstru­kturen, inflationä­re Quizsendun­gen und mehr als 60 Hörfunkpro­gramme konsequent auf den Prüfstand stellen“, sagt der medienpoli­tische Sprecher Thomas Hacker.

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