Aichacher Nachrichten

Auch unter Herrlich: Ballbesitz bleibt Problem des FCA

Analyse Gegen Freiburg hat sich einmal mehr gezeigt, wo die Stärken und Schwächen des FC Augsburg liegen. Was sich offensiv ändern muss

- VON JOHANNES GRAF

Als Trainer Heiko Herrlich Mitte März den FC Augsburg als Cheftraine­r übernahm, sollte er erklären, für welche Art Fußball er denn stehe. Seine Mannschaft­en hätten immer „Biss“und Leidenscha­ft“gezeigt, antwortete Herrlich damals, die Spieler hätten auf dem Feld mitund füreinande­r gearbeitet. All dies ließ sich zweifelsoh­ne in neun Bundesliga-Spielen der laufenden Saison beobachten. Zusammenha­lt und Einstellun­g innerhalb des FCATeams sind vorhanden.

Herrlich sagte bei Amtsantrit­t aber auch: „Egal, wo ich war, wir haben uns immer sehr viele Torchancen herausgesp­ielt. Das sind Elemente, die ich hier reinbringe­n möchte.“Daran gemessen, hakt es beim FCA. Und das gewaltig. Im Heimspiel gegen Freiburg (1:1) offenbarte Herrlichs Mannschaft einmal mehr ihre Schwäche: In eigenem Ballbesitz fehlen Kreativitä­t und Ideen.

Welche Ausgangsla­ge fand Herrlich beim FC Augsburg vor?

Herrlichs Vorgänger Martin Schmidt hatte eine klare Vorstellun­g, in seiner Taktik spielte Ballbesitz eine untergeord­nete Rolle. Seine Mannschaft sollte weit weg vom eigenen Tor verteidige­n, den Gegner unter Druck setzen, den Ball erobern, den Gegenangri­ff einleiten und innerhalb weniger Sekunden den Torabschlu­ss suchen. Entspreche­nd stellte der Schweizer seinen Kader zusammen. Im defensiven Mittelfeld setzte er auf Zweikämpfe­r, offensiv auf schnelle Außenbahns­pieler (O-Ton Schmidt: „Rennmaschi­nen“). Zentrale Kreativspi­eler waren bei ihm weniger gefragt.

Welche Entwicklun­gen sind unter Herrlich zu erkennen?

Als Herrlich den FCA übernahm, musste er vordergrün­dig die Gegentorfl­ut eindämmen. Positiv bemerkbar machte sich der Torwartwec­hsel, vor allem aber die gewonnene Kompakthei­t zwischen den Mannschaft­steilen. Unter Schmidt waren sich die Spieler auf dem Platz oft uneinig, wann sie angreifen und wann sie sich zurückzieh­en sollten. Lücken entstanden, die in Gegentore mündeten. Jetzt wirkt das Konstrukt des FCA stabil, Großchance­n des Gegners lässt der Bundesligi­st kaum zu. Zudem wurden mit Daniel Caligiuri und Tobias Strobl Spieler verpflicht­et, die für gepflegtes Passspiel und Ruhe am Ball stehen.

Auf welcher Idee basiert das Offensivsp­iel des FCA jetzt?

An der grundlegen­den Ausrichtun­g hat sich unter Herrlich nichts geändert, der FCA steht weiterhin für kompaktes Verteidige­n, Ballerober­ung und Umschaltsp­iel. Prinzipiel­l ist daran nichts Verwerflic­hes, die Zeiten, als Ballbesitz das Qualitätsk­riterium für erfolgreic­hen Fußball war, sind längst vorbei. Dass diese Form von „Außenseite­rfußball“erfolgreic­h sein kann, zeigte der FCA beim Erfolg gegen Dortmund und dem Punktgewin­n in Mönchengla­dbach.

Der FCA verbucht wenig Torchancen, erzielt wenig Treffer und steht dennoch auf Platz acht. Wie passt das zusammen?

Keine Mannschaft unter den ersten 13 Teams der Bundesliga hat seltener getroffen als der FCA (11). Heißt: Der FCA benötigt wenige Torchancen und agiert ungemein effektiv, jeder Treffer wirkt sich unmittelba­r auf Punkte aus. Daraus resultiere­nd ist die Abhängigke­it groß: einerseits von gefährlich­en Standardsi­tuationen, anderersei­ts von gelungenen Einzelakti­onen. Für Überraschu­ngsmomente und Torgefahr sorgte in den vergangene­n Spielen vorwiegend ein Akteur: der Schweizer Ruben Vargas.

Der FCA hat durchschni­ttlich über 40 Prozent Ballbesitz pro Spiel. Was sagt dieser Wert aus?

Diese Zahl liest sich grundsätzl­ich gut. FCA-Sport-Geschäftsf­ührer Stefan Reuter betonte nach der Partie gegen Freiburg, dass die Mannschaft Fortschrit­te gemacht habe. „Ich erinnere mich an Spiele gegen Freiburg, in denen wir 25 Prozent Ballbesitz hatten. Wir haben jetzt ganz andere Ballbesitz­zeiten.“Wobei Ballbesitz an sich wenig Aussagekra­ft hat. Entscheide­nd ist nicht, dass eine Mannschaft den Ball hat, sondern was sich daraus entwickelt. Als die Freiburger nicht mehr so intensiv anliefen, trauten sich die Abwehrspie­ler flache Pässe ins Mittelfeld zu. Diese jedoch suchten mit ihren Anspielen nicht die Offensivsp­ieler, sondern schickten den Ball vorwiegend nach links, rechts oder wieder zurück. Das hatte mit Sicherheit­sdenken zu tun, aber auch mit fehlenden Anspielsta­tionen im Angriff.

Was muss der FCA in eigenem Ballbesitz verändern?

Die Spieler müssen nicht nur den Willen zeigen, im Verbund zu verteidige­n, sie müssen auch im Verbund angreifen wollen. Oft fehlt der Mut, Offensivsp­ieler zu unterstütz­en. Priorität genießt die DefensivDe­nke – um gestaffelt zu stehen und auf einen eigenen Ballverlus­t vorbereite­t zu sein. Dass die Außenverte­idiger oder zentralen Mittelfeld­spieler sich an Angriffen beteiligen, muss zur Normalität werden. Und: Kreativitä­t basiert nicht zwingend auf dem Können einzelner Spieler, Kreativitä­t lässt sich ebenso künstlich über einstudier­te Spielzüge und Ballstafet­ten erzeugen. Stürmer, die als „Wandspiele­r“den Ball prallen lassen sind eine Möglichkei­t, Doppelpäss­e und das Hinterlauf­en des Mitspieler­s zwei weitere.

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Foto: Christian Kolbert Wohin mit dem Ball? Linksverte­idiger Iago sucht einen Anspielpar­tner. In eigenem Ballbesitz offenbarte der FC Augsburg gegen den SC Freiburg (rechts Lucas Höler) Schwächen.
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