Erhöhter Freizeitdruck: Zu viel für die Natur?
Während der Pandemie sind die Wanderwege im Landkreis voll. Den Heimatpfleger freut die Neuentdeckung der Natur, die Förster ärgern sich über rücksichtslose Besucher. Die Kühbacher Revierleiterin sorgt sich um das Wild
AichachFriedberg Restaurantbesuche, Training im Fitnessstudio oder sich mit mehreren Bekannten treffen – vieles ist im erneuten Lockdown im Zuge der Corona-Pandemie derzeit nicht möglich. Aufgrund der begrenzten Freizeitmöglichkeiten sind 2020 immer mehr Menschen in der Natur unterwegs – mit gravierenden Folgen.
Ein Anziehungspunkt für viele Menschen während der Corona-Zeit ist der Derchinger Forst, weiß Förster Nico Bonanni, Revierleiter der Bayerischen Staatsforsten Eurasburg West. „Gefühlt sind die Besucherzahlen um 300 bis 400 Prozent gestiegen. Das freut uns natürlich, denn das heißt, dass unsere Arbeit von den Menschen geschätzt wird.“350 Hektar umfasst das Gebiet, für das Bonanni verantwortlich ist. Das gesamte Waldgebiet nordwestlich von Derching erstreckt sich laut dem Revierleiter auf 1000 Hektar.
Warum sind gerade im Derchinger Forst so viele Leute? Bonanni: „Zunächst kommen aufgrund der Nähe sehr viele Leute aus Augsburg. Die wollen der Stadt entfliehen, gerade in Corona-Zeiten.“Hinzu komme eine Besonderheit: „Im Gegensatz zu vielen anderen Wäldern haben wir sehr viele Laubbäume. Der Mensch geht einfach lieber durch den lichten Wald als durch den dunklen Nadelwald“, erklärt der 39-Jährige. Und noch etwas sorgt für übervolle Parkplätze rund um den Derchinger Forst: Die zahlreichen Mountainbiker, die mittlerweile dort unterwegs sind – zum Ärger von Nico Bonanni: „Ich fahre selbst Mountainbike und habe nichts gegen die Fahrer, aber es sind mittlerweile sehr viele.“Und das schade anderen: „Es gibt nur wenige Beschwerden, weil Biker und Fußgänger bei uns gut miteinander auskommen. Dennoch wandert es sich entspannter, wenn man mit Hund und Kindern nicht ständig auch auf Radfahrer achten muss.“
Silke Schweizer ist Betriebsleiterin der Forstverwaltung Kühbach. Auf 800 Hektar erstreckt sich der Kühbacher Forst. Auch Schweizer beobachtet, dass in diesem Jahr viel mehr Leute im Wald unterwegs sind als sonst. Grundsätzlich freut sie
darüber, dass die Menschen die Schönheit der heimischen Natur entdecken, aber der vermehrte Andrang hat auch Schattenseiten. „Die Leute laufen überall durch und sind auch nachts mit Stirnlampen unterwegs.“Das Wild werde dadurch extrem gestört und verschreckt, so Schweizer. Die Zeit, in der beispielsweise Rehe oder Wildschweine unbemerkt zum Fressen rauskommen könnten, werde immer knapper. Das habe zur Folge, dass es im Inneren des Waldes, etwa bei neu gepflanzten Bäumchen, mehr Verbiss gebe, weil sich die Tiere nicht mehr an den Waldrand trauen.
Die 47-jährige Försterin appelliert an die Waldbesucher, möglichst die schönen Sonnenstunden von 14 Uhr bis 16 Uhr für ihren Besuch zu nutzen. Den Spaziergängern, Radfahrern oder Joggern sei meist nicht bewusst, dass sie durch ihr Verhalten das Gleichgewicht der Natur stören. „Manche Leute haben halt nach dem Homeoffice eine Stunde Zeit und genau die wollen sie im Wald verbringen.“Schweizer hofft, dass zumindest die jetzt vielerorts nötigen Absperrungen für den Holzeinschlag respektiert werden.
Nico Bonanni ärgert besonders, dass viele Mountainbiker ihm zufolge abseits der Wanderwege auf sogenannten Trails fahren und Spuren hinterlassen: „Es gibt richtige Erdverschiebungen. Außerdem fahren manche durch Aufforstungsgebiete.“Auch die selbst gebauten Schanzen der Mountainbiker nerven ihn: „Wir müssen diese dann abbauen, weil wir haftbar sind. Wir haben aber andere Dinge zu tun.“
Manche Radfahrer reisen – zum Leidwesen des Försters – extra aus Ulm oder München an: „Im Internet wird Derching als Paradies für Mountainbiker angepriesen.“Verboten sei das Fahren auf den Wansich derwegen nicht, aber eben abseits der Wege. Um das Problem zu lösen, will der 39-Jährige, der seit neun Jahren Revierleiter ist, den Dialog mit den Fahrern suchen: „Ich will auf den Augsburger Verein zugehen. Die Fahrer wurden aus dem Westen Augsburgs vertrieben und fahren jetzt hier. Hoffentlich finden wir eine Lösung.“
Einer, der die Wanderwege im Wittelsbacher Land bestens kennt, ist Kreisheimatpfleger Hubert Raab. Der Friedberger hat gemeinsam mit seiner Ehefrau Gabriele gleich vier Bücher über die Wanderwege und Sehenswürdigkeiten im Landkreis Aichach-Friedberg herausgegeben. Er bestätigt: „Es sind gerade am Wochenende derzeit sehr viele Leute unterwegs.“Raab freut das: „Das ist sehr positiv, denn viele entdecken ihre Heimat neu. Tagesausflüge in die Berge sind derzeit nicht möglich und so schaut jeder, was es in der Region zu entdecken gibt.“Blind draufloslaufen würden die wenigsten. Raab: „Die meisten setzen sich ein Ziel, einen Punkt, den sie erreichen wollen. Das sind meist Kapellen oder Denkmäler oder sonstige markante Punkte.“Laut Raab sind auch viele Jugendliche unterwegs: „Wenn die CoronaZeit etwas Gutes hat, dann, dass viele Jüngere endlich wieder rauskommen.“Auch Paaren, Radfahrern aus den Nachbarlandkreisen und Hundebesitzern begegnet Raab bei seinen Spaziergängen häufig.
Ob sich auch nach der Pandemie die Menschen derart zahlreich an der Natur erfreuen werden, bezweifelt der 79-Jährige: „In dem Maß sicher nicht. Es gibt dann zu viele Alternativen, gerade für die Jüngeren. Ich hoffe aber, dass sich doch bei einigen die Erkenntnis durchsetzt, dass so ein Spaziergang in der Natur seine Vorteile hat.“»Kommentar