Aichacher Nachrichten

Rafik Schami: Die geheime Mission des Kardinals (117)

-

In die italienisc­he Botschaft in Damaskus wird ein toter Kardinal eingeliefe­rt. Was hatte der Mann aus Rom in Syrien zu schaf‰ fen? Kommissar Barudi wird mit dem Fall betraut, der ihn zu reli‰ giösen Fanatikern und einem muslimisch­en Wunderheil­er führt.

© Rafik Schami: Die geheime Mission des Kardinals. Carl Hanser Verlag 2019

Von dort oben hat sich einmal ein Unglücklic­her in den Tod gestürzt. Er soll seiner Geliebten im fernen Damaskus ,Vergiss mich nicht‘ zugerufen haben, seitdem heißt dieser Felsen so.“Barudi räusperte sich. „Ich möchte mich bei dir für die gute gemeinsame Zeit bedanken. Ich schäme mich dafür, dass die Täter bei uns von höchster Stelle in Schutz genommen werden.“

„Mach dir keine Gedanken, du hast fabelhaft gearbeitet. Und solche Einmischun­gen kenne ich zur Genüge.“Sie stießen mit einem Glas Wein auf ihre Zusammenar­beit an und ließen sich all die Köstlichke­iten, die der Wirt persönlich servierte, schmecken.

„Du kannst dich auf mich verlassen, ich werde keine Ruhe geben, bis der Bischof bestraft wird“, versichert­e Mancini.

Barudi freute sich über so viel freundlich­e Solidaritä­t, nicht ahnend, dass Mancini es ernst meinte und sein Verspreche­n wahr machen

würde. Drei Monate später, am 7. März 2011, schrieb Papst Benedikt XVI. einen unmissvers­tändlichen, harten Brief an den katholisch­en Patriarche­n von Damaskus, dessen Inhalt nicht öffentlich bekannt, dessen Wirkung aber sehr schnell sichtbar wurde. Es erging ein Erlass der Glaubensko­ngregation, mit dem sie nach katholisch­em kanonische­n Strafrecht Bischof Tabbich wegen schwerer Straftaten seines Amtes enthob und ihn aus dem Priesterst­and entließ. Das Schreiben schloss mit der knappen Bemerkung: Bei sofortiger Umsetzung wird der Vatikan auf eine öffentlich­e Bekanntmac­hung verzichten.

Der katholisch­e Patriarch fügte sich erleichter­t, und Bischof Tabbich erklärte öffentlich, er wolle sich aus persönlich­en Gründen zurückzieh­en und meditieren.

Als der Patriarch, um die Wogen zu glätten und den gemeinen Gerüchten entgegenzu­treten, eine Erwähnung des meditieren­den ehemaligen Bischofs in seine Ostersonnt­agspredigt einfließen ließ, brach unter den versammelt­en Gläubigen wildes Gelächter aus. Der Patriarch erschrak. Er musste dreimal um Ruhe bitten, um den Gottesdien­st fortsetzen zu können. Seine abgebroche­ne Predigt blieb als Torso zurück. Von Bischof Tabbich sprach er nie wieder.

Was im Schreiben des Papstes nicht stand, weil es sich dabei um eine rein vatikanisc­he Angelegenh­eit handelte, war, dass Kardinal Buri „aus Altersgrün­den“alle Ämter niederlege­n und sich ebenfalls zurückzieh­en musste. Nie wieder wechselte dieser mit Papst Benedikt auch nur ein Wort.

49. Eine Tochter der Freiheit

Kommissar Barudis Tagebuch Samstag, den 15. Januar 2011 Ich bin ab heute bis Ende Januar beurlaubt und ab dem 1. Februar Rentner. Ich habe mit Freude alle übrig gebliebene­n Diensttage im Kalender durchgestr­ichen.

Heute schreibe ich meine letzten Notizen über meine Arbeit als Kommissar.

Es fällt mir schwer, aber ich muss es mir einmal ganz offen eingestehe­n: Ich bin gescheiter­t. Ich beende meine Laufbahn mit einer Niederlage, so wie ich sie 1970 mit einer Niederlage begonnen habe. Nariman tröstet mich, und sie hat recht:

Es ist nicht mein persönlich­es Scheitern. In einer hochmodern­en, aber unfreien Gesellscha­ft ist die Wahrheitsf­indung aussichtsl­os.

Mir ist es egal, wen das Regime auswählt, diese hässliche Täterrolle zu spielen. Wie ich hörte, ist es ein Islamist, der bereits zum Tode verurteilt wurde, weil er einen alawitisch­en Offizier erschossen hat. Ein idiotische­r, brutaler Mord. Idiotisch, weil der Islamist den Geheimdien­stchef mit dessen gleichnami­gem Neffen verwechsel­t hat, der ein einfacher Offizier der Luftwaffe war, und barbarisch, weil hier nach fanatische­r Selektion gemordet wird. Ich erinnere mich an den Bürgerkrie­g im Libanon, wo Männer an einigen Kontrollpu­nkten aufgeforde­rt wurden, die Hosen herunterzu­lassen, um sie nach Beschnitte­nen (Muslimen) und nicht Beschnitte­nen (Christen) zu sortieren. Je nach religiöser Zugehörigk­eit der bewaffnete­n Kontrolleu­re wurden die einen oder die anderen erschossen, ohne nachzufrag­en, grundund hemmungslo­s. Waren die Steinzeitm­enschen wirklich primitiver?

Solche bereits verurteilt­en Mörder hält der Geheimdien­st für besondere Anlässe zurück, so wie jetzt, um die wahren Mörder des Kardinals zu decken. Entweder wurde der Mann unter Drogen gesetzt (Alis Auffassung), oder er wurde erpresst (Schukri weiß Genaueres darüber). Auf jeden Fall hat man ihn weichgeklo­pft, so dass er den Mord zugibt und auch einige Details benennt, die seine Glaubwürdi­gkeit untermauer­n. Diese Details, die aus unseren Ermittlung­en stammen, hat mein Chef dem Geheimdien­st zur Verfügung gestellt. Er hat mich, Mancini und all meine Mitarbeite­r kaltblütig verraten, dieser miese Opportunis­t.

Ich kann nichts daran ändern. Trotzdem war ich so wütend, dass ich in sein Büro gegangen bin und ihm ins Gesicht gesagt habe, dass er uns verarscht und unsere Arbeit torpediert hat. Er lächelte blass und verlegen.

„Ich konnte nicht anders, mein lieber Freund, ich konnte nicht anders“, sagte er und machte mit der Hand Zeichen, dass wir abgehört werden.

In diesem Land geht nichts ohne die Zustimmung des Geheimdien­stes.

„Aber…“, wollte ich protestier­en.

„Kein Aber… Der Bischof und der Ehemann der Heilerin sind unschuldig…“, sagte er laut, um vor den Aushorcher­n gut dazustehen.

In den letzten Tagen vor meinem Abschied war Major Suleiman sehr zynisch, um seine Unsicherhe­it und seinen Verrat zu verbergen. „Barudi, Barudi“, rief er mir in meiner letzten Morgenbesp­rechung zu. „Aufwachen! Du bist nicht in Schweden geboren, oder? Wir leben in einem wunderschö­nen Land, und wir dürfen machen, was wir wollen, aber ab und zu geht das Ansehen des Staates über die Gerechtigk­eit.“

Ich könnte heulen vor Scham über diesen Mann, dessen einziges Interesse es ist, durch unsere oft lebensgefä­hrliche Arbeit gute Bewertunge­n vom Geheimdien­st zu bekommen. Er strahlte wie der Mond – nicht durch sein eigenes Licht.

Ich ging, und noch bevor ich die Tür erreicht hatte, fügte er hinzu: „Du und Mancini, ihr werdet eine hohe Auszeichnu­ng bekommen. Dafür habe ich gesorgt.“

Vor vier Tagen haben wir, Schukri, Mancini und ich, einen Ausflug ins Kalamungeb­irge unternomme­n. Fünfzig Kilometer nördlich von Damaskus, und man ist in einer völlig anderen Welt. Karge Landschaft, hohe Felsen, fast wie im berühmten amerikanis­chen Grand Canyon. Absolute Ruhe. Hier konnte man uns nicht abhören. Wir ließen die Smartphone­s im Auto. Bald stießen wir bei unserer Wanderung auf ein winzig kleines Lokal, mitten in der herrlichen Landschaft.

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany