Als „Digital Native“in der analogen Welt
Unsere Autorin ist 20 Jahre alt und mit Handy, Computer und sozialen Netzwerken aufgewachsen. Zum Start ins neue Jahr probiert sie etwas für sie ganz Neues aus: Sie will wissen, wie es ist, unerreichbar zu sein
AichachFriedberg Freiwillig auf das Handy verzichten? Für mich als „Digital Native“eigentlich keine Option. Schon geringer Empfang bedeutet normalerweise eine Katastrophe. Ich bin in einer digitalen Welt aufgewachsen. Freunden schreiben, Bilder hochladen, im Internet suchen – meine Generation ist ständig „on“, also immer erreichbar. Soziale Medien sind zur Gewohnheit geworden. Doch wie viel Input ist gesund und geht es überhaupt noch ohne? Um das auszutesten, faste ich fünf Tage und verzichte auf meine digitalen Begleiter.
Anfangs habe ich Bedenken, wie es sich wohl anfühlt, keine digitalen Geräte mehr benutzen zu dürfen. Aber noch vor dem ersten Tag bin ich erstaunlich selbstsicher. Ein paar Tage ohne Handy sind doch überhaupt kein Problem für mich. Ich achte stets darauf, nicht zu viel Zeit am Bildschirm zu verbringen. Ich bin viel in der Natur und das auch ganz ohne Handy. Bei gemeinsamen Unternehmungen mit Familie und Freunden bleibt mein Smartphone die meiste Zeit in der Tasche. Auch in der Bahn registriere ich immer wieder erschrocken, dass mein Umfeld kaum noch aus dem Fenster schaut.
Ein Glück, dass ich nicht so bin. Oder? Am Smartphone lässt sich abrufen, wie viel Zeit ich am Bildschirm verbringe. Leider muss auch ich zugeben, dass meine Bildschirmzeit trotz allem ziemlich hoch ist. Über eine Stunde verbringe ich täglich am Smartphone; öfter, als mir lieb ist, auch mal bis zu drei. Höchste Zeit also, dass sich etwas daran ändert.
Doch aus einem kompletten Medien-Verzicht für die nächsten fünf Tage wird vorerst nichts. Durch Corona wurde aus meinem PräsenzStudium ein Online-Studium – auf Laptop und Co. kann ich daher nicht verzichten. Um nicht den kompletten Stoff nachholen zu müssen, beschließe ich, an drei der fünf Tage meinen Laptop und mein Tablet zu nutzen. Allerdings nur die Programme, die wirklich für mein Studium nötig sind. Der Fokus des Verzichts liegt also auf dem Handy. Etwas besorgt bin ich dann aber doch. Gerade in Corona-Zeiten ist das Smartphone unerlässlich, um weiterhin mit Freunden in Kontakt zu bleiben. Da ich aber die Zeit des Experiments bei meinen Eltern verbringe, steht mir hoffentlich keine komplette Vereinsamung bevor.
Die ersten Vorbereitungen für meine persönliche Fastenzeit treffe ich noch am Vorabend. Meine engsten Freunde wissen Bescheid. Für die kommenden Tage bin ich offline, zur Not über das Festnetztelefon zu erreichen. Zum Glück besitzen meine Eltern noch eines. Als Letztes besorge ich mir einen Wecker, denn normalerweise übernimmt den Weckdienst natürlich mein Smartphone. Dann starte ich mein Experiment.
Dass mein Handy schon längst zu einem Teil von mir geworden ist, stelle ich schon am nächsten Morgen fest. Ich werde Opfer des Phänomens „Fomo“. Das bedeutet „Fear of missing out“, also die Angst, etwas zu verpassen. Doch da muss ich jetzt durch. Ähnlich geht es die kommenden Tage weiter. Langsam wird mir klar, wieso meine Bildschirmzeit bis zu drei Stunden beträgt, so oft wie ich unbewusst zu meinem Smartphone greifen möchte. Häufig nicht mal aus einem bestimmten Grund.
Aber es zeigen sich auch schnell die ersten Vorteile. Ich arbeite länger und konzentrierter. Außerdem bin ich weniger gestresst. Der Druck, ständig auf Nachrichten antworten zu müssen, ist weg. Gleichzeitig merke ich, wie integriert die Medien in meinen Alltag sind. Anstatt mir am Morgen die Nachrichten aus aller Welt online durchzulewährend sen, greife ich nun wieder regelmäßiger zur Tageszeitung auf dem Küchentisch. Anstatt abends eine Wahl zwischen Serie und Buch zu treffen, entscheide ich mich selbstverständlich für die Lektüre.
Plötzlich bleibt auch wieder mehr Zeit für andere Hobbys. Doch von den Kuchen, die ich innerhalb dieser fünf Tagen gebacken habe, gibt es diesmal keine Fotos – dafür hätte ich wieder mein Handy gebraucht. Meine Erledigungen für die Bank muss ich auf einen Zeitpunkt verschieben, wenn ich wieder das Online-Banking nutzen darf.
Meine Digital-Abstinenz zeigt mir, wie abhängig ich von der Online-Welt bin. Aber dass es auch ohne geht. Oder zumindest mit weniger. Denn ganz ohne ist gerade jetzt schwierig. In Corona-Zeiten ist der Kontakt nach außen durch die digitalen Medien für mich unverzichtbar. Dennoch möchte ich einiges für die Zeit nach meinem analogen Experiment beibehalten und mit weniger Bildschirmzeit durch das neue Jahr gehen.
So bleibt mir zum Beispiel mein neuer alter Wecker erhalten und das Smartphone bleibt künftig über Nacht außerhalb meines Schlafzimmers. Zudem werde ich weiterhin weniger die Sozialen Medien nutzen, zeigte sich doch, dass mich die Beiträge auf Instagram gar nicht so sehr interessieren wie gedacht. „Fomo“– also die Sorge, etwas nicht mitzubekommen – war unberechtigt. Verpasst habe ich nämlich rein gar nichts.